Zusammenfassung des Texts der Rede von Alois Vogt, gehalten am der Generalversammlung der Gewerbegenossenschaft vom 28. Juli 1940, im "Liechtensteiner Vaterland" [1]
3.8.1940
Die Generalversammlung der Gewerbegenossenschaft
(Schluss) [2]
Anschliessend an das Referat Nationalrats August Schirmer sprach Dr. Vogt, Regierungschefstellvertreter, über
Aktuelle Landesfragen
Regierungschefstellvertreter Dr. A. Vogt, der bei der Regierung das Ressort des Gewerbes betreut, kennt die Sorgen und Nöte unseres Gewerbestandes sehr gut. Er weiss aber auch die Gründe, die zum heutigen Zustande wenigstens teilweise mitbestimmend waren und hat die Gelegenheit der heutigen Gewerbeversammlung benützt, um im Rahmen eines kurzen Referates über aktuelle Landesfragen offen und unumwunden zu einzelnen Problemen, die als solche Probleme des ganzen Landes und nicht nur der Gewerbetreibenden allein sind, Stellung zu nehmen. Sein Referat wurde mit grossem Interesse seitens der anwesenden Gewerbetreibenden und der schweizerischen Gäste aufgenommen. Wir wollen im Nachstehenden nur kurz auszugsweise einige Gedankengänge daraus wiedergeben.
Es erweise sich immer mehr als eine Notwendigkeit, die Bevölkerung über die sogenannten Landesnöte auf dem Laufenden zu halten. Denn jede Volkswirtschaft wäre ein Betrieb im Grossen, so wie ihn der Gewerbetreibende daran verglichen im Kleinen führe. Verlange man nun vom Gewerbetreibenden eine Rechenschaft über seine Geschäftsgebarung, eine Rechenschaft darüber, ob Vor– oder Nachteile zu verzeichnen seien, so muss das auch der Staat tun.
Unser Land befinde sich hier in einer ausserordentlichen Position. Jeder Staat besitze eigene Zölle, eine klar erkenntliche Ein– und Ausfuhr. Wir aber wären gar nicht in der Lage, eine solche Volkswirtschaftsbuchhaltung zu führen, weil wir gegen die Schweiz offene Grenzen haben, die genaue Kontrolle der Ein– und Ausfuhr für unsern sehr kleinen Wirtschaftsraum daher unmöglich ist. Es wäre uns daher nur möglich, auf dem Wege über den Verbrauch in den einzelnen Haushaltungen und in den einzelnen Geschäftsbetrieben einen schätzungsweisen Überblick über die Tätigkeit und das Ergebnis unserer Volkswirtschaft zu erhalten. Dieser Überblick wäre jedoch nicht vollständig und vor allem ungenügend.
Im wesentlichen könnten wir aber feststellen, dass unsere Einfuhr grösser sei als die Ausfuhr. Wir wären sehr weitgehend vom Auslande abhängig. In diesem Rahmen der Abhängigkeit bewegt sich auch der Gewerbetreibende bei uns. Die Handwerksbetriebe wären nur klein, die Fabrikbetriebe ebenfalls nicht umfangreich. Wir haben eine bedeutende Unterbilanz. Man müsse sich daher berechtigterweise fragen, wie diese Unterbilanz abgedeckt werden könne. Es gehe nicht an, immer neue Schulden zu alten zu häufen. Das wäre ein Zustand, der auf die Dauer unerträglich wäre, ja geradezu unmöglich. Wir hätten schätzungsweise in der Handelsbilanz ein jährliches Defizit in der Höhe von zwei Millionen Franken. Nur in 15 Jahren ist dieses Defizit auf 11 Millionen Franken angewachsen. Wenn man jedoch rechnete, so ergebe sich, dass bei einer Gesamtunterbilanz für die 15 Jahre mit 11 Millionen es auf das Jahr nicht zwei Millionen treffe. Wie ist es für uns aber möglich, das Defizit der Handelsbilanz herunterzudrücken? Das war bis heute möglich durch zusätzliche Einnahmen, die ins Land hereinkommen, ohne dass die liechtensteinische Wirtschaft Gegenwerte materiell geleistet habe. So zum Beispiel durch das Markengeschäft. Weiters wäre da zu nennen die Gesellschaftssteuern, die uns aus dem Auslande zugeflossen sind, ohne dass wir einen eigentlichen materiellen Gegenwert geleistet hätten. Dann gehörten hierher die Einbürgerungssteuern, die uns in grossem Umfange finanzielle Mittel geleistet haben. Die Summe dieser Einnahmen wäre dasjenige gewesen, was uns in die Lage versetzt hätte, die Zahlungsbilanz halbwegs auszugleichen, sodass die Situation für unser Land noch halbwegs erträglich gewesen war.
Diese Einnahmen jedoch waren von den weltpolitischen Ereignissen abhängig. Die Devisenbestimmungen sozusagen aller für uns in Betracht kommender Staaten sind ein Hauptfaktor, der für uns mitspreche. So werde der Kreis der für die Belieferung Liechtensteins mit Steuern in Betracht kommenden Staaten immer kleiner, bis schliesslich nur noch wir allein übrig blieben. Und dieser Zeitpunkt wäre nun da, wo diese Einnahmen bis auf das Markengeschäft nicht mehr existieren und wir auf uns selber angewiesen sind. Aber mehr ausgeben als einnehmen ist auf die Dauer unmöglich. Es wäre dann auch nicht mehr möglich, an die Staatskasse grosse Ansprüche zu stellen. Wir müssten uns in Liechtenstein darauf besinnen, uns im eigenen Staat so zu bewegen, wie der kleine Gewerbetreibende, der nur verbrauchen kann, was er verdient. Es erhebe sich nun die Frage, was man tun könne, um der drohenden Verschuldung entgegenzutreten. Es gäbe hier vieles zu erwägen. Die Ausfuhr vermehren und die Einfuhr beschränken, Herabsetzen des Lebensstandartes, Verringerung des Konsums, Beschränkung auf allen Gebieten der Lebenshaltung, daneben könnten wir gewissermassen unsere Arbeitskräfte ausführen.
Im weiteren führte Dr. Vogt aus, dass die Lage unserer Volkswirtschaft so ist, dass eine Änderung bald eintreten muss. Es sei klar, dass für die Aufnahme von Arbeitskräften eben für uns derzeit nur die Schweiz oder Deutschland in Frage kämen. Seit zwei Jahren wären Bestrebungen im Gange, vermehrt wieder Bauarbeiter unterzubringen in der Schweiz. Aber viele andere insbesondere junge Arbeitskräfte wären bei uns überschüssig und müssten irgendwie im Arbeitsprozess eingegliedert werden können. Liechtenstein hätte sich sehr bemüht, Arbeitskräfte hinüberzubringen, wogegen aber von der andern Seite eingewandt wurde, die liechtensteinischen Arbeiter bedeuten eine zu grosse Konkurrenz. Das eine Haltung bedingt, die eine Unsicherheit bei unsern Arbeitern, die wir gerne in die Schweiz senden würden, hervorruft. Denn aus den Erfahrungen der letzten Zeit wissen wir, dass viele, trotz versprochener längerer Arbeit, kurzweg wieder herüber mussten, sodass sie kaum die Spesen vergüten konnten. Trotzdem von Bern aus vieles getan wurde, sind die Schwierigkeiten noch gross. Die ganze Bevölkerung und die Behörden müssten darauf drängen, dass endlich inbezug auf die Arbeitsverhältnisse eine endgültige und klare Lösung gefunden werde. Doch liege nicht alle Schuld bei der Schweiz, sondern auch welche bei uns. Der politische Zwiespalt in unserem Lande war mitschuld an den heutigen Verhältnissen, wir müssten uns klar sein, dass keine aussenpolitische Lösung irgendwelcher Art uns erträgliche volkswirtschaftliche Verhältnisse bringen könnte, solange wir nicht die eigene Volkswirtschaft von unten auf aufbauen und den Staat mehr zur Selbstversorgung führen würden. Man könne sich nicht nur auf reine Spekulationen einlassen.
Die Liechtensteiner wüssten, dass sie in der Schweiz gute Freunde besässen, die wirklich den Wunsch haben, das Verhältnis zwischen den beiden Ländern kennen zu lernen. Liechtenstein allein ist nun einmal ein so kleines Staatsgebilde, dass es allein nicht leben kann. Besonders unsere Jugend sieht trostlos in die Zukunft. Unserer Jugend müssen wir aber eine Zukunft geben. Dieses Problem muss sofort gelöst werden. Kann sich der Liechtensteiner frei bewegen ausser Landes, so ist ihm geholfen, sonst aber würden die Sorgen so gross werden, dass man daran denken müsste, sie eines Tages abzulegen.
Herr Nationalrat A. Schirmer führte dazu aus, dass es für die Schweiz ebensoschwer sei, in die Zukunft zu blicken, wie für die Liechtensteiner. Er verstehe vollkommen die Lage unseres Arbeitsmarktes und sehe auch ein, dass Hilfe not tut. Er gibt dann weiters ein kurzes Bild über die gegenseitigen Absperrungen der Kantone untereinander auf dem Arbeitsmarkte. Nationalrat Schirmer schloss dann seine Ausführungen mit den Worten: „Ich werde mein Möglichstes tun.“
Anschliessend daran referierte Nationalrat Schirmer noch kurz über die Meisterprüfungen und schlug vor, sich für eine ähnliche Regelung wie in der Schweiz zu entscheiden. Die Regierung sollte versuchen, sich mit der Schweiz zu vereinbaren, dass die Prüfungen dort abgelegt werden können.