Maschinenschriftliches Schreiben (eingeschrieben) von Emil Beck, Geschäftsträger in Bern, an die Regierung [1]
4.2.1922, Bern
Zollvertrag
Heute kann ich Ihnen endlich den Entwurf des Politischen Departements zu einem Zollvertrag, [2] nebst einem Verzeichnis des bundesrechtlichen Erlasse und einem solchen über die Schweizerischen Handels- und Zollverträge, die im Fürstentum Anwendung finden sollen, [3] übergeben, damit Sie dazu Stellung nehmen können. Gleichzeitig lege ich eine Abschrift des Begleitschreibens des Politischen Departements vom 3. dieses Monats, Zahl B 14/24 P 4 III-DN., hier bei. [4]
Damit ist die für uns so wichtige Frage des Zollanschlusses an die Schweiz ihrer Verwirklichung wesentlich näher gerückt. Dass sich die Aushändigung dieses Entwurfs so lange hinausgezögert hat, trotzdem ich stets und nachdrücklich auf Beschleunigung gedrungen habe, hat seinen Grund nicht etwa darin, dass die massgebenden Schweizerischen Behörden dem Übereinkommen nicht günstig gestimmt wären. Der Beschluss des Bundesrates soll, wie ich vernehme, einstimmig gefasst worden sein, sodass also auch Herr [Edmund] Schulthess dafür eingetreten wäre. [5] Die Verzögerung ist vielmehr zur Hauptsache zurückzuführen auf die Tatsache, dass die Durchführung eines Zollanschlusses viel komplizierter ist, als es den Anschein hat. Ausserdem ist durch ein Versehen auf der Eidgenössischen Steuerverwaltung eine weitere Verschleppung eingetreten. Nunmehr hoffe ich aber, dass die Verhandlungen einen rascheren verlauf nehmen werden.
Die Verhandlungen sollen, nach der Auffassung des Politischen Departements, wie ich Ihnen bereits mitteilte, [6] nicht mehr in einer gemischten Kommission, sondern zwischen dem Politischen Departement und unserer Gesandtschaft erfolgen. Der Entwurf würde nach erfolgter gegenseitiger Verständigung und Bereinigung durch die Vertreter der beiden Staaten nocheinmal den beiden Regierungen zur Beschlussfassung vorgelegt und dann von den beiden Vertretern unterzeichnet. Hierauf würde er in beiden Ländern den Parlamenten zur Ratifikation unterbreitet, worauf der Austausch der Ratifikationsurkunden erfolgen und die Inkraftsetzung des Übereinkommens stattfinden könnte. Ich denke, dass gegen dieses Verfahren nichts einzuwenden sein wird. Schweizerischerseits wird nach der Unterzeichnung des Vertrages wohl eine Frist von ca. 2½ Monaten notwendig sein für die Vorbereitung der Beratungen in der Bundesversammlung (Ausarbeitung und Drucklegung der Botschaft des Bundesrates, Bestellung der parlamentarischen Kommissionen und Beratung in denselben u.s.w.). Die Bundesversammlung wird also frühestens in der Junisession sich mit dem Zollvertrag befassen können. Ich hoffe aber, dass nicht eine zu grosse Opposition einsetzen wird. Im wesentlichen wird es die Vertretung des Kantons St. Gallen sein, dessen Regierung bereits das Gesuch gestellt hat, sich zum Zollvertragsentwurf äussern zu dürfen, was ihr gewährt werden wird. Der Zeitpunkt der Inkraftsetzung des Übereinkommens hängt nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden wesentlich davon ab, wie viel Zeit wir für die Einführung des neuen Zustandes (Einführungsgesetzgebung, Zollhäuser u.s.w.) notwendig haben. Vor dem 1. Januar 1923 dürfte dies kaum möglich sein.
Eine interne Liechtensteinische Frage ist es dann, in welcher Weise der Vertrag unsererseits durchberaten werden und wer sich zum Entwurf äussern soll. Jedenfalls ist es wichtig, dass die Regierung sich der Stimmung in Landtag und Volk rechtzeitig versichert, weshalb es sich rechtfertigen wird, einerseits die beiden politischen Richtungen und sodann Vertreter der hauptsächlichsten wirtschaftlichen Interessen zur Mitarbeit heranzuziehen. Ich nehme an, dass die bestellte Zollvertragskommission [7] diesen Anforderungen entsprechen wird, sodass die Annahme des Vertrages durch die Regierung und diese Kommission einige Gewähr bietet für die Ratifikation durch Landtag und Volk.
Die Verhandlungen mit dem Politischen Departement würden auf Grund der Beschlüsse dieser Kommission und der Regierung geführt. Event. hätte die Kommission sich dann noch ein zweites Mal zu versammeln zur Besprechung derjenigen Punkte, inbezug auf welche eine Einigung mit dem Departement nicht erzielt werden könnte.
Jedenfalls aber würden Kommission und Regierung über die Annahme des bereinigten Textes Beschluss fassen, bevor derselbe unterschrieben wird. Für Besprechungen mit Ihnen oder der Kommission stehe ich zur Verfügung und ersuche Sie um Mitteilung ob und event. wann Sie eine solche für wünschenswert halten.
In materieller Beziehung beschränke ich mich heute darauf zu verweisen, dass die Pauschalsumme von Fr. 150`000 pro Jahr auf Grund der bisherigen Einnahmen berechnet ist. Sollte eine wesentliche Erhöhung der Zolleinnahmen oder der indirekten Steuern vor Abschluss des Vertrages eintreten oder in sicherer Aussicht stehen, so wäre eine entsprechende Erhöhung dieser Summe wohl erreichbar. Für das Jahr 1922 ist eine Mehreinnahme aus den Zöllen von nahezu 100 Millionen Franken vorgesehen. Über weitere Punkte werde ich Ihnen nächstens Bericht erstatten. [8]
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[1] LI LA SF 27/1922/0569 ad 30. Aktenzeichen: 140/22. Eingangsstempel der Regierung vom 6.2.1922.
[2] LI LA SF 27/1922/0569 ad 30, Entwurf Zollvertrag, o.D.
[3] LI LA SF 27/1922/0569 ad 30, Anlage 1 zum Entwurf Zollvertrag, o.D. (bereinigt per 1.1.1922); LI LA SF 27/1922/0569 ad 30, Anlage 2 zum Entwurf Zollvertrag, o.D.
[4] LI LA SF 27/1922/0569 ad 30, Bundesrat Giuseppe Motta an Beck, 3.2.1922. Das Original unter LI LA V 002/0299/058.
[5] Tatsächlich hatte Bundesrat Schulthess schwere Bedenken gegen den Zollvertrag und hatte sich in der Bundesratssitzung vom 18.1.1922 gegen einen Vertragsabschluss ausgesprochen. Vgl. DDS, Bd. 8, Nr. 158.
[6] So schon am 19.5.1921 (LI LA SF 27/1921/2221 ad 1935).
[7] Der Landtag hatte bereits am 30.5.1921 eine siebenköpfige Kommission zur Beratung des Zollvertragsentwurfs bestellt (LI LA LTA 1921/S04/2).
[8] Am 8.2.1922 nahm Beck ausführlich Stellung zum Inhalt des Entwurfs (LI LA SF 27/1922/0705 ad 30).