Das „Liechtensteiner Volksblatt“ weist die Berichterstattung in den „Oberrheinischen Nachrichten“ über die Eschner Versammlung als unwahr zurück und veröffentlicht die Rede des Landtagsabgeordneten Peter Büchel


Artikel im „Liechtensteiner Volksblatt" [1]

 

 

1.5.1920 

 

Unterländer Volkskundgebung 

Zum Berichte der „O.N." [„Oberrheinische Nachrichten"] [2] über die Volksversammlung in Eschen [3] sei folgendes bemerkt: 

Der Bericht entstellt die Tatsachen in jeder Beziehung voll und ganz, Zeugen dafür sind die über 500 Bürger, die der Resolution [4] zugestimmt haben.

Die Anzahl der Anwesenden wurde durch besondere Zähler bestimmt, es waren über 500 stimmberechtigte Bürger anwesend. Gegen die Resolution stimmten 2. Es ist unwahr, dass 80-100 Mann nicht dafür stimmten, sonst hätten sie, wenn sie Mut gehabt hätten, dagegen gestimmt. Denn es ist zu betonen, dass extra zur Gegenprobe aufgefordert wurde.

Die Unterländer werden sich für diese unwahre Berichterstattung der „O.N." bedanken.

Es ist vollständig unwahr, dass Dr. [Josef] Peer als besonders nur für das Unterland geeignet hingestellt wurde, im Gegenteil wurde ganz objektiv betont, sowohl mit Österreich als auch mit der Schweiz müssen die Verhandlungen recht geführt werden.

Dabei wurde selbstverständlich darauf hingewiesen, dass Dr. Peer gerade auch die Beziehungen mit Österreich wieder günstiger gestalten könnte. Würde das schaden? Muss man dabei gerade wieder an einen Zollvertrag mit Österreich denken?

 

Was in der „O.N." mit „Jägerpartei" gesprochen wird, quittieren wir nicht mit „Putsch- oder Patronenpartei". [5]

 

Warum hat Dr. [Wilhelm] Beck das Jagdgesetz, das ihm vor einem Jahr zur Ausarbeitung übertragen wurde, noch nicht ausgearbeitet? [6] Bei denkenden Leuten zieht jenes Schlagwort nicht mehr. Zum Beweis, wie so unwahr berichtet wurde, geben wir vorläufig nur die Rede Peter Büchels wörtlich wieder. Jeder sieht dann die Verdrehungen in den „O.N.".

Nun soll jeder sehen, sehen ob in dieser Rede eine einzige der in den „O.N." hervorgehobenen Stellen stehe. Ganz ähnlich sind in den „O.N." die Reden der anderen [7] entstellt.

Rede des Abg. Peter Büchel:

Werte Versammlung!

Wir leben gegenwärtig in einer sehr kritischen Zeit, in der sogenannten Übergangszeit. - Jeder Tag stellt uns vor neue Fragen, die zu lösen oft sehr schwer sind. - Eine solche schwere Frage ist wohl auch die Besetzung der Landesverweserstelle. Zwar wäre es nach unserer heutigen Verfassung nicht Sache des Volkes sich in dieser Frage den Kopf zu zerbrechen, denn seinen Stellvertreter im Lande sollte doch der Fürst bestimmen können. Doch einige grosse Geister wollen jede Frage lösen, ob sie davon etwas verstehen oder nicht, aber immer nur von ihrem eigenen Standpunkt aus, unbekümmert, was Hundert andere davon halten und so haben sich diese grossen Geister in den Kopf gesetzt, dass der zukünftige Landesverweser unbedingt ein geborener Liechtensteiner sein müsse. In normalen Zeiten wäre dies wohl eher möglich gewesen als heute. Das Haupthindernis für einen Liechtensteiner an diese Stelle sind nach meiner Ansicht nach die Parteien. Wird der Landesverweser aus der Volkspartei genommen, so ist die Bürgerpartei nicht zufrieden, umgekehrt aber noch viel weniger die Volkspartei. Bei einem sogenannten Neutralen würde es bald heissen, der ist sowieso nichts, sonst würde er Farbe bekennen. Nach meiner Ansicht kann gegenwärtig nur ein Mann in Betracht kommen, der unsern bisherigen Streitigkeiten vollkommen fern steht, ein Mann von grosser Erfahrung und anerkannten geistigen Fähigkeiten. Man könnte wohl lange suchen, bis man für diese Stelle einen so passenden Mann finden würde, wie der in Vorschlag gebrachte Herr Hofrat Dr. Peer ist. In unserem Lande geboren, [8] mit unsern Verhältnissen vertraut, in allen in Betracht kommenden Gebieten erfahren, edel und leutselig gegen jedermann im In- und Auslande, ist er für diese Stelle wie geschaffen. Wenn wir uns in Vorarlberg, wo auch Parteien sind, nach diesem Manne erkundigen, gleichviel ob bei einem Roten oder Schwarzen, so erhalten wir meistens zur Antwort: Ja, wenn Liechtenstein diesen Mann bekommt, dann ist Euch nur zu gratulieren. Warum nun sollen wir denn diesen Manne nicht unser Vertrauen entgegenbringen? Etwa weil es einigen passt, die selber an diese Stelle wollen, oder wegen einigen, die schon lange in unserm lieben Vaterlande Maulwurfsarbeit verrichtet haben? Raffen wir uns auf! Den rechten Mann an die rechte Stelle, dann werden wir wieder bald Ruhe und Ordnung im Lande haben. Der Bauer kann wieder pflanzen, ohne zu fürchten, dass andere statt ihm ernten. Handel und Gewerbe werden wieder blühen und wenn wir günstige Handelsverträge mit unsern Nachbarstaaten abschliessen können, zu welchem Geschäfte Herr Dr. Peer passen würde wie selten ein anderer. Ich habe schon mehrere Male einen führenden Abgeordneten der Volkspartei ersucht, wir wollen nur als Landtagsabgeordnete schaffen, unbekümmert um die Partei nur zum Wohle des Landes, meistens erhielt ich zur Antwort: Ich habe meine Partei und ich schaffe mit meiner Partei! Ist das etwa der Volkswille? Fort mit den Parteien, denn haben wir wieder Ruhe und Frieden im Lande. Solange aber die Volkspartei noch so fest zur Partei hält, so sind auch wir gezwungen Partei zu bleiben. Unsere Partei ist für Ruhe und Ordnung und gesunden Fortschritt auf gesetzlicher Basis und jeder, der für Ruhe und Ordnung eintritt mit gesundem Fortschritt ist von selbst Mitglied der Bürgerpartei. Wir haben unsere Sache bisher zu gemütlich genommen, zeigen auch wir wieder einmal, dass wir einen Willen haben, dass wir nicht mehr länger der Spielball einiger Abenteurer sein wollen, bringen wir dem Vorgeschlagenen, Herrn Dr. Peer, unser Vertrauen entgegen, schliessen wir uns fest zusammen und schaffen wir mit vereinter Kraft, dann werden wir am schnellsten zum Frieden gelangen. Das walte Gott!

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[1] L.Vo., Nr. 35, 1.5.1920, S. 1-2.
[2] O.N., Nr. 34, 28.4.1920, S. 1-2 („Unterländer Versammlung"): Die „Oberrheinischen Nachrichten" hatten u.a. behauptet, dass lediglich 250-300 Mann an der Eschner Versammlung der Fortschrittlichen Bürgerpartei teilgenommen hätten.
[3] Die Versammlung fand am 25.4.1920 statt. Vgl. die ausführliche Berichterstattung über die Versammlung im „Liechtensteiner Volksblatt: L.Vo., Nr. 34, 28.4.1920, S. 1 („Die grosse Volkskundgebung im Unterland").
[4] Zum Text der Resolution siehe L.Vo., Nr. 34, 28.4.1920, S. 1 („Die grosse Volkskundgebung im Unterland") oder LI LA V 003/1190 (Aktenzeichen 353/1): Die Anhänger der Bürgerpartei begrüssten in dieser Resolution die etwaige Bestellung von Josef Peer zum liechtensteinischen Landesverweser, beharrten auf der Kompetenz des Fürsten Johann II. zur Besetzung dieses Postens und gelobten dem Fürsten unentwegte Treue.
[5] Zufolge der Berichterstattung im „Liechtensteiner Volksblatt" hatte Wilhelm Beck nach der Versammlung der Christlich-sozialen Volkspartei am 25.4.1920 in Triesenberg im Zusammenhang mit der Peer- bzw. Landesverweserfrage angeblich gesagt: „Durch muss es, und wenns Patronen kostet." (L.Vo., Nr. 35, 1.5.1920, S. 1 („Zur Landesverweserfrage")).
[6] Vorerst war noch das Jagdgesetz vom 3.10.1872, LGBl. 1872 idF. LGBl. 1894 Nr. 5, in Geltung. Ein neues Jagdgesetz kam erst im Oktober 1921 zustande (vgl. das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 19.10.1921 (LI LA LTA 1921/S04/2); LI LA LTA 1921/L02; LI LA RE 1921/1786; Jagdgesetz vom 30. Oktober 1921 (LGBl. 1921 Nr. 16.)).
[7] Es handelte sich um die Reden von Franz Verling, Friedrich Walser, David Bühler, Johann Meier und Eugen Nipp.
[8] Josef Peer besuchte zwar 1870-1874 die Volksschule Schaan, er wurde jedoch am 13.6.1864 in Erl bei Kufstein (Tirol) geboren.