Die Hofkanzlei ersucht die Regierung, Prinz Eduard, den designierten Liechtensteiner Gesandten in Wien, und seine Familie in das liechtensteinische Staatsbürgerrecht aufzunehmen


Schreiben der Hofkanzlei, gez. Hermann von Hampe, Leiter der Hofkanzlei, an die Regierung [1]

26.4.1919, Wien

In der Anlage ./. wird der fürstlichen Regierung unter Bezugnahme auf das Schreiben Seiner Durchlaucht des Herrn Landesverwesers [Prinz Karl] an Prinz Eduard vom 19/IV. I.J. [2] eine Abschrift der an das Staatssekretariat des Äussern in Wien gerichteten Zuschrift betreffend die Schaffung einer fürstlich Liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien zur Kenntnisnahme übermittelt. [3] Hiezu wird bemerkt, dass Seine Durchlaucht Prinz Eduard Liechtenstein anlässlich seiner Besprechung im Gegenstande im Staatsamte des Äussern die prinzipielle Geneigtheit zur Errichtung dieser Gesandtschaft gefunden hat und die Betrauung seiner Person mit diesem Posten von dort aus sogar angeregt wurde. Es ist daher anzunehmen, dass dem gestellten Verlangen baldigst Folge geleistet werden wird und dass Seine Durchlaucht, der regierende Fürst [Johann II.] in der Lage sein wird, das Agrément für Prinz Eduard zu verlangen.

Seine Durchlaucht Prinz Eduard legen nun Wert darauf in diesem Augenblicke bereits sich als liechtensteinischer Staatsbürger ausweisen zu können. Bei der Unterredung im Staatsamt des Äussern wurde festgestellt, dass diese Stelle den Standpunkt vertritt, dass das in Österreich erflossene Gesetz über die Abschaffung des Adels und der Titel [4] auch auf die Mitglieder des fürstlichen Hauses Geltung habe, soweit deren österreichische Staatsbürgerschaft zweifellos ist. Prinz Eduard hat aber durch Antritt des österreichischen Staatsdienstes die Staatsbürgerschaft unbedingt erworben, was von jenen Mitgliedern des Hauses, die im österreichisch-ungarischen Militärdienste gestanden sind, nach österreichischem Gesetze nicht sicher der Fall ist. Die Erwerbung der Staatsbürgerschaft im Fürstentume würde daher ganz abgesehen davon, dass der Gesandte eines Landes dessen Staatsbürgerschaft haben soll, auch dem Prinzen Eduard die Möglichkeit bieten, den Prinzentitel in Österreich zu führen, was wohl im Interesse des bei der Errichtung der Gesandtschaft vorschwebenden Zweckes gelegen ist.

Die fürstliche Regierung wird daher ersucht, namens des Prinzen Eduard um die Aufnahme in den Heimatsverband von Vaduz anzusuchen und nach Erteilung derselben die Aufnahme in den liechtensteinischen Staatsverband durchzuführen. Prinz Eduard ist geboren am 2. September 1872 in Laibach, verheiratet mit Prinzessin Olga, geb. Gräfin Pückler-Limpurg, geboren in Stuttgart am 11. April 1873 und besitzt nachstehende minderjährige Kinder:

Prinz Johannes, geb. 18/X.1898 in Salzburg,
Prinz Ferdinand, geb. 18/I.1901 in Salzburg,
Prinzessin Edina [Eduarda], geb. 16/X.1903 in Salzburg,
Prinzessin Marie Gabriele, geb. 2/V.1905 in Wien,
Prinzessin Luisanne, geb. 7/XI.1907 in Liechtenstein-Judenburg.

Ob die beiden Söhne des Prinzen ihm im Staatsbürgerrecht nach den im Gegenstande etwa mit Österreich bestehenden Verträgen folgen können oder nicht, wolle seitens der fürstlichen Regierung anher mitgeteilt werden. Da eine Wehrpflicht in Deutschösterreich derzeit nicht besteht, und die Beschränkungen der Auswanderung von Knaben über 14 Jahren nur durch die Wehrpflicht begründet war, so dürfte auch hier in dieser Hinsicht ein Hindernis nicht bestehen, es ist aber jedenfalls diese Frage von minderer Bedeutung und jedenfalls kein Anlass, die Aufnahme des Prinzen Eduard, seiner Frau und seiner Töchter nicht sofort durchzuführen, falls gegen die gleichzeitige Aufnahme der Söhne dort Bedenken bestehen sollten. [5]

Um tunlicht umgehende Berichterstattung wird ersucht.

In der Anlage ./2 wird weiters eine Abschrift der in französischer Übersetzung dem französischen Botschafter in Wien Herrn [Henri] Allizé überreichten Information in Angelegenheit der Vertretung des Fürstentums in Paris übermittelt. [6] Die Vertretung des Fürstentums durch die Schweizer Regierung, welche in einem Briefe des Herrn Landesverwesers an Prinz Eduard als eventuelle Möglichkeit ins Auge gefasst wird, hätte gewiss manches für sich, es dürfte jedoch die Vertretung des Landes durch einen eigenen Staatsbürger wirkungsvoller sein und die volle Souveränität und Selbständigkeit des Landes besser zum Ausdrucke bringen. Es dürfte sich daher empfehlen, den einmal eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen, bis nicht durch eine abschlägige Antwort seine weitere Verfolgung sich als zwecklos erweist.

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[1] LI LA SF 01/1919/017. Aktenzeichen: Nr. 4981. Aktenzeichen der Gesandtschaft Wien: Zahl 3/2. Das Schreiben langte am 3.5.1919 in Vaduz ein. Ein Entwurf unter LI LA V 003/1165. Vgl. in diesem Zusammenhang das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 28.8.1919 betreffend die Staatsbürgerschaft der fürstlichen Agnaten (LI LA LTA 1919/S04) bzw. das Gesetz vom 1.9.1919, mit dem in Bezug auf die Agnaten des im Fürstentume Liechtenstein herrschenden Fürstenhauses einzelne Bestimmungen des Gemeindegesetzes vom 24.5.1864, LGBl. 1864 Nr. 4, authentisch erklärt und ergänzt werden, LGBl. 1919 Nr. 10. 
[2] LI LA V 003/1165; LI LA RE 1919/1960 ad 71.
[3] LI LA SF 01/1919/ad 17, Hofkanzlei an Staatssekretariat des Äussern (das deutschösterreichische Staatsamt für Äusseres), 26.4.1919.
[4] Gesetz vom 3.4.1919 über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritter- und Damenorden und gewisser Titel und Würden, öst. StGBl. 1919 Nr. 211.
[5] Die Einbürgerung von Prinz Eduard und seiner Familie erfolgte sehr rasch. Landesverweser Prinz Karl teilte der Ortsvorstehung Vaduz noch am selben Tag mit, dass Prinz Eduard und seine Familie um Aufnahme in das Bürgerrecht der Gemeinde Vaduz ersuchten (LI LA SF 01/1919/017, Prinz Karl an Ortsvorstehung Vaduz, 3.5.1919; LI LA SF 01/1919/017, Telegramm Regierung an Hofkanzlei, o.D.). Bereits am nächsten Tag, dem 4.5.1919, fand eine Gemeindeversammlung statt, die mit 143 gegen 3 Stimmen bei einer Stimmenthaltung beschloss, Prinz Eduard und seine Familie in den Gemeindeverband aufzunehmen (LI LA SF 01/1919/019, Vorsteher Gustav Ospelt an Regierung, 4.5.1919; LI LA SF 01/1919/019, Telegramm Regierung an Hofkanzlei, o.D.; LI LA SF 01/1919/019, Regierung an Hofkanzlei, 5.5.1919). Am 6.5.1919 verlieh Johann II. Prinz Eduard und seiner Familie das Staatsbürgerrecht (LI LA SF 01/1919/ad 26, Resolution Johann II., 6.5.1919). Wenig später erfolgte die Entlassung aus dem österreichischen Staatsverband (LI LA SF 01/1919/020, Prinz Eduard an Regierung, 17.5.1919). Das ausserordentliche rasche Vorgehen gab Anlass zu kritischen "Eingesandt" in den "Oberrheinischen Nachrichten", vgl. O.N., Nr. 32, 7.5.1919, S. 2 ("Vaduz", "Gemeindeversammlung Vaduz").
[6] LI LA V 003/0042/001. In diesem Schreiben ersuchte Prinz Eduard Allizé um Unterstützung beim Versuch Liechtensteins, Zugang zur Pariser Friedenskonferenz zu erhalten.