Maschinenschriftliches Schreiben von Franz Paul Fischer, gez. ders., an die liechtensteinische Regierung [1]
12.11.1914, Paris (7 Avenue de Villiers)
An die Regierung des Fürstenthums Liechtenstein Vaduz
Bürger der Gemeinde Vaduz laut Aufnahmsurkunde vom Februar 1883, [2] erlaube ich mir, Sie in folgender Angelegenheit um Hilfe und Beistand anzurufen.
Ich war während ca. 20 Jahren in Saigon, französisch Cochinchina, ansässig & besitze daselbst verschiedene Immobilien. Von meinem dortigen Vertreter erhielt ich nun eine Depesche, laut welcher die Immobilien von den Behörden unter Sequester gestellt wurden, gerade wie wenn ich ein Angehöriger der Frankreich bekriegenden Staaten wäre.
Bei den hier unternommenen Schritten auf Grund meines Heimathscheines zu beweisen, dass ich als Liechtensteiner Bürger einem unabhängigen & daher neutralen Staat angehöre, stosse ich auf Schwierigkeiten & hält man mir namentlich entgegen, dass das Fürstenthum keine Neutralitätserklärung abgegeben, dass man nicht wisse, ob das Fürstenthum nicht doch zu Deutschland oder Österreich gehöre oder vom dem einen oder anderen dieser Staaten abhängig sei & dass der Umstand, dass im Ausland die Vertretung von den Consularbehörden Österreich Ungarns ausgeübt werde, [3] dies vermuten lasse, dass das Oberlandesgericht Innsbruck als die zuständige Gerichtsbehörde im Instanzenweg angerufen werde [4] & dergl.
Ich wäre Ihnen nun ausserordentlich zu Dank verpflichtet, wenn Sie mir gefl. in einem offiziellen Schreiben mitteilen wollten, aus welchen Gründen unzweifelhaft hervorgeht, dass das Fürstenthum souverain & von Österreich unabhängig ist, daher als neutral betrachtet werden muss & ich als Bürger desselben auf eine entsprechende Behandlung Anspruch habe. Eventuell & falls dies möglich, möchte ich Sie um eine offizielle Erklärung ersuchen, welche ich den hiesigen Behörden vorlegen kann & auf Grund welcher ich die Aufhebung des Sequesters beantragen kann.
In dem in Frankreich gebräuchlichen Universal Lexikon Larousse, das oft consultirt wird, steht unglücklicherweise die in Copie beiliegende Abhandlung & trägt dieselbe sehr dazu bei, Confusion zu verursachen. Könnten Sie mir vielleicht ein Buch anführen, in welchem die Geschichte des Fürstenthums enthalten ist & aus welchem Material zur Widerlegung der hiesigen Annahme geschöpft werden könnte? Falls dies mir nicht gelingen würde, wäre ich geradezu ruiniert!
Ihre gefl. Antwort [5] bitte ich Sie mit Schweizerbriefmarken frankiert in Sevelen aufzugeben, um sicher zu sein, dass der Brief in Frankreich weiterbefördert wird.
Etwaige Kosten werde ich Ihnen gerne umgehend zurückvergüten.
Ich spreche Ihnen im Voraus meinen verbindlichsten Dank für verursachte Mühe aus & verbleibe mit vorzüglicher Hochachtung.
In Ihre Mitteilung bitte besonders zu erwähnen, dass im Fürstentum weder Steuern noch Militärpflicht existieren.
Um ganz sicher zu sein, dass Ihre Antwort mir zukommt, bitte ich Sie, dieselbe an Herrn Walter Merz-Rieter in Winterthur zu richten.
Wiederholt hochachtungsvoll
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[1] LI LA RE 1914/3046 ad 2131. Eingangsstempel der Regierung vom 19.11.1914. Zweites Exemplar ebd. Beiliegend ein maschinenschriftliches Exzerpt aus dem Dictionnaire Nouveau Larousse Illustré über das Fürstentum Liechtenstein.
[2] Zur Einbürgerung Fischers im Fürstentum Liechtenstein bzw. in der Gemeinde Vaduz vgl. LI LA RE 1882/1540; LI LA RE 1883/0009; LI LA J005/J 228/176; LI LA V 004/1883/01 und LI GAV A 01/082/1.
[3] Vgl. hiezu das Schreiben des österreichisch-ungarischen Aussenministeriums an die liechtensteinische Hofkanzlei vom 24.10.1880 (LI LA RE 1919/6087 ad 0589 (Aktenzeichen des Aussenministeriums: 18702/80/7)).
[4] Vgl. den österreichisch-liechtensteinischen Staatsvertrag vom 19.1.1884 bezüglich der Justizverwaltung im Fürstentum Liechtenstein, LGBl. 1884 Nr. 8.
[5] Vgl. das Antwortschreiben des liechtensteinischen Landesverwesers Leopold von Imhof an Franz Paul Fischer vom 19.11.1914 (LI LA RE 1914/3046 ad 2131).