Bischof Georg Schmid von Grüneck kritisiert verschiedene Punkte im Gesetzentwurf der Regierung für eine Kongruaregelung als kirchenrechtswidrig


Handschriftliches Schreiben des Churer Bischofs Georg Schmid von Grüneck, gez. ders., an die liechtensteinische Regierung [1]

15.12.1916, Chur

Hochgeachteter Herr Landesverweser [Leopold von Imhof]!

In der gestrigen Sitzung des bischöfl. Ordinariates ist der Gesetzesentwurf über die Congrua, den Sie uns zuzustellen die Güte hatten, [2] zum Gegenstand reiflicher Beratung gemacht worden. 

Wir beehren uns, die gefallenen Vota der Referrenten und der übrigen geistl. Räte in Folgendem zusammenzufassen.

I. Allgemeines

Die gute Absicht, das Einkommen der Geistlichkeit im Fürstentum Liechtenstein einigermassen aufzubessern, wird allseitig anerkannt und bestens verdankt.

Der Gesetzesentwurf erweckt aber als Ganzes den Eindruck, dass der Staat darin des öftern über Dinge legiferiert, die in der katholischen Kirche ausschliesslich der kirchlichen Jurisdiktion unterstehen – worüber wir unten im Einzelnen handeln werden.

Nach der juristischen Seite hin besteht eine Unklarheit, die wenigstens bezüglich des Charakters des Fondes gehoben werden soll. 

Nach allgemein anerkannten juristischen Grundsätzen ist ein Fond, dessen Erträgnisse dauernd einem bestimmten Zwecke dienen sollen, eine Stiftung & als solche eine juristische Persönlichkeit. [3] Dass der Zweck die Seele der Stiftung ist, ist der juristischen Welt seit Erscheinen des bekannten Buches "Der Zweck im Rechte" [4] allgemeines Axiom.

Ist nun der Zweck der Stiftung ein weltlicher, so ist die Stiftung eine staatliche; ist der Zweck der Stiftung ein kirchlicher, ist auch die Stiftung als eine kirchliche zu bezeichnen. [5]

Juristisch richtig wäre es also, den zu gründenden Congrua-Fond als eine kirchliche Stiftung zu bezeichnen, über welche Sr Durchlaucht, dem Fürsten [Johann II.], Patronatsrechte sammt der Verwaltung & mit Zustimmung der kirchlichen Organe auch die Verteilung der Erträgnisse innerhalb des Stiftungszweckes zustünde. [6] Diese Lösung ist die einzige, welche dem juristischen Denken & den Lehren der heutigen Rechtswissenschaft entspräche (cf. Dr. Lampert, Die kirchl. Stiftungen, 1912). [7] [8]

Wenn aber die fürstliche Regierung den Standpunkt der kirchlichen Stiftung durchaus ablehnt (S.D. der Fürst selbst hat dies nicht getan, sonst hätte er die Hofkaplaneien in Vaduz & Schaan nicht als kirchliche Stiftungen errichtet), so soll doch wenigstens die Natur des Fondes dahin präcisiert werden, dass dem Fonde Stiftscharakter zukommt – so dass er nicht von heute auf morgen wieder eingezogen oder dessen Zweckbestimmung willkürlich geändert werden kann. Daher der Beisatz im Art. 1 Fond "mit Stiftscharakter". Ob nun dieser Fond Religionsfond heisst oder Congruafond ist gleichgültig; aber einen Namen sollte er haben.

II. Besonderes

Im Gesetzentwurf sind einzelne Bestimmungen, welche direkt dem katholischen Kirchenrechte widersprechen und die deshalb für uns leider nicht annehmbar sind. Diese zu modifizierenden Bestimmungen betreffen:

1. Die Messstipendien (Art. 4). Die Anschauung, als ob diese in die Congrua des Inhabers einer Pfründe – eines Benefiziaten – einzurechnen sind, ist eine unkirchliche Anschauung. Sie widerstreitet dem ius comune der kath. Kirche, welche die Messstipendien – seien es Stipendien für Manualmessen oder für gestiftete Messen (anniversaria) – konstant als Eleemosynae [9] bezeichnet und sie deshalb nicht zum Benefizium rechnet. Nach kirchlichem Recht haben die Messstipendien überhaupt mit der Pfründe nichts zu schaffen, was auch daraus hervorgeht, dass die Messstiftungen nicht bei der Pfründe, sondern bei der betreffenden Kirche gestiftet werden.

Desgleichen steht obige Anschauung im Widerspruche mit dem ius particulare des Bistums Chur, das nicht gestattet, dass Messstipendien – eben weil Almosen – zur Congrua gerechnet werden.

Soweit es uns möglich ist, kommen wir den Wünschen der hohen Regierung entgegen & wollen schliesslich zustimmen, dass die Missae pro populo, trotz mehrerer Gegengründe, im Verzeichnis der Revenuen nicht in Abzug gebracht werden.

Aber in Bezug auf die Messstipendien können wir unmöglich den kirchlichen Standpunkt aufgeben, der da ist: Messstipendien gehören nicht zur Congrua.

Da aber Sie, hochverehrter Herr Landesverweser, den Wunsch äusserten, die Messstipendien möchten im Gesetz nicht genannt, sondern umschrieben werden, hat die Ordinariats-Sitzung vom 14. ds. Mts. diesem Wunsche Rechnung getragen & folgendes beschlossen:

Im Art. 4 (A.L. [10] 4) ist nach Opfergelder beizufügen "oder sonstige freiwillige Gaben" – worunter auch die von den Gläubigen oder von der bischöfl. Kanzlei freiwillig gegebenen Stipendien für Manualmessen zu verstehen sind.

Dem Wortlaut des Art. 4 (A.L. 5) aber hat das bischöfliche Ordinariat zuzustimmen beschlossen, in dem Sinne, dass der Wortlaut selbst ausschliesst, dass die Stipendien für Stiftmessen zur Congrua des Benefiziums gerechnet werden.

Der Wortlaut sagt, dass "alle weiteren mit einer Pfründe verbundenen Geldbezüge … in Rechnung zu stellen sind."

Da nun die Messstiftungen bei einer anderen juristischen Persönlichkeit errichtet sind – nämlich bei der Pfarr- oder Filialkirche – & da deshalb die Stiftmessen mit der Pfründe nichts zu schaffen haben & da der betreffende Pfarrer diese Stipendien nicht in seiner Eigenschaft als Pfrundinhaber, sondern als Rektor ecclesiae bezieht: so ist klar, dass der Wortlaut des A.L. 5 (Art. 4) die Stipendien der Stiftmessen nicht trifft. In diesem Sinne – aber nur in diesem Sinne - ist das A.L. 5 für uns annehmbar.

Besser und klarer wäre es, diese Sachen auch im Gesetze bei ihrem kirchlichen Namen zu nennen. Wenn aber Ihrerseits Gründe vorhanden sind, den Terminus technicus zu umgehen, so erklären wir uns im obigem Sinne mit Art. 4 einverstanden.

2. Im Art. 5 dürfte unseres Erachtens der Passus über die Hilfspriester, welche nicht die "volle" Jurisdiktion ausüben, fallen gelassen werden, nachdem im vorhergehenden A.L. der technisch unzweideutige Terminus eingeschoben ist "Benefiziaten".

Dagegen muss die Möglichkeit verbleiben, dass Jemand zur Erhöhung der bisherigen Congrua etwas stiftet. Wenn er dies ausdrücklich so bestimmt, so muss ihm dieses gewährleistet werden. Wir haben dies durch die Beifügung (Art. 5 A.L. 4) ausgedrückt "immerhin besondere Bestimmungen der einzelnen Stifter vorbehalten".

3. Die kirchliche Jurisdiktion betreffend (Art. 7)

Das bischöfliche Ordinariat ist nicht in der Lage, die kirchliche Jurisdiktion, die der Bischof über Veräusserung, Veränderung etc. der Kirchengüter – resp. Pfrundgüter – nach Massgabe des kath. Kirchenrechtes besitzt, mit einer andern nicht kirchlichen Instanz zu teilen.

Daher im Art. 7 die Modifikation, dass die Genehmigung von der kirchlichen Behörde ausgehen muss, dass dabei aber die fürstl. Regierung vorher bezüglich ihrer Gründe oder Wünsche zu hören ist.

4. Die Jurisdiktion des Bischofes über die Geistlichen seines Bistumes betreffend (Art. 7 & 8)

Auf die Jurisdiktion über seine Geistlichen kann ein Bischof ohne Pflichtverletzung nicht verzichten. Aus diesem Grunde hat das bischöfliche Ordinariat im Art. 7 [11] den Geistlichen die Möglichkeit des Rekurses an den Bischof offen gehalten ("Nach Erkenntniss des b. Ordinariates") & hat bei der Strafbestimmung im Art. 8 eine Fassung gesucht, die einerseits dem kirchl. Recht gerecht wird & anderseits in Bezug auf Geistliche, die eben nicht Beamte sind, mehr dem religiösen Empfinden des kath. Volkes Rechnung trägt.

Was wir noch empfehlen würden, wäre im Art. 4 A.L. 5 die Anzeigefrist so zu bestimmen, dass diese Anzeige jeweilen am Schlusse des Jahres z.B. im Dezember stattzufinden hätte.

Wir beehren uns, Ihnen die Reinschrift des Entwurfes, wie er aus der Beratung des b. Ordinariates hervorgegangen ist, hier beizulegen. [12] Hieraus ersehen Sie alle modifizierten Punkte sowohl die kürzeren Beifügungen, die mehr formeller Natur sind, als jene, die grundsätzliche Bedeutung haben, & oben behandelt sind.

Wir wollen gerne hoffen, dass es der hohen Regierung gelingen wird, den Entwurf zum Gesetz zu erheben. [13] Wenn dies wider Erwarten nicht der Fall sein sollte, würden wir, als Diözesanbischof, uns gestatten, mit Sr Durchlaucht, dem hochverehrten Fürsten von Liechtenstein, einmal persönlich die Angelegenheit besprechen, um über die so notwendige Congrua-Aufbesserung im dortigen Fürstentum eine allseitig befriedigende Verständigung zu erzielen.

In aller Hochachtung verharrt der hohen Regierung

P.S. Wir bitten recht sehr um Entschuldigung, dass das Schreiben besonderer Umstände wegen erst mit einem spätern Zuge expediert werden konnte.

______________

[1] LI LA RE 1916/4510 ad 2169. Bischöflicher Prägestempel. Eingangsstempel der Regierung vom 18.12.1918. Handschriftliche Randbemerkungen. Beilage dieses Dokumentes ist der vom bischöflichen Ordinariat überarbeitete Gesetzentwurf der Regierung (LI LA RE 1916/4510 ad 2169).  – Vgl. in diesem Zusammenhang die Stellungnahme von Landesvikar Johann Baptist Büchel zuhanden der Regierung vom 15.9.1916 mit verschiedenen Abänderungswünschen zum Regierungsentwurf (LI LA RE 1916/3352 ad 2169).
[2] Verschiedene Entwürfe der Regierung zu einem Gesetz betreffend die Aufbesserung der Bezüge der Seelsorger finden sich unter LI LA RE 1916/ad 2169. 
[3] Randbemerkung mit Bleistift: "oho!".
[4] Rudolf von Jhering: Der Zweck im Recht, erste Auflage Leipzig 1877.
[5] Randnotiz mit Bleistift: "!".  
[6] Randnotiz mit Bleistift: "!".   
[7] Ulrich Lampert: Die kirchlichen Stiftungen, Anstalten und Körperschaften nach schweizerischem Recht, Zürich 1912.
[8] Randnotiz mit Bleistift: "??".
[9] Almosen.
[10] Vermutlich Abkürzung für "a linea" (Absatz, Zeile).  
[11] Randvermerk mit Bleistift: „nicht durchgeführt“.
[12] LI LA RE 1916/4510 ad 2169.
[13] Landesverweser Imhof antwortete dem Bischof mit Schreiben vom 18.1.1917, dass er nicht in der Lage gewesen sei, den bischöflichen Gesetzentwurf dem – am 28.12.1916, 30.12.1916 und 11.1.1917 tagenden – Landtag vorzulegen (LI LA RE 1916/4510 ad 2169). Mit Gesetz vom 4.12.1917 betreffend die Aufbesserung der Bezüge der Seelsorger, LGBl. 1917 Nr. 11, wurden 50'000 Kronen aus Landesmitteln zur Aufbesserung der Pfründen zur Verfügung gestellt (der Landesfürst stellte weitere 50'000 K und der Bischof 20'000 K zur Verfügung). Was die strittige Frage der Verwaltung anbelangte, wurde in § 3 auf die Bestimmungen zur Verwaltung des Kirchengutes verwiesen (Gesetz vom 14. Juli 1870 über die Verwaltung des Kirchengutes in den Pfarrgemeinden, LGBl. 1870 Nr. 4).