Maschinenschriftliches Schreiben von Regierungschef Josef Ospelt, gez. ders., an die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern [1]
15.4.1921
An die fürstlich liechtensteinische Gesandtschaft in Bern
Seit mehreren Jahrzehnten haben bekanntlich eine grössere Anzahl liechtensteinischer Bauarbeiter während der Sommermonate und zum Teil während des ganzen Jahres in der Schweiz Beschäftigung gefunden.
In jüngerer Zeit wurde dies nicht nur durch die schweizerischen Vorschriften über die Beschränkung der Einreise für Arbeiter sehr erschwert und zum Teile unmöglich gemacht, sondern ziemlich vielen Arbeitern wurde die Bewilligung zum Aufenthalte in der Schweiz noch entzogen.
Infolgedessen befinden sich derzeit nach Schätzung der Arbeitsnachweisstelle des liechtensteinischen Arbeiterverbandes etwa 250 Bauarbeiter im Lande, [2] die gerne wieder nach der Schweiz in Arbeit gehen möchten und zu einem beträchtlichen Teile hier in ihren Berufen keine Arbeit finden können.
Die genannte Arbeitsnachweisstelle hat nun an die fürstl. Regierung das Ersuchen [3] gerichtet, bei dem schweizerischen Baumeisterverbande in Zürich, Börsenstrasse 14, zu vermitteln, damit dieser für die Zulassung einer entsprechenden Zahl liechtensteinischer Arbeiter zur Einreise in die Schweiz bei den zuständigen Bundesstellen eintrete.
Hochverehrter Herr Legationsrat [Emil Beck] werden ersucht, zunächst mündlich sowohl bei dem genannten Baumeisterverbande als bei der zuständigen Stelle in Bern ehestens Fühlung zu nehmen, ob bezügliche Schritte irgend welche Aussicht auf Erfolg hätten, und bejahenden Falles wollen Sie sofort das Möglichste tun, um für eine entsprechende Zahl liechtensteinischer Bauarbeiter den Eintritt in ein Arbeitsverhältnis in der Schweiz zu ermöglichen.
Die genannten 250 Bauarbeiter würden sich nach Schätzung der Arbeitsnachweisstelle auf die verschiedenen Baufächer etwa wie folgt verteilen:
90 Maurer, 20 Gipser, 5 Zimmerleute, 10 Schreiner, 10 Maurerlehrlinge, 20 Steinbrecher, 20 Erdarbeiter und 75 Bauhandlanger.
Ein kleinerer Teil dieser Arbeiter dürfte im heurigen Sommer zwar in Lande selbst Beschäftigung finden, aber der grössere Teil ist wie seit Jahren auf den auswärtigen Verdienst angewiesen. [4]
Der fürstl. Regierungs-Chef:
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[1] LI LA RE 1921/1556 ad 1379. Regierungschef Ospelt orientierte Oswald Kindle von der Liechtensteinischen Arbeitsnachweisstelle in Triesen am 15.4.1921 über dieses Schreiben (ebd. revers).
[2] Vgl. das Schreiben der Arbeitsnachweisstelle an die Regierung vom 12.4.1921 (LI LA RE 1921/1556 ad 1379).
[3] Vgl. das diesbezügliche Gesuch der Arbeitsnachweisstelle an die Regierung vom 7.4.1921 (LI LA RE 1921/1469 ad 1379).
[4] Geschäftsträger Beck teilte der liechtensteinischen Regierung mit Schreiben vom 10.6.1921 mit, dass – nach einer Rückäusserung des Eidgenössischen Politischen Departements – den zuständigen Amtsstellen angesichts der gegenwärtig in der Schweiz herrschenden Arbeitslosigkeit die Erteilung einer Kollektiveinreisebewilligung als ausgeschlossen erscheine. Besonders schlimm sei dabei die Lage im Bauhandwerk. Die liechtensteinischen Gesuchsteller seien daher auf den ordentlichen Weg der Einzelgesuche zu verweisen (LI LA RE 1921/2556 ad 1379 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern: 750/21)). Dagegen war die Regierung des Kantons Graubünden – wie Beck mit Schreiben vom 8.9.1921 an die liechtensteinische Regierung ausführte – mit der Einführung eines Spezialverfahrens für Bauarbeiter aus dem Fürstentum Liechtenstein einverstanden, wies allerdings darauf hin, dass der dortige Bedarf an Bauarbeitern für das Jahr 1921 gedeckt sei. Dieses Verfahren bestand aufgrund der besonderen Verhältnisse Graubündens schon für Bauarbeiter aus Tirol und Italien (LI LA RE 4057 ad 1379 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 1157)).