Gutachten von Walther Burckhardt [1]
27.2.1937, Bern
Sehr geehrte Herren,
Sie haben mich ersucht zu prüfen, ob das Vorgehen des Regierungschefs von Liechtenstein, Herr Dr. [Josef] Hoop, in der Spitzelangelegenheit von Vogelsang der Verfassung und den Gesetzen des Fürstentums entsprochen habe.
I.
1. Sie machen zunächst darauf aufmerksam, dass der Regierungschef seit Ende November 1936 Kenntnis hatte von dem (nicht unterzeichneten) Schreiben, das den Stempel der Parteileitung trägt, aber der Regierung davon erst am 26. Januar 1937 Mitteilung machte; drei Tage nachdem er, am 23. Januar, von sich aus, das Schreiben dem „Liechtensteiner Volksblatt" zur Veröffentlichung mitgeteilt hatte und im Redaktionsbüro des „Liechtensteiner Vaterlandes" und bei Vogelsang eine Hausdurchsuchung hatte vornehmen lassen, die zur Beschlagnahme von Akten führte.
Es fragt sich, ob der Regierungschef das, bezw. die verdächtigten Aktenstücke solange bei sich behalten durfte, ohne der Regierung davon Mitteilung zu machen, und ob er die Hausdurchsuchung von sich aus anordnen durfte.
Nach dem Art. 78 und folgende der Liechtensteiner Verfassung ist nicht zu zweifeln, dass die höchste Regierungsbehörde des Fürstentums, abgesehen vom Fürsten selbst, das Kollegium der Regierung ist. Die Regierung als Behörde ist grundsätzlich die Behörde, welche die Geschäfte behandelt und die sachlichen Beschlüsse fasst.
Die Verfassung scheint allerdings diesen Grundsatz in zweifacher Beziehung einzuschränken:
erstens indem sie in Art. 84 neben der kollegialen die ressortmässige Behandlung der Geschäfte vorsieht, und
zweitens indem sie dem Regierungschef gewisse Befugnisse vorbehält.
Von diesen, in den Art. 85 - 90 erwähnten Befugnissen ist hier keine Frage. Fraglich ist, ob der Regierungschef das Geschäft ressortmässig, d.h. allein behandeln durfte.
Was die ressortmässige Behandlung betrifft, so ist sie in Art. 94 näher geordnet; und zwar in dem Sinne, dass „die laufenden Angelegenheiten nicht bis zum Sitzungstage aufgeschoben, sondern – bis zur endgültigen, der kollegialen Behandlung vorbehaltenen Entscheidung (Art. 90) einzeln ressortmässig behandelt werden", „damit der Gang der Geschäfte nicht nachteilig verzögert werde". Unter laufenden Angelegenheiten, sagt Abs. 2, sind alle Gegenstände (zu verstehen), „die an sich minder wichtig sind oder blosse vorbereitende Verfügungen betreffen, wodurch noch Berichte abverlangt, Beweise gefordert, kommissionelle Erhebungen gepflogen oder Bestimmungen getroffen werden, die vorbehältlich der Enderledigung nur den Zustand festsetzen, in welchem die Sache bis zur erfolgenden endgültigen Entscheidung verbleiben soll".
Die Meinung dieser Bestimmung ist unverkennbar die, dass das einzelne Mitglied, jedes in seinem Fach ressortmässig, eine Angelegenheit nur zu „behandeln" hat,
1) wenn es „an sich ein minder wichtiger" Gegenstand ist, oder
2) wenn und soweit diese Behandlung zur Abklärung oder Erhaltung des Sachverhaltes dient, also in instruierenden und vorsorglichen Verfügungen besteht, die der Entscheidung in der Sache selbst nicht vorgreifen; was voraussetzt, dass die Angelegenheit bei der Regierung hängig ist.
Beides, damit die Entscheidung in der Sache selbst nicht nachträglich verzögert werde.
Ob in „minder wichtigen" Angelegenheiten (Ziffer 1) ein Regierungsmitglied auch allein entscheiden kann, braucht hier nicht entschieden zu werden, da die Spitzelangelegenheit jedenfalls nicht zu den minder wichtigen gehört.
Auf die Befugnis (Ziffer 2), die endgültig von der Regierung zu treffende Entscheidung zu instruieren oder den status quo zu erhalten, konnte sich der Regierungschef jedenfalls nicht berufen, um die Angelegenheit der Regierung zwei Monate lang vorzuenthalten und schliesslich von sich aus eine Hausdurchsuchung anzuordnen. Denn einmal hat er damit die kollegiale Behandlung nicht beschleunigt, sondern verzögert; und sodann hat er nicht eine Entscheidung vorbereitet oder vorsorglich in ihrer Wirksamkeit geschützt, die die Regierung zu treffen hatte und nachträglich auch getroffen hätte, sondern er hat selbst entschieden und er hat entschieden, ob, wann und wie einzugreifen sei, d.h. er hat alles entschieden.
Es ist klar, dass die Frage, was in einer so bedenklichen und so unabgeklärten Sache vorzukehren sei, zu den „wichtigeren" Angelegenheiten gehört, die Art. 90 der Verfassung der Regierung zu kollegialer Behandlung und Beschlussfassung zuweist. Um so wichtiger war die Angelegenheit, als sie politisch von ausserordentlicher Tragweite gewesen wäre, wenn, wie es (nach dem Stempel) den Anschein hatte, die Leitung der Oppositionspartei an dem verräterischen Treiben beteiligt gewesen wäre, und als diese moralisch verwerfliche Handlungsweise juristisch nicht leicht zu qualifizieren war, und auch nicht als strafbare Handlung qualifiziert worden ist. Wenn es nicht eine strafbare Handlung war, war sie im Gesetz nicht ausdrücklich verboten und doch musste die Verwaltungsbehörde dagegen einschreiten; wenn es nicht eine strafbare Handlung war, musst die Regierung administrativ, d.h. mit Massnahmen dagegen einschreiten, deren Anwendung ebenfalls im Gesetz nicht (wie in der Strafprozessordnung) geordnet ist, sondern dem Ermessen der Regierung anheimgestellt ist. Und beides macht die Entscheidung zu einer rechtlich besonders verantwortungsvollen.
Man kann deshalb auch nicht etwa sagen, die Hausdurchsuchung sei bloss eine „vorbereitende Verfügung" im Sinne des Art. 94, Abs. 2 der Verfassung oder eine den Zustand erhaltende Verfügung. Die Hausdurchsuchung sollte allerdings weiteres Material zu Tage fördern zur Abklärung des Tatbestandes. Aber, ganz abgesehen davon, dass diese Entschliessung nicht dringlich war, ist die Einleitung eines solchen administrativen Verfahrens eine wichtige Entschliessung, die grundsätzliche Bedeutung hat (und nicht bloss zur Instruktion einer schon hängigen Angelegenheit oder zur Wahrung des gegenwärtigen Zustandes dient). Die Entschliessung hat grundsätzliche Bedeutung, einmal, weil es fraglich ist, ob die Verwaltungsbehörde eingreifen kann, wo nichts strafbares vorliegt; denn in der Regel ist das, was verboten ist, auch vor Übertretung durch Strafe geschützt, und nur was unter Strafe gestellt ist, ist ausdrücklich verboten. Ich will nicht sagen, die Regierungs- und Polizeibehörde dürfe nichts verhindern, was nicht unter Strafe gestellt ist; aber festzustellen, was so verhindert werden kann, ist eine besonders heikle Aufgabe, da es, wie bemerkt, nicht durch ausdrückliche Vorschrift umschrieben sein wird.
Die Entschliessung hat aber auch grundsätzliche Bedeutung, weil sich die Instruktion des Falles von der Entscheidung selbst nicht deutlich unterscheiden lässt. Wenn im Strafprozess der Untersuchungsrichter die Strafverfolgung einleitet, überlässt er die Entscheidung über die Strafbarkeit dem Gerichte und seine Untersuchungshandlungen sind, wie das ganze Verfahren, an bestimmte Rechtsnormen gebunden. Beides fehlt hier, wo die Regierungsbehörde glaubt, eingreifen zu können, ohne dass eine strafbare Handlung vorläge und ausserhalb des Rahmens des strafgerichtlichen Verfahrens: sie entscheidet wie über die Ermittlung des Tatbestandes so auch in der Sache selbst, und sie entscheidet, ohne gesetzlichen Anhaltspunkt, welche Untersuchungshandlungen vorzunehmen seien (obschon diese Handlung[en] tief in die persönliche Freiheit eingreifen können). Und sodann lassen sich hier instruierende (vorbereitende) und entscheidende (endgültige) Handlung gar nicht trennen. Wenn die Behörde eine Hausdurchsuchung vorgenommen hat, kann sie es sehr wohl bei dieser Massnahme bleiben lassen, wenn sie der Ansicht ist, dass durch die gewonnene Einsicht das öffentliche Interesse genügend gewahrt sei. Die Hausdurchsuchung und Einsicht in die Privatakten kann also auch den Abschluss des Verfahrens, die eigentliche Massnahme, bilden. Wenn der Regierungschef solche Massnahmen als vorbereitende Verfügung betrachten und allein vornehmen könnte, könnte er auch aus eigener Entschliessung Verhaftungen vornehmen mit der Begründung, sie dienten nur dazu, den Zustand festzusetzen, in welchem die Sache bis zur folgenden endgültigen Entscheidung verbleiben soll. (Verfassung, Art. 94, Abs. 2).
2. Der Regierungschef hat sich zur Begründung seines Vorgehens auf Art. 130, Ziffer 5 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung vom 21. April 1922 [2] berufen. Allein zu unrecht. Wie im „Liechtensteiner Vaterland" vom 22. Februar 1937 ausgeführt ist, bezieht sich das „Verwaltungszwangsverfahren" des III. Hauptstückes dieses Gesetzes nur auf die zwangsweise Durchsetzung obrigkeitlicher vollstreckbarer Befehle, Verfügungen und Entscheidungen, aber nicht auf die Zuständigkeit, die durchsetzenden Befehle, Verfügungen und Entscheidungen selbst zu treffen. Das Gesetz unterscheidet die Anordnung von ihrer Erzwingung; eine Unterscheidung, die der Natur der Sache entspricht, wie allgemein anerkannt wird (vgl. Herrnritt, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Tübingen, 1921, S. 354; Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 8/A. 1928, S. 214-15). Der Regierungschef hat den Verwaltungszwang anzuordnen, nicht die zu erzwingende Anordnung selbst. Zuzugeben ist allerdings, (wie Herrnritt u.a.O. bemerkt), dass oft die Scheidung zwischen der Verfügung und der Durchführung praktisch nicht möglich ist, nämlich dann, wenn sofort eingegriffen werden muss; dann muss die verfügende Behörde auch sofort erzwingen, vollstrecken, was sie angeordnet hat, oder, umgekehrt, das vollstreckende Organ muss auch verfügen können (z.B. die Polizeiorgane, in der Durchführung ihres Schutzes). Allein hier lag diese Dringlichkeit nicht vor.
3. Der Regierungschef beruft sich auch auf das Gesetz vom 30. Mai 1933 betr. die Erteilung besonderer Vollmachten an die Regierung, das in Art. 1 bestimmt: „Der Landtag erteilt der fürstlichen Regierung Vollmacht zur Vornahme aller Massnahmen, die für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie zur Wahrung des Ansehens und der wirtschaftlichen Interessen des Landes erforderlich sind". [3]
Dass die Aufdeckung und Unterdrückung von Verrätereien, wie sie sich [Carl von] Vogelsang hat zu schulden kommen lassen, zu den hier gemeinten Massnahmen gehören, ist selbstverständlich. Aber die Vollmacht, solche Massnahmen zu treffen, ist der Regierung, nicht dem Regierungschef erteilt worden und konnte nach der Verfassung nur ihr erteilt werden. Die Regierung selbst könnte diese ihr erteilte ausserordentliche Vollmacht nicht etwa dazu benutzen, um ihren Vorsitzenden, den Regierungschef, zu ermächtigen, an ihrer Stelle die in Art. 1 vorgesehenen Massnahmen zu treffen; denn das wäre eine Abänderung des Gesetzes selbst und eine Verletzung der Verfassung. Noch viel weniger kann sich der Regierungschef die Kompetenz selbst zulegen, solche Massnahmen von sich aus zu treffen. Sowenig wie etwa der schweizerische Bundespräsident von sich aus dasjenige anordnen könnte, was ein Bundesgesetz ausserordentlicherweise (d.h. ohne näher umschriebene Voraussetzungen) dem Bundesrat anzuordnen gestattet hat.
Aus den erwähnten Gründen halte ich dafür, dass das Vorgehen des Regierungschefs in der Angelegenheit Vogelsang nicht verfassungs- und gesetzmässig war.
4. Ich weiss wohl, dass es Fälle geben kann, wo ein höheres Gesetz gebietet zu handeln, auch wenn die Formen des Gesetzes und der Verfassung nicht eingehalten werden können. Wenn es z.B. gilt, einen verbrecherischen Anschlag oder einen Staatsstreich zu verhindern, der unmittelbar droht, wird man dem Mitglied einer Behörde, die nur als Kollegium kompetent ist, keinen Vorwurf daraus machen, wenn es von sich aus handelt, damit der Angriff vereitelt werden, und wenn es nicht, um keine Verfassungswidrigkeit zu begehen, die Verfassung selbst (oder den Staat) dem Untergang aussetzt. Hier darf man mit Recht, hier muss man von einem Notrecht des Staates reden, d.h. von einer ethischen Rechtfertigung des formalen Unrechtes. Aber um dieses Notrecht anrufen und über die verfassungsmässige Zuständigkeitsordnung hinwegschreiten zu können, muss der Staat in Gefahr und zwar in unmittelbarer Gefahr sein; in einer Gefahr, die nur auf diesem eigenmächtigen Wege abgewendet werden kann.
Das lag aber hier nicht vor, weder in Wirklichkeit, noch dem Scheine nach. Die dem Regierungschef zugekommenen Schriftstücke zeigten, dass in Liechtenstein Spitzel mit deutschen Zollbehörden in Verbindung standen. Oder genauer: dass sie im Jahre 1934 versucht hatten, sich mit deutschen Behörden in Verbindung zu setzen, was den Verdacht wecken musste, dass sie es weiter getan hätten. Auf solche Vorfälle muss aber eine Regierung gefasst sein; sie kommen leider überall vor, und ihretwegen darf die Verfassung nicht aus den Angeln gehoben werden. Ungewiss war zunächst, wer an diesen Angebereien beteiligt sei; aber eine unmittelbare Staatsgefahr bestand nicht. Sonst hätte der Regierungschef nicht zwei Monate warten können, um zu handeln. Er meint, es sei notwendig gewesen, „den Fall weiter zu verfolgen und genauestens abzuklären". Ich will das nicht weiter untersuchen. Nur darf man sich nicht gewissermassen auf die Staatsräson, auf das Selbstverteidigungsrecht des Staates berufen, wenn man die Entwicklung der Dinge zwei Monate lang untätig verfolgen kann. Denn dann drängt die Gefahr nicht mehr und rechtfertigt nicht mehr die Übergehung der rechtmässig zuständigen Behörde.
Dass eine solch abwartende und beobachtende Haltung, wo keine unmittelbare Gefahr besteht, u.U. zweckmässig ist, um sich Anhaltspunkte zur Entdeckung und Überführung der Schuldigen zu verschaffen, ist richtig. Aber auch wenn man sich auf diesen Standpunkt taktischer Zweckmässigkeit stellt, sind gewisse Grenzen einzuhalten, eben weil die Taktik doch das Recht nicht beeinträchtigen darf: wer eine Strafuntersuchung durchführt, darf wohl schweigen und zusehen, solange er nicht die nötigen Indizien hat, um einzugreifen, d.h. um die Strafuntersuchung gegen bestimmte Personen einzuleiten und die dazu gehörigen Handlungen vorzunehmen. Hat er diese Indizien aber, so darf er nicht weiter warten, um den Schuldigen noch besser überführen zu können; denn solange er ihn gewähren lässt, solange verhindert er auch nicht das verbrecherische Handeln, und das wäre doch die Hauptsache. Das Verhindern ist um so wichtiger, wenn man, wie hier, den Täter mangels strafbaren Tatbestandes nicht bestrafen kann; denn dann kann man ja nur sein weiteres allgemeinschädliches Treiben administrativ verhindern und muss es also baldmöglichst verhindern. Kann man, um weitere Beweise oder um Material zur Verhütung späterer Umtriebe (durch andere Personen) zu erlangen, zuwarten, so ist die Gefahr offenbar nicht so dringlich und der schon entdeckte Vorgang ist nicht staatsgefährlich.
Hier wiesen übrigens die entdeckten Dokumente deutlich die Spur, der man zu folgen hatte.
6. Endlich sei noch die Veröffentlichung der kompromittierenden Schriftstücke im „Liechtensteiner Volksblatt" vom 23. Januar 1937 erörtert.
Die Veröffentlichung eines Schriftstückes solchen Inhaltes ohne weitere amtliche Erklärung, aber auf amtliche Mitteilung hin, musste in der politischen Presse zur Verdächtigung der ganzen Parteileitung führen, wie sie auch dazu geführt hat. Davon musste sich der Regierungschef Rechenschaft geben. Warum hat er das Schriftstück gleichwohl veröffentlicht und in dieser Form?
Die Veröffentlichung konnte der Regierung zur besseren Ermittlung des Tatbestandes nichts nützen, wie etwa die private Veröffentlichung eines bisher unbekannten Dokumentes u.U. der Behörde auf einen ihr noch unbekannten Vorgang aufmerksam machen oder über einen ihr schon bekannten besser unterrichten kann. Die Behörde war hier unterrichtet; das Publikum war es nicht. Die Veröffentlichung des Schriftstückes, begleitet von einem redaktionellen Artikel über den „Verrat an Volksgenossen", der ohne weiteres der Parteileitung zur Last geschrieben wurde, konnte der weiteren Ermittlung der Wahrheit nicht dienlich sein.
Der Regierungschef hat die Veröffentlichung auch nicht damit begründet, sondern mit der Erwägung, dass, wenn die öffentliche Meinung über die Gründe der beabsichtigten Hausdurchsuchung in der Redaktion des „Liechtensteiner Vaterlandes" nicht vorher unterrichtet worden wäre, das Eindringen der Polizei in die Redaktion zu einer Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung hätte führen können (Erklärung des Regierungschefs im Landtag vom 12. Februar 1937; „Liechtensteiner Volksblatt" Nr. 19).
Ich masse mit darüber kein Urteil an, welchen Eindruck die polizeiliche Hausdurchsuchung auf die nicht unterrichtete Bevölkerung von Vaduz gemacht hätte. Ich will auch nicht prüfen, ob es möglich gewesen wäre, sich Gewissheit über die Täterschaft zu verschaffen, durch Einvernahme der Verdächtigen, d.h. hier der Parteilleitung; waren sie unschuldig, so mussten sie ja der Untersuchung selbst zustimmen, und blieb der Verdacht auf ihnen liegen, so konnte die Regierung durch Anschlag einer amtlichen Mitteilung die öffentliche Meinung im Moment der Hausdurchsuchung aufklären. Wie dem aber auch sei, der Regierungschef hätte in der Zeitung, deren er sich zur Aufklärung des Publikums bediente (sie ist auch Organ für amtliche Kundmachungen) eine amtliche Erklärung abgeben sollen, welche die Unabgeklärtheit des Tatbestandes und die Notwendigkeit weiterer Aufklärung durch eine Hausdurchsuchung darlegt und die Bevölkerung aufgefordert hätte, das Ergebnis der Untersuchung ruhigen Blutes abzuwarten. Damit wäre dem öffentlichen Interesse des Landes und dem Interesse der (unschuldig) Belasteten gedient gewesen. Ein Schriftstück, wie das fragliche, ohne Kommentar in die Öffentlichkeit geworfen, musste Vermutungen und Verdächtigungen rufen, die sich, erfahrungsgemäss, in der erregten Diskussion von Parteigegnern, in Anschuldigungen und Verurteilungen umwandelten. Ich meine also: wenn der Regierungschef an die Öffentlichkeit gelangen wollte, musste er mit eigener Erklärung, in amtlicher Eigenschaft die Öffentlichkeit aufklären, als er ihr das bekannte Schriftstück unterbreitete
Ich gebe ohne weiteres zu, dass es leichter ist, nach geschehener Tat zu urteilen, als vorausblickend zu handeln. Ich anerkenne auch, dass die Frage des richtigen Vorgehens nicht nur nach formellrechtlichen Normen beurteilt werden kann, sondern auch eine Sache richtiger Einschätzung der Umstände ist. Und dass diese Umstände von einem Fernstehenden nicht sicher beurteilt werden können. Auch bei aller Zurückhaltung, die mir diese Einsicht auferlegt, halte ich es doch für meine Pflicht, meinen Bedenken auch in diesem Punkte Ausdruck zu geben.
Mit vorzüglicher Hochachtung: