Emma Rheinberger an Alois Rheinberger über das Kriegselend, die Lebensmittelteuerung in Liechtenstein, die zufriedenstellende Wein-, Mais-, Obst- und Kartoffelernte, die Bekämpfung der Rebenschädlinge sowie den neuerlichen Winteraufenthalt im verschneiten Masescha


Handschriftliches Originalschreiben der Emma Rheinberger, Masescha, an Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois) [1]

28.11.1915, Masescha

Lieber Herr Vetter! [2]

Noch einmal
muss ich Ihnen sagen, wie
ganz besonders uns Ihr lieber
Brief gefreut, wie von ganzem
Herzen wir Ihnen dankbar da-
für sind. Bereits habe ich
eine Karte voraus geschickt,
vielleicht ist diese doch zu
Ihnen gekommen, so erschwert
der Postverkehr durch den
Krieg jetzt auch geworden ist. [3]

O, nicht wahr dieser Krieg u.
kein Ende. Wie viele Herzen
bluten, wie viele verbluten [4] da-
rüber. Barmherziger Gott, er-
barme Dich, möchte man zu
ihm aufschreien.

Auch bei uns ist der Krieg in
der Lebensmittelteurung empfind-
lich fühlbar geworden, bei armen
Familien geht es fast wunderbar
zu, dass sie überhaupt noch
leben können. – Doch der Wille
des Herrn über Himmel u. Erde
ist ja so stark, so mächtig,
dass man keinen Augenblick zu [5]
befürchten braucht nicht mehr
leben zu können, so lange es
der liebe Gott will. Und die
Gewissheit ihm zu gehören [6] ist
so süss, so überwältigend. –

Nicht genug können wir
staunen, lieber Herr Vetter,
wie der liebe Gott Ihren Geist
stark u. kräftig erhält. Diese
Elastizität u. Geistesstärke ist
wohl nur wenigen beschieden,
wieder lernt man darin den
Willen Gottes lieben u. hochachten
ihm vertrauen in allen Lebens-
lagen, in Kriegs- u. Friedenszeiten. [7]

Unwillkürlich wehmütig be-
schleicht es einen immer wieder,
dass man Sie nicht kennen
lernen darf im Leben, nicht
schöpfen zu dürfen aus Ihrem
edlen, edlen Herzen, ihm ab-
zusehen den Weg zum Himmel.
Dass uns dafür drüben in der
lieben, lieben seligen Heimat
der Allgütige ein glückliches
gegenseitiges „Grüss Gott“
sagen lassen wolle.

Möge er uns bestehen lassen
mit jubelndem Alleluja den
Kampf in dem Kriege des Lebens. [8]

Und Gott sei Dank auch
Ihren Lieben klein u. gross
geht es gut. Wie werden diese
sich immer wieder gerne scharen
um das treue, liebe Grossväter-
chen, es liebkosen u. ihm im
Herzen danken für alles Gute. –
Dass eine Ihrer lieben Töchtern
bei Ihnen weilen kann, ist eine
liebe Fügung Gottes, für die
wir dankbar sein wollen. – 
Sagen Sie ihr doch einen be-
sondern Gruss von den Liech-
tensteiner Rheinberger u. sie
solle dem lieben Väterchen u.
Grossväterchen doch recht gut [9]
sehen. –

Das Jahr 1915 war für Ame-
rika in Witterung u. Ernte
doch ein recht günstiges nach
Ihrem Berichte. –

Auch wir dürfen für den dies-
jährigen Herbst „Gott Lob
u. Dank“ sagen. – Wein, Mais,
Obst, Kartoffeln waren fast
zur allgemeinen Zufriedenheit
ausgefallen.

Mit ersterem, dem Wein hat-
ten sich im Frühling durch aus-
serorndlich reiche Sonne güns-
tige Aussichten in ganz beson-
derer Weise gezeigt. – Dann erschie-
nen aber Rebenfeinde in [10]
verschiedenen Formen, dennoch
kämpften sie sich, wenn auch zu-
letzt stellenweise mit ziemlicher
Fäulniss, tapfer durch.

Wissen Sie uns kein Mittel ge-
gen diese heftige Trauben-
fäulniss im Herbst?

Im Frühjahr bei der Trauben-
blühte u. dem gleichzeitigen
Erscheinen des Heuwurmes in
der blühenden Traube, versuchten
wir diesem mit etlichen Schul-
kindern u. spitzen Nadeln vor-
zu beugen u. entfernten auf diese
Weise etwa 20‘000 Stück der
schädlichen Tierchen u. hofften
damit auch das Wiederkehren [11]
des Schädlings als Sauerwurm
in der reifenden Traube im Herbste
(wodurch ja gerne dann die Fäul-
niss entsteht) zu vermeiden, es
hat jedoch für die Fäulniss kaum
geholfen. –

Wieder sind wir seit einigen Tagen
in unserer Winterbehausung
auf Masescha u. schon hübsch
eingeschneit bei 10. u. 12 Reomür [Réaumur]
Kälte u. erst haben wir den
27. u. 28. November. So d. lb. Gott
will, giebts keinen all zu kal-
ten Winter für die armen Krieger. –

Seien Sie jeden Tag dem lieben
Gott befohlen u. grüssen Sie alle,
alle Ihre Lieben /

von Ihren anhänglichen

Olga [Rheinberger], Egon [Rheinberger], dessen Frau Maria [Aloisia Maria Rheinberger [-Schädler]] u.
dessen Kinder Hansele [Johann (Hans) Georg Rheinberger]
u. Peterle [Peter Anton Rheinberger]
u. Ihre Emma.

______________

[1] LI LA AFRh Ha 18. Brief in lateinischer Schrift.
[2] Alois Rheinberger war bereits am 27.11.1915 verstorben.
[3] Seitenwechsel.
[4] Unterstrichen.
[5] Seitenwechsel.
[6] Doppelt unterstrichen.
[7] Seitenwechsel.
[8] Seitenwechsel.
[9] Seitenwechsel.
[10] Seitenwechsel.
[11] Seitenwechsel.