Prinz Eduard begründet, weshalb er die Errichtung von liechtensteinischen Gesandtschaften für notwendig hält


Maschinenschriftliches Schreiben von Prinz Eduard von Liechtenstein, gez. ders., an Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein [1]

14.4.1919, Wien

Euer Durchlaucht!

Im Auftrage Seiner Durchlaucht, des Fürsten [Johann II.], habe ich die Ehre im Nachhange zu meiner telefonischen Mitteilung vom 13. d.M. Nachstehendes Euerer Durchlaucht zur Kenntnis zu bringen:

Die in Deutschösterreich eingetretenen Verhältnisse, nicht zuletzt das bereits beschlossene Gesetz über die Aufhebung der nicht im Völkerrecht begründeten Exterritorialität, [2] nicht weniger aber auch die in Vorbereitung befindlichen Gesetze über die Einziehung von Grund und Boden und über die Aufhebung der Fideikommisse, über deren Inhalt und Tragweite ein sicheres Urteil derzeit unmöglich gewonnen werden kann, drängen immer mehr den Gedanken auf, dass es notwendig sei, dass der regierende Fürst im Interesse der Aufrechterhaltung seiner Souveränität und der souveränen Stellung des Landes an die Bestellung von Gesandten herantrete.

Die Aufgabe dieser Gesandten wäre die Vertretung der kommerziellen Interessen des Landes, sowie dessen Bewohner, beziehungsweise Angehörigen im Auslande, zugleich aber auch wenigstens in Deutschösterreich oder Čecho-Slavien die Vertretung der Interessen des fürstlichen Hauses und seines Immobiliar-Besitzes im ehemaligen Österreich.

Die Vertretung der Interessen der liechtensteinischen Staatsbürger im Auslande, die bisher durch die k.u.k. auswärtigen Vertretungen erfolgte, weiterhin dem Staatssekretariat des Äusseren in Wien zu überlassen, hat keine rechte Begründung. Der eventuelle Anschluss Deutschösterreichs an Deutschland wird diese Frage erst recht schwierig gestalten und jedenfalls haben die politischen Umwälzungen der ehemaligen österreichischen Monarchie eine ganze Reihe von Verhandlungen zur notwendigen Folge, die das künftige Verhältnis des Fürstentumes zu Deutschösterreich auf dem Gebiete des Zoll-, Währungs-, Postwesens und der Handelsverträge nach Bedarf regeln. Auch die Versorgung des Fürstentums mit den erforderlichen Cerealien und mit Zucker wird wohl nur durch freundschaftliche Beziehungen zum čecho-slovakischen Staate möglich sein, da Deutschösterreich als getreideproduzierendes Land nicht in Frage kommen wird.

Dass der Gedanke der Bestellung liechtensteinischer Gesandtschaften oder Konsulate, welcher schon im Jahre 1896 in einem Gutachten über die Souveränität des Hauses Liechtenstein angeregt und besprochen wurde, [3] den Intentionen des Landes entsprechen dürfte, beweist der in No. 23 der Oberrheinischen Nachrichten vom 5. April 1919 enthaltene Leitartikel. [4] Schon vorher wurde die bezügliche Anregung meinerseits Seiner Durchlaucht unterbreitet und habe ich diesbezüglich mit dem Staatssekretariat des Äussern in Wien Fühlung genommen, und dort eine Geneigtheit, dem Projekte zuzustimmen, gefunden. Ganz unabhängig davon hat die fürstliche Beamtenschaft spontan eine diesbezügliche Anregung für die Čecho-Slovakei gegeben und erblickt darin eines der wesentlichsten Mittel, um den Familienbesitz vor Enteignung oder wenigstens grosser Schädigung zu bewahren, eine Frage, an der nicht nur die Mitglieder der Familie, sondern in hohem Masse auch die Bewohner des Landes interessiert sind, die an dem Reichtum, an dem Glanze der Familie in hohem Masse teilnehmen.

Gedacht wäre zunächst die Bestellung eines Gesandten, der gleichzeitig bei den Regierungen in Wien und Prag akkreditiert wäre. Daneben müsste in Prag ein der čechischen Sprache vollkommen mächtiger Konsul ernannt werden. Ausserdem käme zunächst die Ernennung eines Konsuls oder Gesandten in Bern in Frage.

Die Besetzung dieser Posten mit Liechtensteiner Staatsbürgern wäre naturgemäss äusserst wünschenswert. Für Bern dürften Euere Durchlaucht mit Leichtigkeit eine geeignete Persönlichkeit in Vorschlag bringen können. Schwieriger ist die Frage für Wien und Prag und insbesondere bezüglich Prag wäre wenigstens für die nächste Zeit die Bestellung eines Honorar-Konsuls, also eines Nicht-Liechtensteiners aus Kreisen der Advokaten oder der Industrie sehr wünschenswert, weil ein der böhmischen Sprache mächtiger und mit den lokalen Verhältnissen einigermassen vertrauter Liechtensteiner kaum sofort zur Verfügung stehen würde. Für den Gesandtenposten käme vielleicht ein Mitglied des fürstlichen Hauses selbst am besten in Betracht, welches durch seine persönliche Stellung sich die im Interesse des angestrebten Zweckes notwendige Position sowohl bei den Behörden, als vor allem im übrigen diplomatischen Korps verschaffen wird, die ihm bei der Kleinheit des Landes und der Schwierigkeit mit Repressalien zu drohen, sonst vielleicht leicht fehlen könnte.

Die finanzielle Seite der Besoldung dieser neuen Funktionäre, für die wohl je 25'000 bis 30'000 Kronen in Aussicht genommen werden muss, würde der Fürst im Wesen aus eigenen Mitteln tragen. Immerhin wäre es wünschenswert, zumindest einen Teil der Entlohnung grundsätzlich aus Landesmitteln zur Verfügung zu stellen. Euere Durchlaucht werden daher ersucht, mit tunlichster Beschleunigung festzustellen, ob im Lande für das Projekt Verständnis und Sympathie besteht und welche Mittel vom Lande hiefür zur Verfügung gestellt werden können. Endlich wollen Euere Durchlaucht sich über die etwa in Frage kommenden Persönlichkeiten äussern. Euere Durchlaucht möchten jedoch sich vor Augen halten, dass wenn in der gedachten Massnahme ein Erfolg für den Familienbesitz erzielt werden soll, die rascheste Durchführung von besonderer Bedeutung ist, und Seine Durchlaucht, der Fürst, möglichst gleich nach Ostern um die Akkreditierung des Gesandten in Wien und in Prag einkommen müsste.

Genehmigen Euere Durchlaucht den Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochachtung

Euerer Durchlaucht

ergebener

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[1] LI LA V 003/1165. Aktenzeichen: Nr. 3/1a. Das Schreiben wurde am 14.4. abgeschickt und langte am 18.4.1919 bei der Regierung ein (LI LA SF 01/1919/015a). Dem Schreiben lagen zwei Beilagen bei: Prinz Eduard an Prinz Karl, o.D.; Prinz Eduard an Franz Klein im Staatssekretariat des Äussern (das deutschösterreichische Staatsamt für Äusseres), 14.4.1919 (LI LA V 003/1165; LI LA SF 01/1919/ad 015a)
[2] Gesetz vom 3.4.1919 über die Abschaffung der nicht im Völkerrecht begründeten Exterritorialität, öst. StGBl. 1919 Nr. 210.
[3] Wohl das "Gutachten über einzelne Fragen bezüglich der Eheschliessung, Ebenbürtigkeit, Sukzession, Titel und Wappen im souveränen fürstlichen Hause Liechtenstein" von Graf von Pettenegg vom 15.1.1895 (AT HALW, Karton 35; Kopie in LI LA SgK 410). In diesem Gutachten wird darauf hingewiesen, dass Liechtenstein in "selbstmörderischer Bescheidenheit" bisher stets auf die Bestellung von Gesandten verzichtet habe, obwohl dies für "ein regierendes Haus […] zu den Konsequenzen und zu den unvermeidlichen Abzeichen [...] der Souveränität" gehöre (a.a.O., S. 11).
[4] O.N., Nr. 23, 5.4.1919, S. 1 ("Landeswochenschau").