Die Oberrheinischen Nachrichten berichten über den ersten liechtensteinischen Katholikentag am 8.9.1921 (Teil IV/Schluss: Reden von Prälat Anton Gisler und Natioanlrat Josef Scherrer)


Zeitungsbericht, nicht gez. [1]

1.10.1921

Liechtensteinischer Katholikentag

(Fortsetzung der Rede des Bischofs.) [2]

(Schluss.)

Redner kommt auf die praktische Betätigung der Männer zu sprechen. Die katholischen Männer sollen im Leben wahrhaftig sein, tüchtig arbeiten; der Zauberstab der Arbeit werde seine besonderen Wirkungen in den Händen eines geschulten und gesunden Geschlechtes zeigen. Die Männer und Jünglinge sollen gut und mildtätig sein. Jünglinge sollen besonders die Gesinnung der Mildtätigkeit betätigen, und die Brüderschaft der Enggenähten fliehen, verbindet edle Kameradschaft, geisselt die Eigennützigkeit. Auch im Gemeinwesen solle man sich sozial und sachlich betätigen und nicht nach persönlichen Rücksichten und Interessen entscheiden. Das letztere bringe einem Gemeinwesen den Untergang. Er sage, es lebe der edle Wettbewerb, der Wetteifer, aber Krieg aller unedlen, niedrigen Leidwerkerei. Diese Gesinnung wollen wir festhalten, sie wird den Zauberstab des Erfolges bringen. Treue zum Glauben, zur Kirche, tüchtiger Unternehmungsgeist, wenn auch der eine oder andere dabei auf dem Schlachtfeld verblute. Bei Betätigung dieser Gesinnung werde sich das Wort der Vorsehung erfüllen, Freund steige höher hinauf und der Erfolg wird blühen. Er richte diese Worte insbesondere an den katholischen Frühling dieses Landes.

Schulung sei im katholischen Volke notwendig. Es bedarf immer noch mehr Schulung in Landwirtschaft, Handwerk, Hauswirtschaft. Mehr Schulung, ohne gerade auf den Schulbänken herumzurutschen, mehr praktische Schulung in der Fortbildungsschule des Lebens. Gesunde, tüchtige, glaubensfeste Männer sei der Reichtum eines Landes. Solche Männer mögen herausblühen aus der Jugend des Landes. (Reicher Beifall.)

Nationalrat [Josef] Scherrer St. Fiden führte in seiner Rede über die soziale Frage u.a. aus: Er überbringe als Nachbar die St. Galler Grüsse (Beifall). Es scheine ja, dass die bisherigen Bande der Freundschaft, aber auch die wirtschaftlichen Beziehungen in nächster Zukunft sich noch enger gestalten.

Er möchte auf Einladung über einige soziale Fragen sprechen. Heute drohe die stürmische Welle der sozialen Revolution. Die Gegenwart bewahrheite einen Ausspruch des spanischen Staatsmannes und Philosophen Donoso (Cortes). – Es sei eine tiefe Kluft zwischen der materiellen und inneren Kultur vorhanden. Man vergesse heute das Wichtigste, die Seele im Menschen. Niemals werde die Menschheit glücklich sein, wenn sie die höchsten Güter übersehe. Ohne Sittlichkeit kann keine soziale Ordnung und kein sozialer Friede entstehen. Liberalismus und Sozialismus haben versucht, die gewaltigen Probleme der Menschheit, die soziale Frage, ohne Gott und Kirche zu lösen. Die Folgen zeigen sich heute. Es bestehe für das katholische Volk die Gefahr, dass es den Schlagworten unterliege und so sei wohl eine Mahnung am Platze, alles ruhig und nüchtern zu überlegen.

Soviele Lösungsversuche der sozialen Frage in der Gegenwart seien gescheitert, weil sie ohne Gott und Kirche vorgingen. Redner beruft sich auf die Arbeiterenzyklika Rerum novarum Leo XIII. Die Geschichte des Papsttums und der katholischen Kirche sei die Geschichte der sozialen Grosstaten.

Nur in christlichem Geiste könne eine Wiederherstellung des öffentlichen u. privaten Lebens stattfinden. Ohne Selbstreform gibt es vor allem keine Sozialreform. Die moderne Welt übersehe, dass zu einem friedlichen sozialen Zusammenwirken die Erfüllung der Pflichten gegen Gott, den Nächsten und sich selbst gehöre. Der Weg zum Wiederaufstieg sei der Weg der sittlichen und religiösen Wiedererneuerung. Die göttliche Weltordnung, das Weltgesetz, die zehn Gebote müssen eingehalten werden.

Den Katholiken mache man so oft Vorwürfe. Ist es denn ein Verbrechen, katholisch zu sein? Redner kommt dann auf die Arbeit als sittliche Pflicht, auf die Eigentumsfrage, deren Feinde Kapitalismus und Sozialismus seien und auf den Gedanken der Ständeversöhnung zu sprechen. Er verurteilt besonders d. Klassenkampf, der ein schleichendes Gift an den Völkern geworden. Zum Schlusse ermahnt Redner die Arbeiter, keiner sozialistischen, sondern nur katholischen Organisationen beizutreten. (Beifall.)

Aus den hier mitgeteilten Reden wolle der freundl. Leser selbst entnehmen, inwieweit das bekannt gemachte Versprechen, am Katholikentage solle nicht politisiert werden, eingehalten worden ist.

Zum Schlusse noch eine Bemerkung. Der Landtag wurde zum Katholikentag eingeladen. Kein einziger Redner hat ihn begrüsst, während doch sonst alles begrüsst worden ist. Wohl aber hat ein Redner herbe Worte des Tadels gefunden. In Zukunft wird sich wohl jeder Abgeordnete selber überlegen, inwieweit er als Mitglied des Landtages sich an solchen Veranstaltungen beteiligen will. Grad an bitz meh wärd ischt de jeder au no!

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[1] ONa 1.10.1921, S. 1. Vermutlicher Verfasser Dr. Wilhelm Beck, vgl. letzten Satz zum Selbstwertgefühl der Abgeordneten im Triesenberger Dialekt.
[2] Richtig: Fortsetzung der Rede von Prälat Anton Gisler.