Kabinettsdirektor Josef Martin bittet Fürst Johann II., von seiner Bestellung zum Gesandten in Wien abzusehen


Maschinenschriftliches Schreiben von Kabinettsdirektor Josef Martin an Fürst Johann II. (Abschrift) [1]

26.2.1922, Wien

Eure Durchlaucht!

Ich bitte es nicht ungnädig aufzunehmen, wenn ich glaube, Euer Durchlaucht diese Zeilen unterbreiten zu sollen.

Abgeordneter Dr. Wilhelm Beck, Vaduz hat Mitte Jänner d.J. an die fürstliche Regierung eine Eingabe gerichtet, [2] in welcher er im Hinblicke auf die Grundzüge der Verfassung, nach welchen Landesangelegenheiten im allgemeinen von Ausländern nicht behandelt werden sollen, gegen die Ende des Vorjahres zur Schliessung des Landtages Höchst erfolgte Bevollmächtigung meiner Person Protest einlegt. [3] Des weiteren fordert Dr. Beck, dass eine Mitarbeit des Hofrates am österr. Verwaltungsgerichtshofe Dr. Josef Peer bei Erledigung von Landesfragen aufhört und am Hofe Euer Durchlaucht ein gerader und willenstarker Liechtensteiner als Berater für Angelegenheiten des Fürstentumes – ohne Zentralkanzlei oder Kabinettskanzlei – herangezogen werde. In der Eingabe ist auch enthalten, dass die Ausführungen nicht gegen mich persönlich gerichtet sind, dass Dr. Beck anerkenne, was ich im Interesse des Landes gearbeitet habe und dass die Zeilen in keiner Weise mit der Person Euer Durchlaucht, Höchstderen fürsorgliche Ansichten er hervorhebt, in Verbindung zu bringen seien.

Das Schreiben Dr. Beck's hat die fürstliche Regierung der Kabinettskanzlei, bei welcher dasselbe am 24. d.M. eingelaufen, zur Kenntnis übermittelt. Am 24. und 25. d.M. fanden in Feldsberg unter dem Vorsitze Seiner Durchlaucht des Herrn Prinzen Alois dringende Konferenzen der Vorstände der Zentralbehörden statt; bei der Raschheit der Abreise gestern nachmittags ist das Schreiben unliebsamer Weise zurück geblieben, sodass ich dasselbe Euer Durchlaucht heute vorzulegen nicht in der Lage bin. Ich bitte dieses Versäumnis gnädigst zu verzeihen.

Als ich gestern abends in Wien angekommen, wurde mir von kompetenter Seite mitgeteilt, dass der Obmann der Volkspartei Anton Walser, Vaduz sich um eine Audienz bei Euer Durchlaucht behufs Besprechung der gegenwärtigen Lage im Lande bewerben wolle und Wert darauf lege, dass letztere ohne Beiziehung des Kabinettsdirektors erfolge.

Mitte November 1921 hat der Regierungschef [Josef Ospelt] auf Grund des Ergebnisses einer Regierungssitzung an die Kabinettskanzlei berichtet, dass der Wunsch besteht, dass ich die Leitung der Wiener Gesandtschaft unter Mitwirkung des Legationssekretärs Dr. Josef Hoop übernehme, [4] welcher Anregung Euer Durchlaucht Folge zu geben geruhten, sodass ich mit 1. März d.J. die Führung dieser Agenden zu übernehmen hätte. [5]

Aus dem Schreiben Dr. Beck's und der Absicht Walser's musste ich entnehmen, dass die im erwähnten Berichte des Regierungschefs zum Ausdrucke gebrachte Beurteilung meiner Tätigkeit bei den Vertretern der Mehrheitspartei des Landtages nicht zutrifft.

Ich unterbreite daher Euer Durchlaucht zur Vermeidung von Komplikationen für die Zukunft die Bitte, von einer Bestellung meinerseits als Leiter der fürstl. Gesandtschaft in Wien absehen und hiemit Legationssekretär Dr. Hoop betrauen zu wollen. Den Standpunkt, dass die Landesangelegenheiten in der Höchsten Umgebung tunlichst von einem Liechtensteiner bearbeitet werden sollen, habe ich stets eingenommen. Aus diesem Grunde habe ich seinerzeit auch um Einteilung des Dr. Hoop bei der Kabinettskanzlei angesucht und bitte nunmehr Euer Durchlaucht, verfügen zu wollen, dass ich dem Genannten das bezügliche Referat übertragen kann.

Euer Durchlaucht

treu gehorsamster

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[1] LI LA SF 01/1922/034. Kabinettsdirektor Martin übermittelte die Abschrift am 27.2.1922 der Regierung mit der Mitteilung, dass der Fürst seiner Bitte zugestimmt habe, sofern von der Regierung keine Bedenken erhoben würden.
[2] LI LA SF 01/1922/012, Wilhelm Beck an Regierung, 12.1.1922. Eine Abschrift übermittelte die Regierung am 15.2.1922 an die Kabinettskanzlei.
[3] Martin hatte am 30.12.1921 den Landtag geschlossen (LI LA LTP 1921/148).
[4] LI LA SF 01/1921/ad 163, Regierungschef Josef Ospelt an Martin, 14.11.1921.
[5] LI LA SF 01/1922/023, Erlass Kabinettskanzlei, 1.2.1922. Vgl. LI LA SF 01/1922/019, Martin an Ospelt, 16.1.1922; LI LA SF 01/1922/ad 19, Ospelt an Martin, 27.1.1922.