Handschriftliches Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung, gez. Landtagssekretär Friedrich Walser und Landtagspräsident Albert Schädler [1]
13.12.1906
III. Zweite Lesung des Justizgesetzentwurfes betreffend Zusatzbestimmungen zur Strafprozessnovelle
Nachdem der Regierungskommissär [Karl von In der Maur] die Erklärung abgegeben, dass er auf die Abstimmung des Gesetzes nach der ursprünglichen Vorlage [2] verzichte, wird das Gesetz nach dem Antrage der Kommission [3] gelesen.
Der Abg. Ingenieur [Karl] Schädler begründet den Standpunkt der Minorität der Kommission mit folgender Erklärung:
„Wie Sie aus dem Kommissionsberichte ersehen, wurden die §§ 15 u. 17 und zum Theil auch der § 28 der Regierungsvorlage, soweit dieselben auf das Berufungsrecht der f. Regierung beziehen, von der Kommission einstimmig abgelehnt.
Die im § 28 enthaltene Bestimmung, wornach in politischen respektive administrativen Strafsachen der f. Regierung das Berufungsrecht gewahrt bleiben soll, gab zu längerer Erörterung Anlass. Das Resultat der Abstimmung war, dass sich 3 Mitglieder der Kommission im Sinne der umstrittenen Bestimmungen erklärten, während 2 Mitglieder sich dagegen aussprachen.
Da ich zu den letzteren gehöre, möchte ich den Standpunkt der Kommissionsminorität kurz darstellen. Wir ersehen in allen bezüglich des Berufungsrechtes der f. Regierung enthaltenen Bestimmungen einen Eingriff der Administration in die Justizpflege. Wir sind überzeugt, dass dadurch der § 34 unserer Verfassung [4] nicht mehr aufrecht bleibt, nach welchem das gerichtliche Verfahren von der Einwirkung der Regierung unabhängig bleiben soll.
Diese Befürchtung haben wir nicht nur bezüglich der Berufung in Kriminalfällen und wegen Vergehen und Übertretungen, sondern auch bezüglich der politischen resp. administrativen Strafsachen.
Der Einwand, dass früher die Regierung in politischen Strafsachen aburteilte und dem gegenüber die beantragte Berufung nur eine kleine Konzession bedeute, können wir nicht anerkennen.
Wir erklären, dass wir gegen die Übernahme der Aburteilung in administrativen Strafsachen durch die f. Regierung nichts einzuwenden haben – dadurch bleibt das Prinzip der Trennung von Administration u. Justiz gewahrt – nach dem vorliegenden Gesetze jedoch nicht.
Der Artikel VI der Gesetzvorlage bringt uns durch die Einführung des Prinzips der freien Beweisführung eine Verbesserung der bisherigen Strafrechtspflege. Eine durchgreifende Reformation der letzteren ist jedoch nicht erreicht und kann wohl nur erreicht werden, wenn ein neues Gesetz im Sinne der im Kommissionsbericht vorgeschlagenen Resolution [5] aufgebaut wird. In diesem Gesetze wird dann die Frage der Berufung gelöst werden können, ohne dass sie in Widerspruch mit der Verfassung zu stehen kommt."
Hierauf beantragt der Abg. [Jakob] Kaiser, über dieses Gesetz eine geheime Abstimmung vorzunehmen.
Der Antrag wird von den Abg. Walser und Ingenieur Schädler unterstützt.
Der Regierungskommissär findet es ganz unerhört, dass über ein so wichtiges Gesetz eine geheime Abstimmung stattfinde und könne er den Grund dafür nur darin finden, dass einzelne Abgeordnete ihre bereits bekannte Stellungnahme im Wege der geheimen Abstimmung zu verändern wünschen.
Der Antrag Kaiser gelangt zur Abstimmung u. wird mit 9 Stimmen angenommen.
Über Vorschlag des Präsidenten ist man jedoch allseitig dahin einig, dass diese geheime Abstimmung nur über das ganze Gesetz in Anwendung kommen soll, über die einzelnen Artikel jedoch öffentlich abgestimmt werde.
Der Präsident erläutert noch, welche Gesetze in administrativen Strafsachen in Betracht kommen [6] u. beginnt sohin mit der Lesung des Gesetzentwurfes.
Der Abg. Walser beantragt Streichung des Artikels I, bezieht sich auf die bei der ersten Lesung [7] gegen die Annahme dieses Artikels vorgebrachten Gründe u. macht noch speziell darauf aufmerksam, dass eine solche die erstrichterliche Kompetenz einschränkende Bestimmung in Österreich nicht existiere.
Der Regierungskommissär entgegnet, dass diesbezüglich ein Vergleich mit den österreichischen Gesetzesvorschriften nicht angängig sei, da in Österreich das ganze moderne Strafprozesswesen [8] Geltung habe.
Hierauf wird zur Abstimmung über den Artikel geschritten, welche das Resultat ergibt, dass 5 Stimmen für, dagegen 10 Stimmen gegen die Annahme des Artikels sind. Für die Annahme stimmten der Präsident und die Abgeordneten [Franz] Schlegel, Landestierarzt [Ludwig] Marxer, [Alfons] Feger, [Heinrich] Brunhart und [Meinrad] Ospelt. [9]
Hierüber gibt der Regierungskommissär die Erklärung ab, dass er die ganze Gesetzesvorlage zurückziehe, das Land werde die Folgen zu tragen haben. [10]