Wilhelm Beck kommentiert den Gesetzentwurf über die allgemeine Landesverwaltungspflege (3)


Ausführungen von Wilhelm Beck in den „Oberrheinischen Nachrichten" [1]

26.4.1922

Bericht zu den zu den Gesetzesentwürfen [2]

Besondere Bemerkungen

Eine eingehende Begründung der Vorlage würde viel zu weit führen. Es kann sich hier nur um eine kurze Übersicht handeln. Die einzelnen Artikel sind beim Lesen ohne weiteres verständlich.

1. Das einfache Verwaltungsverfahren

Das einfache Verwaltungsverfahren, auch Verwaltungsverfahren schlechtweg oder Administrativverfahren genannt, findet in allen Verwaltungsangelegenheiten Anwendung, soweit nicht nach Art. 29 Abs. 1 und Art. 30 eine Ausnahme besteht. Aber auch in den angenommenen Angelegenheiten findet es in gewissen Fällen (Entscheidungen, konstitutiven Verfügungen) Anwendung. Im Zweifel entscheidet über die Anwendbarkeit die Regierung, damit unfruchtbaren Zuständigkeitsfragen ein Ende gemacht wird. Das Verfahren wird auf Antrag einer Partei oder von Amtswegen eingeleitet (Art. 47). Das einfache Verwaltungsverfahren zerfällt nun:

a) in das Verwaltungsbotverfahren (Art. 48 ff.). Dieses ist ein vereinfachtes Verfahren. Das Verwaltungsbot wird in der Regel ohne Anhörung der Parteien, immer aber ohne Abhaltung einer eigentlichen Parteienverhandlung (Erhebungsverfahren) ähnlich wie ein Zahlbefehl oder ein Rechtsbot und nach einem Formular erlassen.

Hiergegen steht der Partei in wenigen Fällen ein Einspruchsrecht wegen Wegfalls einer förmlichen Parteienverhandlung (Art. 54 ff.) binnen 14 Tagen offen. Auf Grund eines Einspruches findet nun in der Regel das sogen. ordentliche Verfahren (nach Art. 54 ff.) statt.

In vielen im Gesetze (Art. 49, 50 und 52) aufgezählten Fällen dagegen findet gegen ein Verwaltungsbot nur mehr das Überprüfungsverfahren (Art. 89 ff.) statt.

Im Verwaltungsbot, das von der Regierung, ihrem Chef oder einer sonst für zuständig erklärten Amtsperson erlassen werden kann, finden praktisch gesprochen, die meisten Angelegenheiten ihre erstinstanzliche Erledigung. Mit anderen Worten, es findet nur ganz ausnahmsweise vor erster Instanz

b) ein Verfahren nach vorgängiger Verhandlung mit den Parteien statt (Art. 54 ff.).

Dieses Verfahren zerfällt in der Regel:

1. in ein Ermittlungsverfahren (auch Erhebungs-, Untersuchungs- oder Instruktionsverfahren genannt) statt, dessen Zweck in Art. 54 näher umschrieben ist. Das Ermittlungsverfahren wird, ähnlich wie bisher, vom Regierungschef geleitet; es kann aber damit eine andere Amtsperson usw. betraut werden (Art. 54 Abs. 2), damit sich die Regierung oder ihr Chef mehr anderen, wichtigeren Aufgaben widmen kann. Das Ermittlungsverfahren endet im Einverständnis mit der Partei mit einem Entscheid oder einer Verfügung gemäss Art. 78 durch den Regierungschef, seinen Stellvertreter oder den prozessleitenden Beamten, soweit es sich nicht um eine im Verordnungswege dem Entscheid der Regierung vorbehaltene wichtigere Angelegenheit handelt. In letzterem Falle findet

2. ein Schlussverfahren, meist ausschliesslich auf Grund des vom Instruktionsbeamten gesammelten Tatsachen und Beweismaterials statt. Unter dem Titel Schlussverfahren sind auch allgemeine Bestimmungen über Entscheidungen, einschliesslich Verwaltungsboten und Verfügungen überhaupt (Art. 82 ff.) eingefügt. Besonders wichtig sind die Art. 85, 86 und 87.

c) Gegen ein nicht im Einspruchswege anfechtbares Verwaltungsbot, eine Verfügung oder Entscheidung kann, wenn sie nicht unanfechtbar geworden (durch Verzicht, Ablauf der Anfechtungsfrist usw.) das Überprüfungsverfahren eingeleitete werden und zwar in Form einer Vorstellung bei der ersten Instanz oder einer Beschwerde bei der Beschwerdeinstanz. Vorstellung, Beschwerde, ferner Einstellung, Kassationsgesuch und Nachsichtsgesuche gegen die Folgen einer Entscheidung können miteinander verbunden werden.

Gegen nicht mehr anfechtbare Verwaltungsakte kann als nichtordentliches Rechtsmittel die Wiederaufnahme auf Parteiantrag oder von amtswegen, wenn letztere aus bestimmten Gründen geboten erscheint (Art. 105 und 106) stattfinden.

Die Nichtigerklärung (Kassation) kann infolge einer Beschwerde oder einer Wiederaufnahme von amtswegen stattfinden. Findet sie infolge einer Beschwerde statt, so hat letztere die Rechtsnatur einer blossen Anzeige oder aber einer Nichtigkeitsbeschwerde, je nachdem ein absoluter Nichtigkeitsgrund gegen einen nur zum Schein bestehenden Verwaltungsakt oder einen nur auf Parteiantrag in berücksichtigenden Nichtigkeitsgrund (Vernichtbarkeitsgrund) geltend gemacht wird.

Die Einstellung (Sistierung) hat überhaupt nur den Charakter eines vorläufigen Rechtsbehelfs und kommt in der Regel in Verbindung mit andern Überprüfungseinrichtungen vor.

Hinsichtlich der Erläuterung, der Nachsichtsgesuche und Anzeigen ist auf die bezüglichen Bestimmungen zu verweisen.

(Fortsetzung folgt.)

 

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[1] O.N., Nr. 32, 26.4.1922, S. 1. Vgl. O.N., Nr. 29, 12.4.1922, S. 1 („Bericht und Begründung"); O.N., Nr. 31, 22.4.1922, S. 1 („Bericht und Begründung") und O.N., Nr. 33, 29.4.1922, S. 2 („Bericht und Begründung").
[2] Es ist auch der Gesetzentwurf betreffend das Rechtsfürsorgeverfahren angesprochen. Vgl. LGBl. 1922 Nr. 19.