Regierungssekretär Josef Ospelt berichtet Prinz Eduard über die Volksparteiversammlung vom 9.5.1920 in der Peerfrage


Maschinenschriftliches Schreiben von Regierungssekretär Josef Ospelt an Prinz Eduard [1]

 

11.5.1920

Euere Durchlaucht!

Am letzten Sonntag den 9. d. M. fand in Vaduz die von der Volkspartei angekündigte Kundgebung statt. [2] Die Beteiligung war sehr beträchtlich. An einem von den Parteileitern veranstalteten Umzuge dürfen sich nach Zählung verschiedener Unbeteiligter etwas zu 500 Personen beteiligt haben. Die Versammlung selbst dürfte von etwa schätzungsweise 700 Personen besucht gewesen sein. Darunter waren, wie mir versichert wird, eine nicht unbeträchtliche Anzahl der Gegenpartei [3], die natürlich durch die Anwesenheit nicht etwa ein Einverständnis kundgeben wollten; ferner sollen sich viele Minderjährige an der Versammlung beteiligt haben. Immerhin war die Teilnahme grösser, als ich sie erwartete, wenn sie auch nicht, wie seitens der Volkspartei scheints zu behaupten versucht wird, 1200, sondern wie gesagt etwa 700 Teilnehmer aufwies.

Im grossen - ganzen soll die Versammlung ruhig verlaufen sein, aber entschieden gegen den Eintritt [Josef] Peers in unsere Regierung Stellung genommen haben. [4] Dr. [Wilhelm] Beck soll sich sogar zu dem Ausdrucke verstiegen haben, wenn Dr. Peer komme, werde er schon dafür sorgen, dass dieser sobald sein Bündel wieder schnüre. Leider konnte ich trotz wiederholter Bemühungen nicht verlässlich erfahren, ob von dem Briefe Peers an den Parteiobmann [5] in der Versammlung Mitteilung gemacht wurde. Ich habe das Gefühl, wie wenn dieser Brief totgeschwiegen werden wollte. Je nachdem, was morgen die O.N. [„Oberrheinische Nachrichten"] schreiben werden und was ich über die letzte Versammlung noch erfahre, werde ich Dr. [Eugen] Nipp ersuchen, die Abschrift des Peer’schen Briefes und einen Auszug aus dem Schreiben Euerer Durchlaucht vom 4. d. M. [6] in seinem Blatte zu veröffentlichen.[7] Der Parteiobmann [Anton] Walser[-Kirchthaler] soll in seiner Eröffnungsrede warme Worte über den Fürsten [Johann II.] gebraucht haben und im Laufe der Versammlung sei auch die Volkshymne gespielt worden. Wie weit den Herrschaften hiebei ernst war, mögen Euer Durchlaucht selbst beurteilen. - Bezeichnend erscheint mir die Tatsache, dass die Balzner Musik der Aufforderung zur Teilnahme an der Kundgebung keine Folge leistete und zu Hause blieb. Dagegen waren die Musikvereine von Triesenberg und Triesen dabei. Ein bezeichnendes Gegenstück ist die Tatsache, dass aus den unterländischen Gemeinden Gamprin und Ruggell eine sehr beträchtliche Zahl an der Versammlung teilnahm.

An der Abstimmung über die gegen Berufung Peers sich wendende Resolution dürften etwa 2/3 der Versammelten zustimmend teilgenommen haben. Eine Gegenprobe wurde bezeichnenderweise nicht vorgenommen. Nach der Versammlung in der Au wurden von der Parteileitung diejenigen, die mit „Ja" stimmten eingeladen, an einem zweiten Umzuge bis zum Gasthaus z. Kirchthaler teilzunehmen. Der Einladung haben etwa gegen 500 Folge geleistet. Beim Kirchthaler haben dann Walser u. Oberlehrer [Emil] Risch Ansprachen gehalten, wobei hervorgehoben zu werden verdient, dass Risch an jenem Tage, als in Triesen die erste Parteiversammlung [8] stattfand, im Gasthause z. Au in Vaduz sass, dort Karten spielte und als das Gespräch auf die Landesverweserfrage kam, sich hinsichtlich der Berufung Peers zustimmend äusserte, genau so, wie sein Kollege im Landtag, Abgeordneter [Josef] Sprenger, welcher letztere aber beim Kirchthaler am letzten Sonntage ebenfalls den Hintergrund der Redner schmückte.

Alles in allem habe ich den Eindruck, dass die Stimmung in der Volkspartei sich zwar eher beruhigt hat, das aber bei den Führern und einem recht beträchtlichem Anhange derselben der feste Wille vorhanden ist, das Herkommen Peers schon zum Vorhinein zu hintertreiben oder wenn Peer kommen sollte, ihm tatsächlich derartig Schwierigkeiten zu machen, dass ein gedeihliches Amtieren für ihn sehr schwer möglich sein wird.

Ich bin der Auffassung, dass es sich empfehlen dürfte, wenn Peer recht bald und vor der offiziellen Übernahme des Dienstes zu einer Aussprache etwa mit den Vertretern der Gemeinden, des Landtages und der Parteien hieher käme, in welcher Auffassung ich durch eine Rücksprache mit dem Abgeordneten Peter Büchel und Dr. Nipp bestärkt wurde. [9] Eine grosse gegnerische Strömung ist nun einmal da und zu einer Bezwingung derselben mit Gewalt fehlen eben alle Mittel, wie man bei uns nach meiner Überzeugung beim Regierung deutsch gesagt, überhaupt nur auf den guten Willen der Bevölkerung angewiesen ist. Gewisse Herren wissen nur zu gut, warum sie seinerzeit so eifrig gegen die Errichtung einer Bürgerwehr [10] sich gewendet haben.

In den Kreisen der Bürgerpartei scheint der in meinem letzten Briefe erwähnte Gedanke der Feststellung des Volkswunsches im Wege einer amtlichen Abstimmung an Boden zu gewinnen. [11] Der Parteiobmann [Franz Verling] habe sich gestern in diesem Sinne zu Dr. Nipp geäussert. Ich meinerseits vermag zu diesem Gedanken keine entscheidende Stellung zu nehmen, weil ich einerseits seine Vorteile sehe, anderseits aber darin doch wieder ein gewisses Vorgreifen gegen die freie Entschliessung des Landesfürsten erblicken muss. Ich bin zwar überzeugt, dass bei den Vertretern des Abstimmungsgedankens gerade ihre loyale Gesinnung bestimmend ist.

Die Kundmachung, gegen welche seinerzeit Dr. Beck und Genossen so feierlichen Protest erhoben haben, hat bei den ruhig denkenden Leuten nur gut gewirkt und bei den anderen scheinbar nicht jene Aufregung verursacht, die man in Aussicht stellte. – [12]

Von der abschriftlich mitgeteilten Eingabe der Postangestellten haben der Postgehilfe Otto Hasler (ein Bruder des Adjunkten [Ludwig] Hasler) und der die Zulassung zur Postoffiziantenprüfung anstrebende Postamtsdiener Theodor Rheinberger ihre Unterschriften zurückgezogen. Es ist wohl anzunehmen, dass wir für die nächste Woche mit einer mehr oder weniger grossen Störung im Postbetriebe zu rechnen haben, doch hoffe ich, mit Postmeister [Friedrich] Walser, Schaan, die Sache so organisieren zu können, dass es der Not entsprechen wird. [13]

Heute Nachmittag wird eine Sitzung der Valutakommission stattfinden, worauf ich telegraphisch auf das Schreiben vom 7. d. M. Zl. 344/5 [14] Antwort geben werde. 

Im Gegenstande des Schreibens vom 29. v. M. Zl. 304/3 [15] betr. Kupferlieferung hoffte ich, mit diesem Kurier das Nötige senden zu können. Leider habe ich die Schätzung des Baumeisters Hilty [Josef Hilti] betr. die in Frage kommenden fürstl. Gebäude trotz Betreibung noch nicht zur Hand, doch hoffe ich die Erledigung dieses Gegenstandes baldigst nachtragen zu können.

Leider muss ich diese Zeit her die Domänengeschäfte wieder arg zurückstellen, ich darf aber wohl hoffen, dass in diesem Punkte von den in Betracht kommenden Stellen die entsprechende Nachsicht mir nicht versagt werden wird.

Ich wäre zu froh, wenn ich mich allein jenen Gegenständen widmen könnte.

Gestatten Euer Durchlaucht die Bitte, vorstehenden Brief auch seiner Durchlaucht, dem Herrn Landesverweser, zur Einsicht zu geben.

Euerer Durchlaucht

gehorsamster

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[1] LI LA V 003/1193 (Aktenzeichen 393/1). Eingegangen bei der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien am 15.5.1920.
[2] Vgl. die Berichterstattung hiezu in den Landeszeitungen: O.N., Nr. 38, 12.5.1920, S. 1-2 („Die grosse Volks-Demonstration vom 9. Mai 1920 in Vaduz, ein historischer Tag") und L.Vo., Nr. 38, 12.5.1920, S. 2 („Die Maidemonstration der Volkspartei").
[3] Fortschrittliche Bürgerpartei.
[4] Die diesbezügliche Entschliessung vom 9.5.1920 gegen die Bestellung von Josef Peer zum liechtensteinischen Landesverweser findet sich auch als Beilage zum Schreiben von Anton Walser-Kirchthaler an Prinz Eduard vom 11.5.1920 (LI LA V 003/1192 (Aktenzeichen 382/4).
[5] Schreiben von Josef Peer an Anton Walser-Kirchthaler vom 3.5.1920 (Abschrift in LI LA V 003/1191). Veröffentlicht in L.Vo., Nr. 40, 19.5.1920, S. 1 ("Zur Landesverweserfrage").
[6] Schreiben von Prinz Eduard an Wilhelm Beck vom 3.5.1920 (Abschrift in LI LA V 003/1191).
[7] Vgl. L.Vo., Nr. 39, 15.5.1920, S. 1 („Zur Volksparteiversammlung").
[8] Vermutlich der 18.4.1920, als die Volkspartei in Triesen eine Protestresolution in der Landesverweserfrage verabschiedete (vgl. LI LA SF 01/1920/072).
[9] Eine Aussprache der massgeblichen Personen fand - wenn auch ohne Peer - am 21.5.1920 im Landesverweserbüro in Vaduz statt (vgl. die diesbezügliche Niederschrift unter LI LA SF 01/1920/090).
[10] Vgl. vor allem die öffentlichen Landtagssitzung vom 25.11.1919 (LI LA LTA 1919/S04).
[11] Diese Idee wurde in der Volksabstimmung vom 28.3.1921 aufgegriffen, als es um den Verbleib von Josef Peer als provisorischer Regierungschef ging.
[12] Vermutlich O.N., Nr. 35, 1.5.1920, S. 4 („Kundmachung") und L.Vo., Nr. 35, 1.5.1920, S. 4 („Kundmachung"): Darin hatte Fürst Johann II. die Eingaben der Volkspartei in der Landesverweserfrage als verfassungswidrig abgelehnt.
[13] Vgl. LI LA RE 1920/0409 SF betreffend die Gehaltsforderung der Postangestellten in Franken. Vgl. auch die öffentliche Landtagssitzung vom 22.5.1920 (LI LA LTA 1920/S04).
[14] Nicht aufgefunden.
[15] Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien an die Firma G.TH. Bartholoméi in Zürich vom 29.4.1920 betreffend Kupferlieferung für das Lawenawerk (LI LA V 003/0860 (Aktenzeichen 304/3)).