Gedrucktes Protokoll, gez. Hofkanzleileiter Hermann von Hampe, Landesverweser Karl von In der Maur, Appellationsgerichtsräte Julius Pfeiffer und Josef Jahoda sowie k.k. Sektionsrat Gustav Walker [1]
6.11.1911, o.O. (Wien)
Protokoll über die am 6. November 1911 stattgehabte Beratung über die Gesetzentwürfe [2] zur Reform des Zivilprozesses im Fürstentume Liechtenstein
Anwesende:
Der Chef der fürstl. liechtensteinischen Hofkanzlei Hofrat Dr. Edler v. Hampe;
der Landesverweser Kabinettsrat v. In der Maur;
die Mitglieder des fürstl. liechtensteinischen Appellationsgerichtes und Hof- und Gerichtsadvokaten Dr. Pfeiffer und Dr. Jahoda;
Sektionsrat Dr. Walker.
Nach eingehender Beratung wurden folgende Änderungen einhellig beschlossen:
I. Im Entwurfe der Zivilprozessordnung [3]
§ 85, Abs. 1. Statt „dreier Tage" ist „acht Tage" zu setzen, die die im Entwurfe enthaltene Frist zur Beseitigung vom Formgebrechen zu kurz bemessen erschien.
Der Antrag, in § 85 statt „ist" „kann" zu setzen, wurde im Interesse der rechtsuchenden Parteien abgelehnt.
Es wurde auf § 435 der österr. ZPO. [4] und auf § 89 der Geschäftsordnung für die österreichischen Gerichte [5] hingewiesen. Die Beseitigung der Formgebrechen durch Zurückstellung der Schriftsätze soll vermieden werden. Im Interesse der Parteien sollen alle Formgebrechen durch richterliche Anleitung ohne Zurückstellung der Schriftsätze beseitigt werden, sofern die Partei oder ihr Vertreter im Fürstentume wohnt.
§ 119. Wurde gestrichen, da der Fall der Zustellung an einen Exterritorialen im Fürstentume kaum vorkommen wird.
§ 120. Statt „durch den Landesverweser" ist zu setzen: „im Wege des fürstlichen Landesverwesers durch die Hofkanzlei".
§ 122. Infolge Streichung des § 119 ist zu setzen statt „nach den §§ 119 – 121" „nach den §§ 120 und 121".
§ 191, Abs. 2. Statt „der Senat" ist zu setzen „das Gericht".
§ 257, Abs. 1, letzte Zeile. Zwischen „Schriftsatz" und „mitteilen" sind die Worte „dem Gerichte" einzufügen.
§ 413. Als Abs. 1 ist zu setzen: „Das Urteil ist im Namen Seiner Durchlaucht des Landesfürsten zu fällen und zu verkündigen". Abs. 2 hat mit den Worten: „Dasselbe" zu beginnen.
§ 417. Zum Abs. 2 wurde der Zusatz beschlossen: „Statt der Darstellung der Ergebnisse des Beweisverfahrens kann jedoch auch die Akten verwiesen werden".
Ein weitgehender Antrag, den Urteilsbestand abzuschaffen, wurde einhellig abgelehnt. Die Verfassung eines besonderen Tatbestandes zwingt den Richter, das im Verhandlungsprotokolle manchmal recht ungeordnete Vorbringen der Parteien zu einer klaren Darstellung zu verarbeiten. Der Entwurf verlangt im Tatbestande keinen Aktenauszug, sondern eine geistige Verarbeitung des Prozessstoffes, eine Wiedergabe des wesentlichen Inhaltes des Parteienvorbringers und der Ergebnisse des Beweisverfahrens. Der Tatbestand ist auch für die Aufgaben der zweiten und dritten Instanz unentbehrlich.
Die beschlossenen Änderung (Bezugnahme auf Akten), die übrigens auch im österreichischen Entwurfe des Gerichtsentlastungsgesetzes [6] enthalten ist, soll eine Erleichterung schaffen und bezüglich der Beweisergebnisse die Bezugnahme auf die Akten (Verhandlungsprotokolle, Protokolle über der Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter, zu den Akten geschaffte Urkunden) gestatten. Das Urteil verliert dadurch nicht die Funktion, unabhängig vom sonstigen Akteninhalte, ein abschliessendes Bild des ganzen Prozesses zu gewähren.
II. Im Entwurfe der Jurisdiktionsnorm [7]
§ 5, 5. Zeile. Statt „welche" ist „welcher" zu setzen. 6. Zeile: statt „bestehen" ist „besteht" zu setzen.
§ 24, Abs. 2. Es ist hinzuzufügen: „Dieser Antrag ist vom Landesverweser im Wege des Appellationsgerichtes zu stellen."
§ 26. Statt „sind dem Landesverweser anzuzeigen" ist zu setzen: „sind durch den Landesverweser der fürstlichen Hofkanzlei anzuzeigen". Statt „dessen Erklärung" ist „deren Erklärung" zu setzen.
§ 26. Abs. 2 hat zu lauten: „Die Erklärung der Hofkanzlei ist für das inländische Gericht bindend."
§ 43, Abs. 2 und 3 (Fakturengerichtsstand) wurde gestrichen; dies im Interesse und zum Schutze der heimischen Bevölkerung, die den Wunsch nach Beseitigung eines derartigen Gerichtsstandes zum Ausdrucke gebracht hat.
III. Im Entwurfe des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung und der Jurisdiktionsnorm [8]
Art. I. Statt „5. Oktober 1912" ist zu setzen: „1. Januar 1913".
Art. III. Z. 5 ist zu streichen. Z. 6 – 10 sind mit Z. 5 – 9 zu bezeichnen.
Bei diesen Beratungen wurde bezüglich der weiters aufgetauchten Vorschläge folgendes bemerkt:
Der Vorschlag, dass die Unterschriften der Parteien auf den Protokollen über die mündlichen Verhandlungen nicht erfolgreich sei, wurde einhellig abgelehnt. Nur dann, wenn die Parteien das Protokoll unterschrieben haben, kann dem Protokolle die Bedeutung beigemessen werden, die der Entwurf dem Protokolle gibt; nur dann kann dem Protokolle volle Beweiskraft (§ 215) gegeben werden; nur dann ist das Protokoll für die zweite und dritte Instanz die unerlässliche Grundlage der Entscheidung.
Der Vorschlag, dem Richter die Ermächtigung zu geben, im Bedarfsfalle dem Beklagten die Einbringung eines Schriftsatzes zur Bezeichnung seiner Einwendung aufzutragen, wurde einhellig abgelehnt. Wo wirklich ein Bedürfnis für den Wechsel vorbereitender Schriftsätze besteht, ist durch § 257, Abs. 4 des Entwurfs Vorsorge getroffen und dabei die durchaus notwendige Einschränkung hinzugefügt, dass beide Teile durch Advokaten vertreten sind.
Es wurde auf den Erlass des österr. Justizministeriums vom 20. August 1911, VBl. [9] Nr. 42, über Missbräuche im Prozessverfahren hingewiesen. Mit Vorbedacht hat der Entwurf den Wechsel vorbereitender Schriftsätze nicht begünstigt. Derartige Schriftsätze fördern in aller Regel die Durchführung des Prozesses nicht. Von den Richtern, die den Wechsel vorbereitender Schriftsätze begünstigen, heisst es in dem Erlasse: „Sie sind von den vorbereitenden Schriftsätzen abhängig, die Verhandlung bewegt sich nur bruchstückweise unter fortwährenden Erstreckungen weiter, selbst einfache Sachen werden mangels des Eingreifens einer ordnenden und leitenden Hand verwirrt statt geklärt, das Verfahren wird verzögert und verteuert und die mündliche Verhandlung zu einer blossen Formsache herabgedrückt."
Der wiederholt geäusserte Wunsch, dass das Bagatellverfahren auf das österreichische Ausmass (hundert Kronen) gebracht werde, erscheint durch § 535 des Entwurfes der Zivilprozessordnung erfüllt.
Die Frage einer Reform des Exekutionsrechtes wurde beraten; es wurde jedoch einhellig beschlossen, dass derzeit an eine solche Reform nicht zu schreiten wäre. Dies in folgender Erwägung:
Für die Praxis ist vor allem die Exekution auf bewegliche körperliche Sachen massgebend. In dieser Richtung enthält aber die bestehende Gesetzgebung einwandfreie Bestimmungen (§§ 6 – 13 des Gesetzes betreffend den Schuldenbetrieb im Fürstentume Liechtenstein vom 9. Oktober 1865, LGBl. Nr. 5; Gesetz vom 16. August 1892, LGBl. Nr. 4). [10]
Die Exekution auf Liegenschaften neu zu regeln, wäre ohne gründliche Reform des gesamten Grundbuchswesens [11] nicht möglich. Eine derartige Reform wird von der Bevölkerung nicht gewünscht; die Erfahrungen, die in Tirol [12] mit der Grundbuchsanlegung gemacht wurden, sprechen dagegen, jetzt an eine Änderung des Grundbuchwesens zu schreiten. Die Entwürfe zur Reform des Zivilprozessrechtes sind derart abgefasst, dass sie ohne jegliche Änderung des dermalen geltenden Exekutionsrechtes ins Leben treten können. Wenn der Landtag und die Bevölkerung einmal ernstlich eine vollständige Neureglung des Exekutionsrechtes verlangen werden, dann wird es an der Zeit sein, auch diese Reform in Angriff zu nehmen und durchzuführen. [13]