Theodor Goering kommetiert die Uraufführung der VII. Symphonie von Anton Bruckner in München in der Augsburger Abendzeitung.


München, 11. März [1885]

Das gestrige Akademie-Konzert brachte uns in seiner zweiten Abtheilung ein höchst merkwürdiges Ereignis in Gestalt einer neuen Sinfonie aus E-dur von Anton Bruckner. Wer ist Bruckner? frug man sich im Publikum, als das Programm erschienen war. Das Gerücht bezeichnet ihn als einen alten Herrn und Organisten aus Wien; was über sein Werk verlautete, war sehr widersprechender Art; auch wissen wir ja, dass man sich in solchen Dingen zumeist nur auf seine eigenen Ohren verlassen kann. Auf etwas Besonderes musste man aber doch gefasst sein, denn es kommt (berechtigter Weise) just nicht alle Tage vor, dass sich die Pforten unserer Musikalischen Akademie dem Werke eines unbekannten Komponisten öffnen, sofern derselbe nicht etwa ein Sohn unserer Stadt, oder zum mindesten ein Zögling unseres Konservatoriums ist. Sagen wir es gleich, dass sich die Neugierde in Staunen wandelte beim Anhören des Werkes. Wie war es möglich, dass eine solche Sinfonie geschrieben werden konnte, als Nr. 7 ihres Stammes, von einem Manne, von dem man garnichts weiss! Es passieren doch merkwürdige Dinge! Wenn bei uns zu Lande ein Musiker geboren wird, dem wirklich etwas Neues und Eigenthümliches einfällt, und welcher der Vorzeigung als Wunderkind glücklich entgangen ist, so wird derselbe ganz gewiss als Konservatorist schon ein berühmter Mann, dessen Ruhm an urbi et orbi verkündet. In dem Musiklande par excellence aber, in Österreich, scheint es landesübliche Spezialität zu sein, dass man die Talente zu hohen Jahren kommen lässt, bevor man sie in den heutigen Tags so billigen Lorbeer einbettet. […]

[Es folgt eine eingehende Würdigung der Komposition].

Die Aufnahme des Werkes war eine glänzende, welche sich am Schluss zu einer wahren Exstase steigerte; allerdings war selbige zum Theil provoziert und wirksam unterstützt von einem kleinen Häuflein getreuer Schüler, welche den Tondichter zur Aufführung seines Werkes von Wien aus hierher begleitet hatten. Das Überraschendste war vielleicht der Anblick des Komponisten selbst, welcher auf dem Podium dem Publikum Dank zuwinkte: ein spärlich behaarter, jovialer, alter Herr, mit einem Charakterkopf à la Eduard Grützner (nämlich dessen Klosterherren), dem gewiss niemand zutrauen würde, dass er als biederer Organist so sehr von den Pfaden Job. Sebastian Bach's abweicht, um sich der graussigsten Revolution in die Arme zu werfen.

 

 

 

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