Die „Oberrheinischen Nachrichten“ spielen die Eschner Versammlung der Fortschrittlichen Bürgerpartei in der Peerfrage herunter
Artikel in den „Oberrheinischen Nachrichten" [1]
28.4.1920 Unterländer Versammlung Hiezu berichtet man uns: Am 25. April 1920 hielten auf Veranlassung der Fortschrittlichen Bürgerpartei 250-300 Mann [2] beim „Kreuz" in Eschen eine Versammlung. Von Bürgerpartei-Seite werden unwahre höhere Zahlen genannt und die Zahl übertrieben, damit Eindruck geschunden wird. Anwesend waren ziemlich viele Oberländer und Volksparteiler. Die Maurer Musik spielte zum Einzug und nachher. Die Versammlung dauerte von 2.15 bis ½ 4 Uhr. Parteiobmann [Franz] Verling begrüsste die Erschienenen und führte aus, dass sie sich hauptsächlich auf die Unterländer in der Landesverweser- und andern politischen Fragen stellen. [3] Präsident [Friedrich] Walser, der bisher doch stets betont hatte, er stehe über den Parteien, strich Dr. [Josef] Peer, seinen Freund, sehr hervor. Der Standpunkt der Volkspartei habe auch etwas Gutes für sich, er bezweifle aber dessen praktische Durchführbarkeit beim jetzigen Parteienhader. Walser machte die ruhigen Bürger darauf aufmerksam, wenn es die Not erfordere, sich um das Fürstenhaus zu scharen. Es werde auf der andern Seite dem Satze gehuldigt: willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag ich Dir den Schädel ein! Früher sei er für eine einheimische Regierung gewesen, heute könne er es nicht mehr sein. (!!) Agent [David] Bühler schlug auf seine Brust und führte aus: Er kenne Dr. Peer schon lange er sei sein Freund und deswegen empfehle er ihn bestens. Abg. [Johann] Wohlwend fand sich bemüssigt, für H. H. Kanonikus [Johann Baptist] Büchel, den intelligentesten und hochangesehenen Bürger des Landes aus, der von der Volkspartei arg mitgenommen werde (Persönliche Entgleisungen bedauern auch wir. D. Red. [die Redaktion]). Er protestiere dagegen. Peter Büchel sprach von einer kritischen Zeit, in der sich „grosse Meister aufgetan hätten" (!!). Hauptsächlich das Unterland solle wegen seinen Interessen nach Norden gegen eine einheimische Regierung sein. Die Gegner leisten Maulwurfsarbeit, damit sei ein „rechter" Mann nicht einverstanden. Man sollte die Parteien abschaffen, aber Dr. [Wilhelm] Beck wolle nicht. Vorher aber könne kein Handel und Wandel blühen im Lande. Die Unterländer seien nicht mehr länger der Spielball. Dr. Peer sei halt der recht Mann für die Unterländer! Lehrer [Johann] Meier sprach sich noch deutlicher aus, warum es sich beim ganzen Rummel handle: Die Parteien seien ein Unglück. Glücklich die Zeiten, wo keine Parteien waren. (Soll wohl heissen, wo nur einige Herren alles regierten - sie die Partei waren). Er lobte Dr. Peer sehr als einen für die Unterländer-Interessen geeigneten Regierungsmann. Als Unterländer müssen sie für Dr. Peer stimmen. Dr. Peer werde sorgen, dass zwischen dem Unterlande und Vorarlberg wieder der alte Zustand hergestellt und sie wie früher die Grenze nach Vorarlberg mit Produkten übertreten können. Das könne ihnen nur der neue Landesverweser bringen. Darum empfehle er ihn. - Reg. Rat [Franz Josef] Marxer empfahl den Ausländer Peer ebenfalls. Eine breit angelegte Rede hielt Dr. [Eugen] Nipp. Nicht er sei der Friedensstörer, sondern die andern, die Volkspartei. Er sei immerhin noch bereit, Frieden zu schliessen. Mit erhobener Stimme rief der Herr Dr. Nipp aus, wir haben keine geeigneten Männer im Lande, wohl aber im Auslande. Wir müssen einen Ausländer haben wegen der Parteien. Der Mann müsse über den Parteien stehen. Er habe dem Fürsten [Johann II.] den Mann vorgeschlagen. [4] Im allgemeinen war die Stimmung trotz Musik und allem Pomp nicht, wie sie hätte sein sollen. Das konnte man deutlich wahrnehmen. Denn als zum Schlusse eine Resolution [5] vorgeschlagen wurde, dass dem Fürsten das Recht [6] zustehe, einen Landesverweser ins Land zu schicken, stimmten dafür etwa 80-100 Mann nicht. [7] Dies trotzdem als man vorausgehend schlauer Weise feststellen wollte, wer gegen die Bestrebung der Bürgerpartei sei. (Nachschrift. Aus dem vorstehenden Berichte, an dessen Richtigkeit wir keinen Anlass zu zweifeln haben ergibt sich 1. Dass lange nicht mehr alle Unterländer eine ausländische Regierung wollen und dass gerade mit dem Selbstinteresse der Unterländer wegen Grenzenöffnen, Zollvertrag usw. Stimmung gemacht werden musste. Schon Dr. Nipp hat in der letzten Nummer [8] durchblicken lassen, warum eigentlich Dr. Peer der rechte Mann ist. Er soll einen Wirtschaftsanschluss an einen gesunden Staat hintertreiben. Sehen es die Unterländer und die Oberländer, die anders denken, nicht ein? Deutlicher konnte man nicht auffallen, warum Peer ins Land kommen soll; warum diese ganze Mache unternommen wurde. Sollen sich denn alle jene, die sich an ein gesundes Wirtschaftsgebiet sich anschliessen wollen, wieder abspeisen lassen. Die Herren haben die Rechnung zweifellos ohne den Wirt gemacht. 2. Der Standpunkt einiger Unterländer ist nicht der Landesstandpunkt. Wie sehr das allgemeine Interesse verfolgt wird, sieht man daraus, dass sie Dr. Peer empfehlen, weil er ihr Freund ist. Für eine solche Empfehlung danken wir. Soll also Dr. Peer, wie aus den Zeilen des gegnerischen Blattes resultiert, unser Vogt werden? Mit ihrem ganzen Auftreten in Presse und Versammlung schaden die Gegner dem Lande und seinen internationalen Beziehungen sehr. Darüber später mehr. D. R. [die Redaktion])
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[1] O.N., Nr. 34, 28.4.1920, S. 1-2. Vgl. dazu die Berichterstattung über die Eschner Versammlung der Fortschrittlichen Bürgerpartei im „Liechtensteiner Volksblatt": L.Vo., Nr. 34, 28.4.1920, S. 1 („Die grosse Volkskundgebung im Unterland"). [2] Das „Liechtensteiner Volksblatt" sprach hingegen von der Teilnahme von über 500 stimmberechtigten Bürgern - bei etwas über 600 stimmberechtigten Bürgern im Unterland (L.Vo., Nr. 34, 28.4.1920, S. 1 („Die grosse Volkskundgebung im Unterland")). [3] Bei der Landesverweserfrage ging es um die Frage der Bestellung eines Ausländers – des österreichischen Juristen Josef Peer – zum liechtensteinischen Landesverweser. Die Christlich-soziale Volkspartei wandte sich strikt gegen die Ernennung Peers. [4] Vgl. L.Vo., Nr. 29, 10.4.1920, S. 1 („Zur Landesverweser-Frage") oder O.N., Nr. 30, 14.4.1920, S. 1 („Zur Landesverweser-Frage"). [5] Der Text der Eschner Resolution findet sich auch in den Wiener Gesandtschaftsakten unter LI LA V 003/1190 (Aktenzeichen 353/1). [6] Vgl. dazu § 27 der liechtensteinischen Verfassung vom 26.9.1920. [7] Demgegenüber berichtete das „Liechtensteiner Volksblatt", dass diese Resolution fast einstimmig durch Handmehr angenommen worden sei. Bei der Gegenprobe hätten nur zwei Personen dagegen gestimmt (L.Vo., Nr. 34, 28.4.1920, S. 1 („Die grosse Volkskundgebung im Unterland")). [8] L.Vo., Nr. 33, 24.4.1921, S. 1 („Für Ruhe, Ordnung und Fortschritt") u.a. mit Überlegungen betreffend den Abschluss eines Zollvertrages mit Österreich und mit der Warnung vor einer einseitigen Orientierung an die Schweiz.
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