Artikel in den „Oberrheinischen Nachrichten“ [1]
20.6.1914
Der Franken des Arbeiters
(Von einem Arbeiter)
Das war die Überschrift eines Artikels in den Oberrheinischen Nachrichten. [2] Nun brachte aber das Liechtensteiner Volksblatt einen redaktionellen Artikel, [3] worin sein Verfasser die Einnahmsquellen, die wir im Franken des Arbeiters besitzen, nach Möglichkeit abzuschwächen suchte (Arbeiterfreund?), um, wie er selbst betont, Fernstehende glauben zu machen, dass die l. [liechtensteinischen] Einnahmsquellen einzig in Österreich zu suchen wären. Auf dem Volksblatt-Papier ist dieses nun ziemlich gelungen; leider aber beweist die Wirklichkeit das pure Gegenteil und die Unkenntnis des Verfassers über die l. Volkswirtschaft. Falls dieses aber jemand bezweifelt, so laden wir ihn ein, am Samstag Abend, hauptsächlich zwischen 6-8 Uhr, die Rheinbrücken in Sevelen und Trübbach zu besuchen. Es reden dann im Eilschritt der Heimat zustrebenden Scharen der Arbeiter ein deutliches Wort, wo sich ihr Arbeitsfeld befindet. Am Montag aber, bei Tagesgrauen, stelle er sich auf den gleichen Posten und betrachte die verhärmten, die Rheinbrücken passierenden Gesichter. Sind es vielleicht Touristen, dass die meisten Rucksäcke dabei haben? Nein! Arbeiter sind es, denen die Heimat kein Brot gibt, die, aus dem trauten Familienkreise herausgerissen, drüben in der Schweiz den Kampf um den Franken wieder aufnehmen müssen.
Als Kenner der Verhältnisse erlaubt sich Schreiber, einige statistische Angaben darüber zu machen, was z. B. Triesenberg, ausser der Viehzucht und der Fabrik (von denen der frühere Artikel nicht weiter sprach) für Einnahmsquellen hat und wo sie zu suchen sind. Gegenwärtig sind ca. 68 Bauarbeiter in Triesenberg, ferner etwa 32 auswärtsdienende Alpknechte, 8 Handsticker und ein Schifflisticker. Von diesen 68 ihr Brot im Auslande verdienenden Arbeitern sind 66 in der Schweiz tätig, dabei sind die des Wanderlebens müden, sich dauernd in der Schweiz aufhaltenden nicht gerechnet! Nehmen wir als ganz minimale Schätzung, was so ein Arbeiter jährlich verdient, d. h. heimbringt, Fr. 600 an, so macht dies pro Jahr allein für Triesenberg die Kleinigkeit der Einnahmen von Fr. 39'600 aus. Nun müssen aber auch die Stickereinnahmen dazu gerechnet werden, denn auch die Sticker beziehen ihre Arbeit und daher ihr Einkommen ausschliesslich aus dem Franken der Schweiz. Rechnen wir dem Handsticker ein monatliches Arbeitseinkommen (mit der Fädlerin etc.) von Fr. 150 und dem Schifflisticker zu Fr. 3000 an, so macht dies zusammen nur Fr. 18'000 aus. Das verkannte Fränklein des Arbeiters entwickelt sich aber zur enormen Summe von Fr. 57'600. Nun das Arbeitseinkommen aus Österreich. Die andern 2 Arbeiter und die 32 Alpknechte entfallen derzeit ausschliesslich auf Österreich. Die zwei Arbeiter verdienen gut gerechnet zusammen K. [Kronen] 1200 und die Alpknechte (je M. 150) zusammen K. 4800, total also K. 6000. Jährlich beziehen wir folglich rund Fr. 51'000 mehr aus der Schweiz als aus Österreich an Arbeitseinkommen und das nur die Triesenberger. Und da rede einer noch wie das aufgeklärte Volksblatt!
Dass nun die unterländischen Gemeinden mehr wirtschaftlich von unsern nördlichen Nachbarn abhängig sind, wird heute nicht bestritten und es mag auch dieser Umstand beweisen, dass in Eschen eine Gemeinderatssitzung abgehalten und publiziert wurde, weil ein in den Nachrichten erschienener, aus Eschen eingesandter Artikel [4] betr. die Elektrizitätsversorgung in L. die Interessen des eigenen Landes und nicht die des Feldkircher Stadtwerkes vertrat. Über dieses welterschütternde Ereignis sprach dann der Eschner Gemeinderat noch sein Bedauern aus! [5] Doch zur Sache.
Der Grund, warum sich die l. Arbeiter mehr der Schweiz als Österreich zuwenden, liegt nicht nur in der bessern Belöhnung, sondern auch in dem Umstande, dass ja Österreich selber überschüssige Arbeitskräfte hat und es daher für einen Ausländer schwer ist, Arbeit zu finden. Zudem macht sich in Österreich der Klassengegensatz zu stark bemerkbar, wohingegen das loyale Wesen der Schweizer einen gern vergessen macht, dass man nur ein ausländischer Proletarier ist!
Hinsichtlich der vom Volksblatt zu seiner Begründung an den Haaren herbeigezogenen Viehausfuhr (was hat denn diese mit dem Franken des Arbeiters zu tun?) kommt für uns die Schweiz allerdings nicht in Betracht und sind wir vermöge der durch den Zollvertrag aufgerichteten künstlichen Schranken ganz auf österreichische Zwischenhändler angewiesen. [6] Vor Jahren – und unsere ehrwürdigen Häupter besinnen sich dessen noch – ist das ganz umgekehrt gewesen; wir haben unser Vieh vornehmlich nach der Schweiz abgesetzt. Doch darüber ein anderes Mal. Nun aber kann es für uns ziemlich einerlei sein, ob unser Vieh durch Österreich oder durch die Schweiz nach Deutschland transportiert wird. Für uns käme dann nur in Betracht, welche der beiden Länder den günstigeren Handelsvertrag mit Deutschland abgeschlossen hat.
Wir laden unser grollendes Volksblatt ein, uns die Sache an Hand von Zahlen und Tatsachen plausibel zu machen. [7]
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[1] O.N., Nr. 9, 20.6.1914, S. 1-2.
[2] Vgl. O.N., Nr. 6, 30.5.1914, S. 1 („Der Franken unseres Arbeiters“).
[3] Vgl. L.Vo., Nr. 24, 13.6.1914, S. 1 („Franken und Krone“).
[4] Vgl. O.N., Nr. 6, 30.5.1914, S. 2 („Eschen (Einges.)“).
[5] Vgl. L.Vo., Nr. 24, 13.6.1914, S. 1 („Elektrizitätsversorgung Liechtensteins“).
[6] Vgl. den Handelsvertrag zwischen Österreich-Ungarn (zugleich in Vertretung des Fürstentums Liechtenstein) und der Schweiz vom 9.3.1906, öst. RGBl. 1906 Nr. 156 bzw. liecht. LGBl. 1906 Nr. 8.
[7] Vgl. in weiterer Folge L.Vo., Nr. 26, 27.6.1914, S. 1 („Abwehr“); („Eingesendet“); („Der Arbeiter und der Franken“). Vgl. auch O.N., Nr. 10, 27.6.1914, S. 2 („Balzers (Einges.) Der Herr Abgeordnete auf der statist. Erforschungsreise“).