Die Anhänger der Fortschrittlichen Bürgerpartei verabschieden in Eschen eine Resolution in der Peerfrage


Bericht im „Liechtensteiner Volksblatt" [1]

 

28.4.1920 

Die grosse Volkskundgebung im Unterland

Am Sonntag den 25. d. M., nachmittags 2 Uhr, fand in Eschen unter freiem Himmel eine vom Obmann [2] der fortschrittlichen Bürgerpartei einberufene Volksversammlung statt, zu der die Anhänger und Freunde der Bürgerpartei und auch jene von der Volkspartei eingeladen waren, die in der Landesverweserfrage [3] mit der Bürgerpartei einig gehen. Diese Versammlung gestaltete sich zu einer Volkskundgebung des Unterlandes. Aus allen Gemeinden des Unterlandes waren sie zusammengekommen, um ihre Überzeugung zu bekunden. Auch aus den meisten Gemeinden des Oberlandes waren manche erschienen. Die Maurer Bürger erschienen in geschlossenen Reihen, ihre treffliche Musik an der Spitze. Die Volkszahl war so gross, dass der Saal im „Kreuz" in Eschen sie nie hätte fassen können. Daher füllte sich bald der anschliessende Garten und freie Platz mit den Versammlungsbesuchern. Kaum wohl hat eine Volksversammlung einen würdigeren und ruhigeren Verlauf genommen als diese Volkskundgebung in Eschen. Die durch die Weibel vorgenommene Zählung ergab über fünfhundert stimmberechtigte Bürger, [4] nicht gezählt die zahlreichen andern Anwesenden. Die Tatsache, dass das Unterland etwas über 600 stimmberechtigte Bürger zählt, beweist, wes Geistes die Unterländer im Betreff der Landesweserfragen sind.

Der Obmann der Fortschrittlichen Bürgerpartei Liechtensteins, Franz Verling von Vaduz, leitete die Versammlung. Die auftretenden Redner sprachen kurz, markig und bestimmt, aber weder in scharfem noch in angreifendem Tone. Der Geist der Treue gegen den Fürsten [Johann II.], der Geist der Versöhnlichkeit und des Zusammenarbeitens auch mit allen andern ruhig denkenden Liechtensteiner Bürgern, aber auch der Geist der Bestimmtheit und der Forderung, dass jeder Bürger Liechtensteins seine freie Meinung haben dürfe, ohne dass ihm mit Gewalt gedroht werden solle, herrschte in allem.

Für heute seien nur auszugsweise die Ausführungen der Redner wiedergegeben.

In seiner Eröffnungsansprache begrüsste der Obmann alle Versammlungsteilnehmer, wünschte der Tagung einen ruhigen Verlauf und forderte alle auf, nur sachlich zu reden. Er betonte die Wichtigkeit eines tüchtigen Nachfolgers für den Landesverweserposten und begrüsste Hofrat Dr. [Josef] Peer als den für diesen Posten geeigneten Mann. Es wäre erfreulich, führte er weiter aus, wenn wir einen Liechtensteiner hätten, der für diesen wichtigen Posten heute in Betracht kommen könnte, der einerseits die Kraft dazu, anderseits das Vertrauen der Volksmehrheit hätte.

Hierauf erteilte er dem Landtagspräsidenten Friedrich Walser aus Schaan das Wort.

In ruhiger, aber ganz bestimmter Form trat er auf gegen die Gewaltpolitik, die heute einzelne treiben wollen, wir wollen keine Gewalt, sondern, geordnete Verhältnisse und Aufschwung des Landes. Auch er sei nicht der Letzte gewesen, der einstimmte in den Ruf: „Liechtenstein den Liechtensteinern!" und noch heute stehe er auf dem Standpunkte, dass für den Landesverweserposten in erster Linie ein Liechtensteiner zu berücksichtigen sei. Da wir aber heute nach unserer Ansicht mit bestem Gewissen dem Landesfürsten keinen solchen Liechtensteiner in Vorschlag bringen können, welcher das Vertrauen eines Grossteils der Bevölkerung geniesst und von dem wir hoffen dürfen, dass er in dieser bewegten Zeit diesem verantwortungsvollen Posten voll und ganz vorstehen kann, erachten wir das Wohl des Landes darin, dass uns der Landesfürst an die Spitze unserer Regierung einen für dieses Amt vollkommen fähigen und über jeden Parteienhader stehenden Mann beruft, wenn er auch kein Liechtensteiner sei. Ein solcher Mann sei Dr. Peer und wir können unserem Landesfürsten nur danken, wenn seine Wahl auf Herrn Dr. Peer als Landesverweser falle: denn dieser sei der Mann, den wir brauchen. Wir seien unserem im ganzen Lande beliebten Prinzen Karl zu grossem Danke verpflichtet, dass er in der kritischen Zeit im Dezember 1918 die Regierung übernommen [5] und seither in gewiss demokratischen Sinne geführt habe. Wenn er uns jetzt verlassen wolle, so sei das leicht begreiflich. 

In ähnlichem Sinne sprachen sich auch die Herren Redner des Unterlandes, in markigen, bewegten Worten, die Tüchtigkeit Dr. Peer's für diesen Posten betonend. 

David Bühler, Mauren, betonte besonders die Tüchtigkeit Peers, den er seit langem kenne. Er sei der rechte Mann, der uns ein Tor öffne, sei es nach Ost oder West. Auch er sei im Prinzip für einen Liechtensteiner. Heute aber sei Dr. Peer der richtige Mann. 

Abgeordneter Joh. [Johann] Wohlwend aus Schellenberg trat ebenfalls mit warmen Worten für die Lösung der Frage im Sinne der Vorredner ein. Ganz besonders aber protestierte er gegen die Heruntersetzung des H. H. Kanonikus [Johann Baptist] Büchel, [6] der sein Leben lang nur Gutes getan habe und einer unserer Besten sei. 

Abgeordneter Peter Büchel aus Mauren hob hervor, wie wir heute in einer kritischen Zeit leben und dass manche schweren Fragen zu lösen seien. Nach der jetzigen Verfassung sei es eigentlich nicht Sache des Volkes sich zu entzweien und den Kopf zu zerbrechen betreffs der Landesverweserfrage; denn seinen Stellvertreter im Lande sollte doch der Fürst bestimmen können. In normalen Zeiten wäre ein Liechtensteiner auf diesem Posten eher möglich gewesen. Das Haupthindernis für einen Liechtensteiner für diese Stelle seien die Parteien. Man könnte wohl lange suchen, bis man für diese Stelle einen so passenden Mann finden würde wie der in Vorschlag gebrachte Hofrat Dr. Peer einer sei. Bestimmt wandte er sich gegen jede Maulwurfsarbeit. Den rechten Mann an die rechte Stelle! 

Lehrer [Johann] Meier aus Mauren führte manche Punkte auf, die bei der Besetzung des Landesverweserposten in den jetzigen Zeiten besonders in Betracht zu ziehen seien. Für all diese Erfordernisse sei Dr. Peer der richtige Mann. Auch die Ausführungen des Herrn Lehrer Meier verdienen noch des näheren bekannt zu werden. Besonders hob Herr Lehrer Meier hervor die Tatkraft, den Weitblick und den Gerechtigkeitssinn Dr. Peers.  

Regierungsrat [Franz Josef] Marxer aus Eschen trat entschieden gegen den Parteienhader auf. Er hält es besonders deswegen für unmöglich, unter diesen Verhältnissen einen geeigneten Liechtensteiner für diesen Posten zu finden, weil wir durch die Parteiungen zu sehr zerrissen seien. Wenn unser allverehrter Herr Landesverweser Durchlaucht Prinz Karl nicht mehr gedenke auf seinem Posten zu verbleiben, so müsse diese Stelle auch wieder durch einen tüchtigen Mann besetzt werden. Wir können aber nicht einen Mann haben, der sich erst wieder in die Verwaltungstechnik einarbeiten müsse, da heute zu viel auf dem Spiele stehe (z.B. Währungsreform usw.) Dr. Peer sei der rechte Mann. Er habe sich als Bürgermeister von Feldkirch bewährt und durch seinen Weitblick zum Segen der Stadt Feldkirch gearbeitet (z.B. Elektrizitätswerk, Wasserversorgung usw.). [7]  

Über Aufforderung sprach zuletzt auch Dr. [Eugen] Nipp einige Worte: Wir sollten den Zank vergessen und auf die Zukunft schauen. Wir wollen zusammenarbeiten, aber jeder soll das Recht haben, seine Meinung ruhig zu äussern. Wir wollen sein ein freies Volk, innig verbunden mit einem freien Fürstenhause, das auch noch etwas zu sagen haben soll. Nur dann werden wir uns kulturell aufschwingen können in unserem kleinen Lande.  

Hierauf verlas Lehrer Meier folgende 

Resolution! [8] 

Wir am 25. April 1920 in Eschen versammelten über 500 stimmberechtigten Bürger begrüssen die fürstliche Ernennung des Hr. Dr. Peer zum Landesverweser von Liechtenstein für den Fall, als der jetzige Landesverweser Durchlaucht Prinz Karl nicht mehr auf seinem Posten zu verbleiben gedenkt.  

Wir verharren auf dem Standpunkte, dass das Recht des Fürsten, einen Landesverweser zu ernennen, der das Vertrauen der Volksmehrheit hat, nicht geschmälert werden soll. 

Wir verurteilen auf das Entschiedenste jedes Vorgehen gegen den Bestand des Landes als konstitutionelle Monarchie und geloben als freie Bürger unserem Fürsten unentwegte Treue. 

Hoch Fürst und Vaterland! 

Begeistert wurde diese Resolution fast einstimmig durch Handmehr angenommen. Bei der Gegenprobe stimmten nur zwei dagegen. 

Hierauf brachte Lehrer Meier das Fürstenhoch aus, in das alle jubelnd einstimmten.

 

Die Musik von Mauren, stimmte die Volkshymne an, die alle stehend und entblössten Hauptes mitsangen. 

 

Dann wurde diese denkwürdige Versammlung geschlossen. [9]

______________

[1] L.Vo., Nr. 34, 28.4.1920, S. 1. Es handelte sich um eine Gegenaktion der Fortschrittlichen Bürgerpartei zu den Versammlungen der Christlich-sozialen Volkspartei. Die Bürgerpartei hatte bereits an der Parteiversammlung vom 11.4.1920 dem österreichischen Juristen Josef Peer als etwaigem zukünftigen Landesverweser Liechtensteins das volle Vertrauen ausgesprochen (Schreiben von Parteiobmann Franz Verling an die Regierung vom 13.4.1920 (LI LA SF 01/1920/068)). Vgl. im Gegensatz dazu etwa die Triesner Protestresolution der Volkspartei vom 18.4.1920 gegen die etwaige Bestellung des Josef Peer zum Landesverweser (LI LA SF 01/1920/072).
[2] Franz Verling (1889-1964).
[3] Es ging um das Politikum der Ernennung eines Ausländers zum liechtensteinischen Landesverweser, in concreto um die Ernennung von Josef Peer, seit 1917 Richter am österreichischen Verwaltungsgerichtshof; ein Vorgang, der von der Volkspartei strikt abgelehnt wurde.
[4] Die „Oberrheinischen Nachrichten" sprachen dagegen von 250-300 Versammlungsteilnehmern (O.N., Nr. 34, 28.4.1920, S. 1 („Unterländer Versammlung")).
[5] Fürst Johann II. hatte am 13.12.1918 seinen Neffen Prinz Karl zum liechtensteinischen Landesverweser bestellt (vgl. Kundmachung der Regierung vom 19.12.1918 (LI LA SF 01/1918/039)).
[6] In der Ausgabe vom 28.4.1920 bedauerte die Redaktion der „Oberrheinischen Nachrichten" persönliche Entgleisungen gegenüber Kanonikus Büchel (O.N., Nr. 34, 28.4.1920, S. 1 („Unterländer Versammlung")). Kritische Bemerkungen über Büchel fanden sich in den „Oberrheinischen Nachrichten wegen seiner neuerlichen Wahl zum Schulinspektor: O.N., Nr. 13, 14.2.1920, S. 1 („Der Inspektor kommt").
[7] Peer fungierte von 1901-1909 als Feldkircher Bürgermeister.
[8] Der Text der Resolution findet sich auch in den Wiener Gesandtschaftsakten unter LI LA V 003/1190 (Aktenzeichen 353/1).
[9] Fürst Johann II. liess den Mitgliedern der Bürgerpartei seinen aufrichtigen Dank aussprechen (Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien an Bürgerparteiobmann Franz Verling vom 30.4.1920 (LI LA V 003/1190 (Aktenzeichen 353/1)).