Landesverweser Leopold von Imhof betont im Falle des Liechtensteiners Franz Paul Fischer, dessen Liegenschaften in Saigon sequestriert wurden, die Souveränität und Neutralität des Fürstentums Liechtenstein


Handschriftliches Konzeptschreiben, mit Korrekturen und Ergänzungen, von Landesverweser Leopold von Imhof, gez. ders., an Franz Paul Fischer in Paris [1]

19.11.1914

Schreiben

In Erledigung des Einschreitens vom 12. d. M. [2] wird Euer Hochwohlgeboren folgendes mitgeteilt:

Das Fürstentum Liechtenstein ist ein vollständig souveräner Staat, der keinerlei militärische Einrichtungen besitzt und gegenüber allen Staaten sich gänzlich neutral verhält.

Die Erlassung einer förmlichen Neutralitätserklärung hat sich erübrigt im Hinblicke auf den kleinen Umfang des Landes u. seine geringe Einwohnerzahl.

Die Möglichkeit der Inanspruchnahme des k.k. Oberlandesgerichtes in Innsbruck als dritte Instanz in der Straf- u. Zivilrechtspflege des Fürstentums gründet sich auf den zwischen Österreich u. Liechtenstein abgeschlossenen, jederzeit kündbaren Staatsvertrag vom 19. Jänner 1884 [3] und beeinträchtigt die Souveränität u. die Neutralität Liechtensteins ebensowenig, als die anderen zwischen diesen Staaten bestehenden Verträge, die alle kündbar sind; [4] mehrere derartige Verträge bestehen auch zwischen Liechtenstein u. der Schweiz. [5]  

Die staatsrechtlichen Beziehungen des Fürstentums Liechtenstein gegenüber dem Deutschen Reiche sind nicht anders geartet als jene zur Republik Frankreich.

Euer Hochwohlgeboren sind sonach den Angehörigen anderer neutraler Staaten gleich zu stellen u. es muss erwartet werden, dass Ihnen und Ihrem Besitz überall jener Schutz zu teil werde, auf welchen Angehörige solcher Staaten seitens der kriegführenden Staaten nach dem internationalen Rechte Anspruch haben. [6]

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[1] LI LA RE 1914/3046 ad 2131. Verweis auf die Bezugsakte 2130 Jg. 1915. Gemäss Vermerk für die Regierungskanzlei war das Schreiben an Walter Merz-Rieter in Winterthur zu adressieren. Mundiert am 20.11.1914 von David Strub. Aufgabeschein des Postamtes Vaduz vom 21.11.1914. Adresse von Fischer in Paris: 7 avenue de villiers.  
[2] Vgl. LI LA RE 1914/3046 ad 2131.
[3] Vgl. Art. IV des Staatsvertrages bezüglich der Justizverwaltung im Fürstentum Liechtenstein, LGBl. 1884 Nr. 8.
[4] Vgl. Art. 28 des Vertrages vom 23.12.1876 über die Fortsetzung des durch den Vertrag vom 5.6.1852 gegründeten Österreichisch-Liechtensteinischen Zoll- und Steuervereines, LGBl. 1876 Nr. 3, und Art. 11 des Übereinkommens zwischen der k.k. österreichischen und der fürstlichen liechtensteinischen Regierung vom 4.10.1911 betreffend die Verwaltung des Post- und Telegraphen- und Telephondienstes im Fürstentum Liechtenstein, LGBl. 1911 Nr. 4.  
[5] Vgl. etwa Art. VI Abs. 1 des liechtensteinisch-schweizerischen Niederlassungsvertrages vom 6.7.1874, LGBl. 1875 Nr. 1.
[6] Aus dem Schreiben Fischers an die liechtensteinische Regierung vom 11.6.1915 geht hervor, dass die französischen Behörden in Saigon und Paris auf Grund der vorliegenden Erklärung von einer Gütersequestration absahen (LI LA RE 1915/2130).