Brief von Josef G. Rheinberger an seine Eltern
München, 29.4.54
Theuerste Eltern!
Aus Ihrem letzten Briefe ersah ich mit nicht wenig Kummer, dass Sie so vielem Verdruss und Unannehmlichkeiten ausgesetzt seien - ach! Gott weiss es, wie sehnlichst ich wünschte alle diese schmerzlichen Eindrücke von Ihnen, bester Vater! ferne zu halten, wenn es mir möglich wäre - doch will ich gewiss befleissen, dass Sie von mir nie Kummer erleben werden. Ich würde den Peter oder David daher bitten, mir ein Näheres zu schreiben, indem ich darob nicht wenig erschrocken bin, und mir im mindesten nichts erklären konnte. -
Auf Ostern war ich diesmal nicht in Türkenfeld - denn
1. gab mir Hr. Prof. Maier die ganze Vakanz hindurch Unterricht,
2. sagte Hr. Herzog, dass er -mich die Osterferien hindurch nicht entbehren könne, weil es so viel Orgel zu spielen gab (z.B. Gründonnerstag u. Charfreitag von 8 - 11 unausgesetzt),
3. liess mich Hr. Schafhäutl nicht fort, indem er sagte: andere Musiker reisen auf die Charwoche hierher, urn die grossartigen Produktionen zu hören, indem ich fortginge.
Ich habe mich bei Hr. Wolfinger schon entschuldigt. Doch nun die Hauptsache:
Meine Zeugnisse, von denen ich nichts zu Gesicht bekam - werden in Vadutz angekommen sein - jenes von Hr. Generalmusikdirektor Lachner ward nicht leicht verdient: ich ging nämlich bin, meine Compositionen unterm Arm, zeigte sie ihm (er war sehr freundlich, ich etwas schüchtern) und indem er alles genau durchsah (ich war 2 volle Stunden dort) fixirte er mich öfters scharf - sagte halblaut vor sich: 'Viel Talent, grossen Fleiss' und 'Sie sind auf einem guten Wege, ich werde thun, was in meinen Kräften steht', dann musste ich ihm meine grosse F-moll Fuge zu 3 Thema vorspielen, welche er ausserordentlich lobte. Dann musste ich ihm versprechen, so oft ich etwas componirt habe, zu ihm zu kommen. Als ich mich für's Zeugniss bedankte, stellte er mich einigen Freunden vor mit den Worten 'Sehen Sie, das ist mein kleiner Vaduzer Compositore'…
Ich möchte doch wissen, wie das Zeugnis lautet: wenn man mir es schreiben würde, indem ich es hart verdient habe. Den Vorwurf, dass ich Hr. Schafhäutl noch nichts davon gesagt habe, verdiene ich nicht, indem mir Prof. Maier verboten hat, jemand etwas zu sagen.
Das- Neueste ist mein Offertorium op. IX, was Hr. Schafhäutl als meine beste Composition erklärte - doch jetzt komme ich zu spät in die Klavierstunde, muss abbrechen und verbleibe
Ihr dankbarster Sohn
Jos. Rheinberger.
______________