Schreiben des Schulkommissariats, gez. Anton Frommelt, an das Institut St. Elisabeth in Schaan [1]
17.4.1945, Vaduz
Über persönlich genommene Einsicht in Ihren Schulbetrieb gestattet sich Unterfertigter kurz folgende Auffassung Ihrer Schulleitung zu unterbreiten.
Nach eingehender Prüfung des Unterrichtes und der Arbeitshefte wird lobend anerkannt bis zu welchem Erfolg die aufgenommenen, jungen Schülerinnen im ersten Jahr gebracht werden. Die notwendige Basis zu einer harmonischen Weiterführung im Studium scheint mir bei dieser Arbeit absolut gewährleistet. In den weiteren Kursen, zwei und drei, scheinen nach einigen überbrückbaren Schwierigkeiten die Verhältnisse sich allmählich zu ordnen und einen entsprechenden Erfolg zu garantieren. Die Schwierigkeiten sind leicht ersichtlich aus dem Grund, dass manche Kinder in spezifischen Fächern, besonders aber im Lateinunterricht, von sich aus und über Anregung der Eltern zu wenig interessiert sind. Damit wird ein geordneter Erfolg gehemmt und es scheint notwendig im Interesse der strebsamen Kinder dieser Gruppe von Schülerinnen das Bewusstsein beizubringen, dass sie eben, sofern sie diese Schule besuchen, auch den gegebenen Schulforderungen zu entsprechen haben. In den oberen Jahrgängen ist der leider etwas mangelhafte Unterbau des Unterrichtes noch deutlich spürbar. Es ist das ganze Augenmerk darauf zu richten, hier zwischen den gegebenen Forderungen dieser Jahreskurse und den etwas mangelhaften Vorbedingungen jene Mitte zu finden, die schliesslich doch einen tragbaren Erfolg zeitigt. Die Auffassung über den Unterricht in diesen Kursen, die ich bei meiner Einsicht gewonnen habe, geht dahin, dass die Stoffbehandlung sprunghaft und unvermittelt erfolge und deshalb das innere Verständnis der Sache ermangeln liess, besonders aber die ruhige Beherrschung des behandelten Stoffes.
Des besonderen erlaube ich mir weiterhin folgende Anregungen: Im Deutsch-Unterricht erscheint es mir unerlässlich für eine verständige und lustbetonte Behandlung dieses schönen Faches, dass eine ruhige, von zu starkem Memorieren abgehende Arbeit einsetze, die die jungen Menschen befähigt schrittweise in den innern Geist der Sprache eingeführt zu werden. Wie ich bereits letztes Jahr betont, scheint es mir auch dieses Jahr notwendig zu wiederholen, dass diesbezüglich zum Teil der Stoff unter den gegebenen Voraussetzungen zu hoch gegriffen und deswegen gewissermassen einseitig, memnotechnisch, behandelt werden muss. [2] Es ist damit die Gefahr verbunden, dass die Kinder beim mangelnden Einfühlen in die Sprache und andererseits bei zu starker Belastung gedächtnismässiger Stoffe die Freude an der Sprache und damit die innere Stellungnahme zur Entwicklung der Sprache verlieren. Dies wäre absolute Voraussetzung, um wenigstens in der Muttersprache den erwünschten Erfolg, nämlich die freie, selbständige Beherrschung der Sprache, zu erreichen. Es erschien mir wiederum unter den gegebenen Voraussetzungen verfrüht und für die Kinder untragbar, wenn sie vor der sicheren Beherrschung der Satzlehre mit Poetik und eingehenden Dispositionen grösserer dichterischer Werke belastet werden. Gerade in diesem Fache erschien mir die Unverbundenheit der Entwicklung im Unterricht deutlich vorzuliegen.
Eine ähnliche Erscheinung zeigt sich im Unterricht in Mathematik. Es war meine bestimmteste Überzeugung, dass die Kinder bei bestem Fleiss und Willen nicht in der Lage waren, den Stoff auch nur zu verstehen, geschweige ruhig zu beherrschen und es machte mir den Eindruck, dass hier in besonderer Weise über das Fassungsvermögen der Kinder hinweg doziert wird. Die Materie liegt Mädchen sowieso nicht so gut wie Knaben und bedarf daher für sie einer ausserordentlich eingehenden, liebevollen Behandlung. Es ist gerade in diesen Kursen unerlässlich den Kindern jenes mathematische Denken grundzulegen, das sie befähigt, in den letzten Kursen den zu behandelnden Stoffen mit einer gewissen Selbständigkeit zu bearbeiten. Ich hatte aber das deutliche Empfinden, dass die Kinder vorläufig aus der Vielgestaltigkeit der dargebotenen Möglichkeiten überhaupt keine Klarheit zu gewinnen vermögen und deswegen in der ganzen Materie unsicher tasten. Bei der persönlichen Qualität der Lehrpersonen in diesen genannten zwei Fächern erschien ein offensichtlicher methodischer Fehler, der eben in der unvermittelten Stoffdarbietung besteht. Ich begreife, dass sowohl die Lehrerin Frl. Birol in ihrem etwas vorgeschrittenen Alter und auch Herr Prof. Dr. Mäder in seiner absolut mathematischen Denkweise sich schwer umstellen werden und es ist wohl bei den gegebenen Verhältnissen die Frage zu prüfen, ob ihnen zum Vorteil der Schule nicht irgendwelche Hilfs- oder Ersatzlehrkräfte bereitgestellt werden könnten.
Wenn der Unterricht der lateinischen Sprache auch nicht in erste Linie zu stellen ist in dem Schultypus, den Sie pflegen wollen, so ist immerhin in Hinsicht darauf, dass sich die Töchter eines Tages zur Maturaprüfung melden sollen auch dieser Materie grössere Pflege und Aufmerksamkeit zu schenken, besonders in oberen Kursen, weil diesen Schülerinnen das notwendige grammatikalische und syntaktische Rüstzeug noch abgeht. Da Mädchen jedoch sprachlich meistens eine besondere Leichtigkeit zeigen, dürfte diese Schwierigkeit noch zu überbrücken sein.
Ich bitte Sie, diese wohlgemeinten Äusserungen im Sinne der Ausführung richtig zu verstehen nicht als eine unnütze Kritik an Ihren Schulverhältnissen sondern als Hinweise für eine gedeihliche und erfreuliche Entwicklung ihrer Schulverhältnisse.
Genehmigen Sie, den Ausdruck
vorzüglicher Hochschätzung
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[1] LI LA RF 217/518a.
[2] Ein Bericht Frommelts aus dem Jahr 1944 konnte nicht aufgefunden werden. Zum Bericht von 1943 vgl. LI LA RF 210/062/032.