Wilhelm Beck kommentiert den Gesetzentwurf über die allgemeine Landesverwaltungspflege (4)


Ausführungen von Wilhelm Beck in den „Oberrheinischen Nachrichten" [1]

29.4.1922

Bericht und Begründung zum Gesetzesentwurfe über die allgemeine Landesverwaltungspflege

(Von Dr. Beck)

Das ganze Überprüfungsverfahren ist entsprechend dem Verwaltungsverfahren überhaupt ein sogen. amtswegiges oder ein solches auf Antrag der Partei.

2. Das Verwaltungszwangsverfahren (drittes Hauptstück) umfasst die Zwangsvollstreckung in der Verwaltung auf Grund einer Verfügung oder Entscheidung, daneben aber noch den sog. unmittelbaren, auch sofortigen Zwang genannt, nebst andern Zwangsmassnahmen und Einrichtungen auf dem Gebiete der öffentlichen Verwaltung.

Angeordnet wird der Zwang in der Regel vom Regierungschef, da er gemäss der Verfassung die Beschlüsse zu vollziehen hat. In Gemeindesachen ist es d. Ortsvorsteher (Art. 111), sofern er nicht den Regierungschef um Anordnungen ersucht. Der Entwurf hält im allgemeinen die anordnenden und ausführenden Organe auseinander. Zwang soll nur, soweit es die Gesetze zulassen und es notwendig ist (Art. 112) und in der Regel nach vorausgegangener Androhung angeordnet werden (Art. 113). Die Artikel 114 und 115 ordnen das Anfechtungsverfahren von Verfügungen u. Entscheidungen im Verwaltungszwangsverfahren. Im Gegensatz zu den meisten Entscheidungen (Urteilen, Beschlüssen usw.) des Gerichtes sind insbesondere manche Verfügungen im Verwaltungsverfahren vielfach schon mit ihrem erstinstanzlichen Erlasse vollstreckbar, gleichzeitig ob dagegen seitens der Partei eine Beschwerde usw. eingelangt worden ist. Die nähere Regelung dieser Sache enthält Art. 116.

Zu den regelmässigen und der Verwaltung eigentümlichen Zwangsmitteln gehören im Verwaltungszwangsverfahren: a) die Zwangsstrafe (Art. 117), auch Exekutiv- oder Ordnungsstrafe genannt. b) die Ersatzvornahme (Art. 125) bei Leistungen, welche anstelle des Verpflichteten ein Dritter vornehmen kann und äussersten Falles, c) bei nicht vertretbaren Leistungen neben Zwangsstrafe [in] der Regel die Gewaltanwendung, sei es auf Grund einer voraus gegangenen Verfügung oder Entscheidung (Art. 126 ff.) oder ohne solche Voraussetzung (Abschnitt III). Daneben kommt für Geldleistungen die Zwangsbetreibung durch gerichtliche Verwertung von Vermögensstücken vor (Art. 121 ff.). Es ist auf die einzelnen Bestimmungen zu verweisen. Neu überhaupt ist das sogenannte Sicherungsverfahren zwecks Sicherstellung einer künftigen Zwangsvollstreckung (Art. 120) geregelt. – Es mögen besonders einige bedeutende Bestimmungen noch hervorgehoben werden. Bei Betreibung von Geldansprüchen oder Durchsetzung von Vermögensansprüchen gegen Gemeinden und öffentlich gemeinnützige Anstalten kann zu deren Schutze die Regierung eingreifen (Art. 123 Abs. 3 und Art. 124 Abs. 2). Wichtig sind sodann die zulässigen Zwangsmassnahmen zur Bekämpfung gemeingefährlicher Epidemien (Art. 128 Abs. 3, 4) und im Falle von Viehseuchen, z.B. bei Maul- und Klauenseuche (Art. 128 und Art. 130 Abs. 3).

Statt längeren Ausführungen wollen wir hier nur die zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche nach der Vorlage zulässigen Zwangsmittel näher betrachten.

1. Wenn eine Maul- und Klauenseuche ausbricht, die wohl zu den für das Eigentum (Vieh) gemeingefährlichen Seuchen zu rechnen ist, kann die Vorlage (Art. 131 (1) a, Art. 132 (2) z.B. ein Landweibel oder der betreffende Gemeindeweibel das zur Verhütung weiterer Verbreitung erforderliche, selbständig und ohne irgend welchen Auftrag seitens der Regierung, des Regierungschefs bezw. d. Ortsvorstehers vorläufig vorkehren.

2. Als solche Mittel nennt Art. 131 Abs. 6 in Verbindung mit Art. 128 Abs. 6 und Art. 130 Abs. 3 Absonderung von Personen und ähnliche Massnahmen, z.B. Stallbann, dann Desinfektion, Absperrung von Häusern usw.

Diese Massnahmen können sodann nachträglich von der vorgesetzten Behörde bestätigt, verschärft oder aufgehoben werden.

Das sind heute meistens ungeregelte Partien des Verwaltungszwanges. Für uns rechtlich neu ist insbesondere die Ordnung der polizeilichen Verwahrung (Art. 133), des Waffengebrauches (Art. 135), die Bestimmung über Aufsichts- und Zwangsmassnahmen gegen Selbstverwaltungskörper (Art. 136) und die Bestimmungen über die geschichtlich bekannten Institute der Landesnöte und Landsrettung. Hier ist vor allem auf die Nothilfe – (Leistungspflicht) hinzuweisen (Art. 137 Abs. 1).

3. Das Verwaltungsstrafverfahren (IV. Hauptstück). Hier werden unter Vorbehalt der Eigentümlichkeiten des Verwaltungsstrafrechtes zuerst allgemeine und ergänzende Strafgrundsätze im Sinne der neuzeitlichen Auffassung aufgestellt (Strafunmündige, Jugendliche, Verbandspersonen) gemäss Art. 138; Abs. 4 von Art. 138 enthält überdies eine Bestimmung über die Haftung der Verbandspersonen in zivilrechtlicher Beziehung. Neu ist auch, dass in der Regel in allen Verwaltungsstrafsachen zuerst eine Geldstrafe und nur ersatzweise eine Freiheitsstrafe verhängt werden soll und dass der Beschuldigte, anstatt eine Arreststrafe abzusitzen, seine Strafe durch Arbeitsleistung unter Aufsicht eines Wegmachers, Wuhrmeisters u.s.w. abverdienen kann. Ältere Gesetze unter der Regierungsperiode [Karl Haus von] Hausen setzten die Arbeitsstrafe fest, diese soll nun verallgemeinert werden (Art. 138 Abs. 8 und Art. 139 Abs. 3), immerhin kann sie nur im Einverständnis mit dem Beschuldigten festgesetzt werden. Wichtig ist sodann die neue Strafbestimmung in Art. 139. – Neuzeitlichen Auffassungen folgend enthält die Vorlage die bedingte Bestrafung, bedingte Entlassung und die Rehabilitation, welche drei Institute bei dem derzeitigen Umfange des von den Verwaltungsbehörden gehandhabten Verwaltungsstrafrechtes derzeit nicht gerade eine allzugrosse Bedeutung haben können, wohl aber für die Zukunft. Wichtiger dagegen ist die unbedingte Strafnachsicht und das Strafniederschlagungsrecht (Art. 144 Abs. 1 und 2). Die moderne Auffassung lehrt, und die Praxis ist ihr zum Teil schon längst vorausgegangen, dass die Behörden nicht mit Sachen, die im Verhältnis zu ihrem Arbeitsaufwande keine Bedeutung haben, sich befassen sollen. Es kehrt da der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Verwaltungstätigkeit wieder; es soll z.B. nicht wegen 30 Heller ein 150 Kr. verschlingender Apparat aufgewendet werden. Der unschuldige Steuerträger muss diese Art von Pedanterie in der Verwaltung schliesslich büssen. Deswegen ist auch die Verwarnung vorgesehen.

Das eigentliche Verwaltungsverfahren zerfällt:

a) in den vereinfachten Verfahrensarten, nämlich in das Verwaltungsstrafbotsverfahren und in das Unterwerfungsverfahren,

b) in das ordentliche Verwaltungsstrafverfahren, das vom Regierungschef, einer anderen Amtsperson und in besonders wichtigen Fällen von der Regierung selbst durchgeführt werden kann.

Die meisten Verwaltungsstrafsachen werden ihre Erledigung in den nach Formularen durchgeführten, höchst einfachen Verwaltungsstrafbotsverfahren (Art. 146 und 147) finden, sodass es überhaupt einer Verhandlung mit Parteien und Zeugen usw. nicht bedarf.

Die zuständige Amtsstelle schickt dem Fehlbaren kurzerhand ein Strafbot gemäss Artikel 147 zu. Er kann nun gegen dasselbe gemäss Art. 147 Abs. 2, also in den meisten Fällen, Beschwerde führen oder aber in wichtigeren Fällen (Art. 148) Einspruch erheben.

Auf den Einspruch hin tritt sodann das sogen. ordentliche Verfahren gemäss Art. 149 ff. ein. Die allermeisten Fälle finden praktisch mit dem Erlass eines Strafbotes für die erste Instanz ihrer Erledigung.

Ein anderes sehr vereinfachendes Verfahren, das sich besonders im Finanzstrafrecht bewährt hat, ist das sogen. Unterwerfungsverfahren gemäss Art. 148 a und 148 b, später Art. 149 und 150. Es besteht kurz gesagt darin, dass bei einem geständigen Fehlbaren an Stelle eines sonstigen Verfahrens eine sogen. Unterwerfung unter die protokollarisch oder sonst (Art. 148 c) festgelegte Strafe usw. tritt. Es ersetzt einfach das ordentliche wie das Strafbotverfahren. Der Verwaltungsstraffall kann auf diese Art ohne grosse Umstände für den Beschuldigten und die Behörde im kurzen Wege abgetan werden.

Das sog. ordentliche Verfahren gemäss Art. 149 ff. lehnt sich in den meisten Fällen an das Verfahren bei Übertretungen (Strafregisterblattverfahren oder sonstiges Verfahren) an. Es kann vom Regierungschef, einer sonstigen Amtsperson oder der Regierung selbst durchgeführt werden (Art. 151 Abs. 3). In den meisten Fällen wird es durch die vereinfachten Verfahrensarten ersetzt. Besondere Bestimmungen gelten für Einziehungsbeteiligte und Vertretungspflichtige, hinsichtlich der Beschlagnahme, Durchsuchungen, der vorläufigen Festnahme und Untersuchungshaft, auf welche Bestimmungen verwiesen wird.

Das Rechtsmittelverfahren zerfällt in die Vorstellung und Beschwerde und Wiederaufnahme. Daneben kommt die Sistierung vor. Bei der Verwaltungsstrafvollstreckung wurden ergänzende Vorschriften, besonders bezüglich des Vertretungspflichtigen aufgestellt.

Das fünfte Hauptstück enthält die Schluss-, Einführungs- und Anwendungsbestimmungen, deren Verständnis sich aus dem Inhalte ergibt. Wichtig ist besonders die Bestimmung über die Verwaltungsgebühren (Art. 166). Zur leichteren Handhabung des Gesetzes soll die Regierung gemäss Abs. 3 von Art. 169 ein Sachregister herausgeben und allenfalls Formulare.

Aus den Verweisungen des Gesetzes auf die Zivilprozessordnung, [2] die Strafprozessordnung [3] und das Strafgesetzbuch [4] dürften den das Gesetz handhabenden Beamten und Angestellten nach Ansicht des Referenten deswegen keine grossen Schwierigkeiten entstehen, weil ja die meisten Verwaltungssachen im vereinfachten Verfahren (Verwaltungsboten und Strafboten und Unterwerfungsverfahren) abgetan werden können und weil trotz mancher Bestimmungen den Amtsorganen ein grosser Spielraum unter Wahrung der Rechte der Beteiligten eingeräumt ist. Die Behörde wie der Bürger sollen ihre Rechte und Pflichte haben, das ist der leitende Grundsatz der Vorlage, die eine grosse Arbeitsleistung in sich enthält. Durch diese Vorlage erhält Liechtenstein neuzeitliche und zeitgemässe Regelung des Verfahrens vor den Verwaltungsbehörden, um die uns manche Staaten beneiden bedürfen.

Zwecks Erleichterung der Behandlung der Vorlage im Landtage werden die Herren Abgeordneten höflich gebeten, die Vorlage und die kommissionellen Änderungen eingehend zu studieren.

Schliesslich darf die Vorlage als ein sprechender Beweis dafür gelten, dass der neue Landtag nicht mit Worten, sondern mit Taten Ruhe, Ordnung und fortschrittliche Entwicklung anstrebt.

(Schluss.)

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[1] O.N., Nr. 33, 29.4.1922, S. 2. Vgl. O.N., Nr. 29, 12.4.1922, S. 1 („Bericht und Begründung"); O.N., Nr. 31, 22.4.1922, S. 1 („Bericht und Begründung") und O.N., Nr. 32, 26.4.1922, S. 1 („Bericht zu den Gesetzesentwürfen").
[2] Vgl. das Gesetz vom 10.12.1912 über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung), LGBl. 1912/9/1.
[3] Vgl. das Gesetz vom 31.12.1913 betreffend die Einführung einer Strafprozessordnung, LGBl. 1914 Nr. 3.
[4] Österreichisches Strafgesetz vom 27.5.1852 über Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, öst. RGBl. 1852 Nr. 117, rezipiert in Liechtenstein durch fürstliche Verordnung vom 7.11.1859 (LI LA SgRV 1859).