Leopold von Imhof berichtet Prinz Eduard über Gerüchte von 1916/17, wonach Liechtenstein Kirchenstaat werden sollte


Handschriftliches Schreiben des ehemaligen Landesverwesers Leopold von Imhof an Prinz Eduard, Gesandter in Wien [1]

29.10.1920, Salzburg

Durchlauchter Freund!

In umgehender Beantwortung deiner heute eingelangten Anfrage [2] gestatte ich mir, dir Nachstehendes ergebenst mitzuteilen: Im 3. oder 4. Kriegsjahre tauchte in Vaduz einmal das Gerücht auf, der Fürst [Johann II.] habe dem Pabste [Benedikt XV.] in der Burg zu Vaduz eine Zuflucht angeboten. Dieses Gerücht entstand meinem Vernehmen nach daraus, dass im schweizerischen Rheintale einige Realitäten zu erhöhten Preisen verkauft worden waren. Diese durch die allgemeine Steigerung der Bodenwerte bedingte Erscheinung brachten einige phantasievolle Liechtensteiner mit gleichzeitigen Zeitungsnotizen in Zusammenhang, wonach sich in Rom die Volksstimmung gegen den Pabst erhoben habe und zwar wegen dessen angeblichen Sympathien für die Zentralmächte. Es hiess daher, hinter den erwähnten Grundkäufen stecke der hohe Clerus und pabstreuer Adel, der dem heiligen Vater in seinem Zufluchtsorte nahe sein wolle. Für den Pabst käme nämlich nur ein neutrales, katholisches Land in Betracht, wenn er aus Rom fliehen müsse – da sei eben Liechtenstein der geeignetste Boden. Die Gescheitesten sahen Liechtenstein schon als neuen Kirchenstaat. Dass an den erwähnten Gerüchten irgend etwas daran sei, war mir ganz neu. Ich betrachtete sie als müssige Combination der Liechtensteiner, von der ich schon manche Probe kennen gelernt hatte. Das Gerücht erhielt sich nur ganz kurz. Es erinnert mich an die köstliche Episode, wo eines Tages, nachdem [Ludwig von] Alexy bei uns zu Besuch eingetroffen war, der Vorsteher von Vaduz in schwarzem Rock und grosser Empörung zu mir ins Bureau kam, ob es denn wahr sei, dass Alexy als Emissär der österr. Regierung gekommen sei, um mit mir wegen Übernahme des Landes in österr. Verwaltung zu verhandeln! [3]

Ich benütze gern diesen Anlass, um dir zugleich für deine überaus gnädigen Mitteilungen vom 20. Oktober meinen tiefgefühltesten Dank zu sagen. [4] Deine von wahrhafter Freundschaft getragenen Worte lassen mich hoffen, dass es deinen gütigen Bemühungen gelingen wird, die Angelegenheit betreffs der allfälligen Versorgung meiner Hinterbliebenen in Bälde in günstiger Weise zu finalisieren. Dass ich mich bezüglich der Haltung der Hofkanzlei mir gegenüber geirrt habe, ist mir sehr erfreulich. Wegen eines Zuschusses für meinen Sohn Hermann bitte ich sehr, dich nicht weiter zu bemühen, ich möchte es um jeden Preis vermeiden, den Fürsten, der mir so viel Gutes getan hat, ungebührlich zu behelligen und ihm gegenüber als aufdringlicher Bittsteller zu erscheinen. Mit der erneuerten Versicherung meiner dankbarsten und vollsten Ergebenheit dein

untertäniger

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[1] LI LA V 003/0118. Eingangsstempel der Gesandtschaft Wien, wo das Schreiben am 3.11.1920 unter Nr. 760/2 einging.
[2] LI LA PA 001/0021/08, Prinz Eduard an Imhof, 27.10.1920.
[3] Alexy weilte Ende Juli 1915 in Vaduz (L.Vo., Nr. 31, 30.7.1915, S. 2 ("Personalien")). Falls dieser Besuch angesprochen ist, handelt es sich beim erwähnten Vorsteher um Adolf Real.
[4] Nicht aufgefunden. Zur Frage der Regelung der Pension Imhofs vgl. LI LA V 003/1138-1142.