Rekurs von Nora Sekerka-Bajbus an die schweizerische Rekurskommission für Nationalisierungsentschädigungen wegen Enteignung durch Polen


Rekurs von Gräfin Nora Sekerka-Bajbus an die schweizerische Rekurskommission für Nationalisierungsentschädigungen in Bern (Abschrift), gez. Rechtsanwalt Walter Rothholz [1]

4.5.1954, München

Betrifft: Entschädigungsansprüche der Gräfin Nora Sekerka-Bajbus, s.KNE.POL.II.A.8

Gegen den Entscheid der Kommission für Nationalisierungsentschädigung vom 26.4.1954 [2] lege ich hiermit

Rekurs

ein.

Der Rekurs wird darauf gestützt, dass der angefochtene Entscheid insofern auf einer Rechtsverletzung beruht, als er als das schädigende Ereignis, durch das das Rittergut Schön-Steine betroffen worden war, das polnische Dekret vom 6.5.1945 betrachtet, das die Stellung des deutschen Vermögens in Polen und in den de facto unter polnischer Verwaltung stehenden ehemals deutschen Gebieten unter national[e] Verwaltung anordnete. Nach der Meinung des angefochtenen Entscheids ist diese Verordnung deswegen das schädigende Ereignis, weil deutsche Staatsangehörige, die durch sie betroffen wurden, kein Restitutionsbegehren stellen konnten und somit die Nationalverwaltung solange andauerte, bis durch ein weiteres Dekret vom 8.3.1946 die entschädigungslose Konfiskation des deutschen Eigentums angeordnet wurde. Der Entscheid zieht hieraus die Folgerung, dass die Nationalverwaltung des deutschen Besitzes nicht nur provisorischen Charakter hatte, sondern bereits eine Besitzentziehung in der Absicht späterer Enteignung durch den polnischen Staat bedeutete, sodass sich das Dekret vom 8.3.1946 nur als eine formale Sanktionierung eines bereits bestehenden Zustandes darstellt.

Diese Rechtsauffassung ist irrig und eine Rechtsverletzung, weil sie auf einer unrichtigen Beurteilung der Rechtsnatur der beiden polnischen Dekrete beruht.

Die Stellung unter Nationalverwaltung ist eine aus dem 1. Weltkrieg wohlbekannte Sequestration, die das Eigentumsrecht unangetastet lässt und nur eine Verfügungsbeschränkung bedeutet. Im vorliegenden Fall hatte sie deswegen keine schädigenden Folgen haben können, weil das Eigentum beim Eigentümer verblieb und dieser überdies gar keine Verfügungen, z.B. neue Belastungen, Löschungen von Belastungen, Verkauf oder teilweiser Verkauf, treffen wollte. Dass das Dekret vom 6.5.1945 die Restitution ausschloss, ändert hierin nichts, es bedeutet nur, dass der deutsche Eigentümer nicht damit rechnen konnte, wieder unbeschränktes Eigentum erwerben zu können. Während der Zeit der Nationalverwaltung wurde diese für seine Rechnung geführt und er konnte bis zu einer anderwertigen gesetzlichen Regelung jedenfalls damit rechnen, entschädigt zu werden. Dies alles wurde erst [durch das] Dekret vom 8.3.1946 anders. Durch dieses Dekret wurde dem Eigentümer sein Eigentum ungültig genommen und ihm eine Entschädigung versagt. Hieraus erhellt, dass erst das Dekret vom 8.4.1946 das schädigende Ereignis gewesen ist, das, da inzwischen der Erblasser der Ansprecherin am 20.12.1945 verstorben war, Liechtensteinische Interessen berührte, weil die Ansprecherin durch den Todesfall zu einem Drittel Erbin des Verstorbenen geworden war. Wäre die im Entscheid zum Ausdruck gekommene Auffassung richtig, so würde das Dekret vom 8.3.1946 überflüssig gewesen sein, soweit es die Konfiskation aussprach. Die Tatsache seines Erlasses bestätigt die hier vorgetragene Rechtsauffassung.

Der angefochtene Entscheid übersieht ferner, dass das Dekret vom 8.4.1946 als solches bereits völkerrechtswidrig ist und deshalb den polnischen Staat zu Schadenersatz verpflichtet. Durch die Potsdamer Beschlüsse vom 2.8.1945 ist nur die Besetzung des ehemals deutschen Gebietes zwecks Verwaltung durch die polnischen Behörden gutgeheissen worden. Es handelt sich um einen de facto Zustand, der, solange kein Friedensvertrag vorliegt, unter die Bestimmungen der Haagerlandkriegsordnung fällt. Diese aber verbietet jede Veränderung des gesetzlichen Status im besetzten Gebiet. Eine hiergegen verstossene Massnahme fällt unter Artikel 1, Nr.1 des schweizerisch-polnischen Abkommens vom 25.6.1949, da sie liechtensteinische Interessen berührte.

Der Entschädigungsanspruch vom 27.6.1953 betreffend die Liegenschaften in Breslau ist nicht verspätet, weil die Ansprecherin erst im Sommer 1953 während des Erbscheins-Verfahrens nach ihrem Bruder erfahren hatte, dass dieser Liegenschaften in Breslau besass bzw. an solchen beteiligt gewesen war. Unmittelbar nachdem sie das erfahren hatte, ist der Anspruch geltend gemacht worden. Gegebenenfalls wird unter diesen Umständen um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gebeten. Es kann der Ansprecherin nicht zur Last gelegt werden, dass sie infolge der schlechten Verbindung mit Polen erst so spät Kenntnis von diesen Dingen erhalten hat.

Zur Frage der Rechtnatur der beiden vorerwähnten polnischen Dekrete bleibt vorbehalten, ein Gutachten eines schweizerischen Juristen nachzureichen. Es wird deswegen gebeten, einstweilen über den Rekurs nicht zu entscheiden.

Im Rekursverfahren werden die gleichen Anträge gestellt wie in den Schriftsätzen vom 28.5. [3] und 27.6.1953. [4]

 

 

 

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[1] LI LA RF 246/079/007/019. Siehe das Begleitschreiben für die gegenständliche Abschrift von Gräfin Sekerka-Bajbus an Regierungschef Alexander Frick vom 11. Mai 1954, in welchem sie die Regierung um "wohlwollende Unterstützung" bei der schweizerischen Rekurskommission bittet (LI LA RF 246/079/007/021). Am 1. Juni 1954 lehnte jedoch die Gesandtschaft in Bern eine Intervention zugunsten von Sekerka-Bajbus ab (LI LA RF 246/079/007/029).    
[2] Siehe LI LA RF 246/079/007/017, vgl. ferner die Entscheidung der Kommission für Nationalisierungsentschädigungen vom 27. Juni 1952 (LI LA RF 246/079/005/045).
[3] Dieser Antrag befindet sich nicht im Akt mit der Signatur LI LA RF 246/079.
[4] Siehe LI LA RF 246/079/006/026. Der Ausgang des Verfahrens in der Schweiz bzw. vor der Rekurskommission für Nationalisierungsentschädigungen ist ungewiss. Diesbezügliche Dokumente fehlen in der Akte LI LA RF 246/079. Zum Fortgang des parallel laufenden Entschädigungsverfahrens der Familie Sekerka-Bajbus in der Bundesrepublik Deutschland siehe etwa das Schreiben von Alexander Sekerka-Bajbus an Regierungschef Alexander Frick vom 5. Dezember 1954 (LI LA RF 246/079/007/052). Nora Sekerka-Bajbus verstarb am 19. September 1956 (LI LA RF 246/079/009/033).