Der Schweizer Bundespräsident Edmund Schulthess äussert sich zur geplanten Aufhebung der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern


Schreiben des Schweizer Bundespräsidenten Edmund Schulthess an Fürst Franz I. im Jagdhaus Thalhof am Semmering (Abschrift der Kabinettskanzlei zuhanden der Regierung) [1]

27.1.1933

Euer Durchlaucht

hatten die Freundlichkeit, mit Schreiben vom 11. Januar 1933 [2] mir von der seitens des Landtages des Fürstentums geäusserten Absicht Kenntnis zu geben, die Fürstliche Gesandtschaft in Bern aufzuheben. [3] Eine solche Massnahme rechtfertige sich namentlich im Hinblick auf die damit verbundene Einsparung und lasse sich zudem mit der Erwägung begründen, dass die Ziele, um deretwillen seinerzeit die Gesandtschaft eingerichtet wurde, seither erreicht worden seien, und dass ein direkter Verkehr zwischen den beiden Regierungsbehörden die bisherigen freundnachbarlichen Bande fernerhin zu festigen geeignet sei.

Bevor indessen weitere Beschlüsse gefasst werden, legen Euer Durchlaucht Wert darauf, die Auffassung des Bundesrates darüber kennen zu lernen, ob ihm die geplante Aufhebung der Gesandtschaft unter Umständen nicht erwünscht erscheine und den zwischen den beiden Ländern bestehenden guten Beziehungen nachteilig sein könnte.

Der Schweizerische Bundesrat ist Euer Durchlaucht dafür dankbar, dass ihm Gelegenheit zu einer Meinungsäusserung geboten worden ist, und er hat den Unterzeichneten ermächtigt, seiner Auffassung in nachstehender Weise Ausdruck zu geben.

Die Frage, ob eine Massnahme, die an sich durchaus landesrechtlicher Natur ist, im Lichte der gegenseitigen Beziehungen der beiden Staaten zweckmässig und wünschbar erscheint, stellt sich zweifellos nur mit Rücksicht auf die engen Vertragsverhältnisse, die Liechtenstein und die Schweiz verbinden, und im Hinblick auf die daraus sich ergebenden besonderen Aufgaben, mit denen der Fürstliche Geschäftsträger in Bern betraut ist. Diesem ist mit ihnen eine über den gewöhnlichen Pflichtenkreis diplomatischer Vertretungen hinausreichende Mission zugefallen, um deren Erfüllung sich der seit dem Jahre 1919 den Posten bekleidende Herr Legationsrat Dr. Emil Beck, dank seiner gründlichen Sachkenntnisse und vortrefflichen persönlichen Eigenschaften, sehr verdient gemacht hat.

Es ist gewiss richtig, dass ein zwischenstaatlicher Verkehr auch direkt von einer Regierung zur anderen ohne Zuhilfenahme einer diplomatischen Vertretung erfolgen kann. Dabei wird aber nicht unbeachtet bleiben dürfen, dass ein zwischen den verschiedenen Zweigen der Verwaltungsbehörden zweier Staaten sich unmittelbar abwickelnder Verkehr oft zu unerwünschten Situationen führen könnte und dass eine solche Gefahr namentlich bei dem bundesstaatlichen Charakter der Eidgenossenschaft und der departementalen Gliederung der Bundesverwaltung sowohl wie der kantonalen Verwaltungen nicht gering erscheint. Es sollte deshalb sichere Gewähr dafür gegeben sein, dass alle die beiden Staaten berührenden Geschäfte ausschliesslich zwischen den mit der Führung der auswärtigen Angelegenheiten betrauten Stellen der beiden Regierungen behandelt werden, wobei dann allerdings die Frage offen bleiben dürfte, ob sich die an eine solche organisatorische Änderung geknüpften Hoffnungen auf Ersparnisse erfüllen werden.

Wenn der Bundesrat, einem ausdrücklichen Wunsch Euer Durchlaucht nachkommend, die vorstehenden Erwägungen vorzubringen sich gestattet, so liegt ihm dabei jede Absicht ferne, auf eine Angelegenheit Einfluss zu nehmen, deren Regelung allein im Hoheitsbereiche des Fürstentums steht. Indessen werden der Bundesrat und das Politische Departement es sich gerne angelegen sein lassen, sofern eine weitere Abklärung der Sachlage noch wünschbar erscheinen sollte, hiezu ihre Dienste zur Verfügung zu stellen.

Der Unterzeichnete benutzt gerne den Anlass, Euer Durchlaucht die Gefühle ausgezeichneter Hochachtung und Verehrung zu erwidern.

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[1] LI LA RF 130/577/004.
[2] LI LA RF 130/577/002.
[3] Im Rahmen der öffentlichen Beratungen über den Landesvoranschlag pro 1933 beauftragte der Landtag die Regierung am 22.12.1932, die Frage der Auflassung der Gesandtschaft aus Sparsamkeitsgründen zu prüfen und mit den schweizerischen Behörden in Fühlung zu treten, ob dieser Akt nicht als eine Unfreundlichkeit Liechtensteins angesehen werde (LI LA LTP 1932/190).