Das „Liechtensteiner Volksblatt“ relativiert die wirtschaftliche Bedeutung der liechtensteinischen Saisonniers in der Schweiz für das Fürstentum


Artikel im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1]

13.6.1914

Franken und Krone

Die „Oberrheinischen Nachrichten“ verbreiten sich in Nr. 6 in längerem Aufsatze über den „Franken des Arbeiters“ und singen das Lob desselben sowie der hochstehenden wirtschaftlichen Verhältnisse der Schweiz in allen Tonarten. [2]

Auch wir wissen die Verdienstquellen der liechtenstein. Arbeiter sowie die Vorzüge unseres Nachbarlandes sehr wohl zu schätzen und denken nicht im Entferntesten daran, dieselben auf irgend welche Weise zu schmälern. Auch die Behauptung, dass in der Schweiz der Schweisstropfen des Arbeiters besser bezahlt wird als bei uns, lassen wir ruhig dahingestellt, obwohl uns dabei leise Zweifel beschleichen, ob der Autor des bezügl. Artikels sich in Liechtenstein sein eigenes Haus schon habe bauen lassen.

Damit aber der Fernerstehende nicht den Eindruck erhalte, dass die Existenz unseres Landes ausschliesslich nur von dem „Franken“ des Arbeiters abhängt, erlauben wir uns darauf hinzuweisen, dass auch die „Krone“ ihren Teil dazu beiträgt, die Lebensfähigkeit unseres Staatswesens zu erhalten und zu fördern.

Abgesehen davon, dass eine ansehnliche Zahl von Bauarbeitern jeder Art ihren Arbeitslohn teils im eigenen Lande, teils in Österreich verdient, sei hier auf die inländischen Fabriken hingewiesen, welche jährlich Hunderttausende von Kronen an ihre Arbeiter auszahlen.     

Diese Kronen, welche grösstenteils im Lande bleiben und geschäftlich in Umlauf gesetzt werden, spielen eine nicht zu verachtende Rolle in unserem wirtschaftlichen Leben. Man frage einmal unsere Fabrikarbeiter und Geschäftsleute, wie sie sich die Sache denken, wenn diese Verdienstquelle nur für ein halbes Jahr versiegte.

Die Haupterwerbsquelle in unserem Lande ist die Landwirtschaft und der wichtigste Zweig derselben die Viehzucht.

Laut den statistischen Erhebungen des liechtenstein. landwirtschaftlichen Vereines (1. Heft 1912) wurden in den Jahren 1900-1912 aus Liechtenstein nach dem Auslande verkauft 11'406 St. Vieh um den Gesamterlös von 3'862'553 Kr. [Kronen], fällt somit Durchschnittserlös auf ein Jahr 321'879.- Kronen. Von der Gesamtzahl der ausgeführten Stücke gingen nur 302 Stück, also 2,6 % nach der Schweiz als Schlachtvieh, da für die Ausfuhr unsres Nutzviehes die Schweizergrenze schon seit 20 Jahren dauernd verschlossen ist. Die übrigen 11'104 Stück gingen nach Österreich und Deutschland.

Wie würde wohl der Schweisstropfen des liechtensteinischen Bauers honoriert werden, wenn er mit der Viehausfuhr nur auf die Schweiz angewiesen wäre?

Wenn auch Österreich vermöge unserer geographischen, zollpolitischen und Verkehrsverhältnisse unser Verbrauchsland ist, so bedeutet es doch andererseits in Rücksicht auf die ausschliesslich nach dieser Seite gravitierende Industrie, Viehausfuhr, Zoll- und Posteinnahmen  sowie als Absatzgebiet verschiedener landwirtschaftlicher Produkte, hauptsächlich aus dem Unterlande, eine Einnahmsquelle, welche unser Land kaum entbehren könnte. Die Interessen und Lebensbedingungen eines, wenn auch kleinen Staatswesens, sind doch so vielseitig, dass sie unmöglich nur nach einer Richtung hin beurteilt werden dürfen.

Mit dem Wunsche der „Oberrhein. Nachr.“ [3] nach Vervollkommnung des Schulwesens gehen wir einig, dass dieses aber auf Kosten der „Sprachlehre“ geschehen soll, will uns nicht einleuchten, indem wir bis heute in Liechtenstein noch keinen Überfluss an Sprach- und Schriftgelehrtheit wahrnehmen konnten.

Die Kunst, sich in Wort und Schrift korrekt auszudrücken, ist doch zum gedeihlichen Fortkommen im öffentlichen Leben ebenso notwendig als richtig rechnen, zeichnen u. s. w. Nach unserer Auffassung müsste der Hebel anderswo angesetzt werden. Darüber eventuell ein andermal. [4]

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[1] L.Vo., Nr. 24, 13.6.1914, S. 1.
[2] Vgl. O.N., Nr. 6, 30.5.1914, S. 1 („Der Franken unseres Arbeiters“).
[3] Ebd.
[4] Vgl. in weiterer Folge O.N., Nr. 9, 20.6.1914, S. 1-2 („Der Franken des Arbeiters“) sowie O.N., Nr. 10, 27.6.1914, S. 2 („Balzers (Einges.) Der Herr Abgeordnete auf der statist. Erforschungsreise“).