"Der Bund" kritisiert das mangelnde Entgegenkommen Liechtensteins für die schweizerischen Lebensmittellieferungen


Wiedergabe eines Artikels aus der Berner Tageszeitung "Der Bund" in den "Oberrheinischen Nachrichten" mit einem Kommentar [1]

4.11.1916

"Teuerung im Fürstentum Liechtenstein"

Unter diesem Titel bringt der "Bund", Nr. 509, 3. Seite, [2] folgendes:

"Zu unserer Mitteilung in Nr. 503 des "Bund" [3] schreibt man uns von der liechtensteinischen Grenze:

Es ist kein Zweifel, dass auch Liechtenstein dies Jahr für den eigenen Gebrauch zu wenig Obst und Kartoffeln geerntet hat, ganz wie im angrenzenden Kanton St. Gallen. Anfänglich wurde aus dem Rheintal dennoch Obst nach Liechtenstein ausgeführt, das aber, wie man nachher erfuhr, nicht daselbst zur Verwendung gelangte, sondern, wenigstens zum Teil, mit grossem Gewinn nach Österreich abgegeben wurde. Was die Kartoffeln anbelangt, so hat Liechtenstein noch grosse Flächen sehr guten, aber unbepflanzten Bodens. Hier hat es nur an der nötigen Organisation gefehlt, um Liechtenstein zu einem Exportland zu machen, Die Schweiz hat an seine Nachbarn bisher Lebensmittel abgegeben, ohne sichtliches Entgegenkommen zu ernten oder Dank zu erwarten. Das kleine Liechtenstein führte im vergangenen Jahr etwa 1200 Stück Zucht- und Schlachtvieh nach Österreich aus und zwar zu ganz enormen Preisen, so dass sich die Bauersame tüchtig erholen konnte. Die Schweiz war dann so freigebig, von ihrem Bestande den liechtensteinischen Viehstand wiederholt zu ergänzen. An der Ostgrenze findet man allgemein, dass die Schweiz nicht für den liechtensteinischen Handel da sei. Ein grösserer Notstand als wir ihn in der Schweiz haben, ist in Liechtenstein schliesslich auch nicht vorhanden."

(Wir überlassen es dem Leser zu beurteilen, inwieweit diese vielsagende Notiz einer grossen und angesehenen Zeitung ihre Berechtigung hat. – Dass im Kartoffelbau noch mehr getan werden könnte, ist richtig – aber nötiger noch ist der vermehrte Anbau andern Getreides. – Geschmerzt hat es uns, dass wir vom liechtensteinischen Undank lesen mussten! Unrichtig ist an der Notiz, dass der Notstand nicht grösser sei als in der Schweiz. Wer kann noch so etwas behaupten? D. R. [Die Redaktion]) [4]

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[1] O.N., Nr. 45, 4.11.11916, S. 2.
[2] Der Bund, Nr. 509, 29.10.1916, S. 3. Ein Exemplar des Artikels unter LI LA SgZs 1916.
[3] Der Bund, Nr. 503, 25.10.1916, S. 2. Ein Exemplar des Artikels unter LI LA SgZs 1916. Der "Bund" hatte gemeldet, es herrsche Obst- und Kartoffelmangel in Liechtenstein.
[4] Auch das "Liechtensteiner Volksblatt" liess den Artikel aus dem "Bund" nicht unkommentiert und veröffentlichte am 17.11.1916 einen ursprünglich in den "Neuen Zürcher Nachrichten" erschienenen Artikel eines in Liechtenstein lebenden Schweizers, in dem dieser den Vorwurf des Undanks zurückwies (L.Vo., Nr. 46, 17.11.1916, S. 2 ("Zur Teuerung im Fürstentum Liechtenstein")). In der Schweiz stand der unbekannte Urheber der Vorwürfe mit seiner Meinung offenbar keineswegs allein, vgl. etwa LI LA SF 13/1916/3960 ad 31/1053, Edmund von Tscharner an Landesverweser Leopold von Imhof, 4.11.1916.