Emma Rheinberger an Alois Rheinberger über die Erkrankung des Johann Rheinberger, das beharrliche Gebet und das Gottvertrauen, die Behandlung der erkrankten Weinstöcke in Vaduz mit Schwefel, den Verdienst der Arbeiter und Arbeiterinnen in der Spinnerei Jenny, Spoerry & Cie, den Besuch von Prinz Franz von Liechtenstein im Land, die Wiederaufbaupläne für Schloss Vaduz, den Kauf und den Wiederaufbau der Ruine Gutenberg durch Egon Rheinberger, die Zusendung des Liechtensteiner Volksblattes nach Amerika sowie das 50jährige Ordensjubiläum der Zamser Schwester Maxentia Rheinberger


Handschriftliches Originalschreiben der Emma Rheinberger, Vaduz, an Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois) [1]

12.08.1904, Vaduz

Lieber Herr Vetter!

Wie verstehen Sie es
doch in liebevoller Weise Freude zu bereiten!
Ihr liebes, liebes Brieflein ging von Hand zu
Hand u. nicht genug freuen konnte sich
ein Jedes darüber. So lieb u. nett kann Nie-
mand sonst schreiben. Wie ist es nur möglich
ein solch‘ herziges Schriftchen zusammen zu brin-
gen? Wie sind wir Jüngern mit unsern Bären-
pratzen dagegen beschämt! Wenn man aus der
Schrift den Karakter des Menschen lesen kann,
dann lesen wir aus der Ihrigen eine ungleich hohe,
edle, liebe Seele. – Alles, alles in Ihrem letzten
trauten Brieflein interessierte uns riesig, wir
kennen zu unsrer grossen Freude, Ihr lb. Kinder
u. Enkel nun doch schon a bisl besser. –
Nur Eines betrübte uns aus ganzer Seele, das
Kranksein Ihres lb. Sohnes Hans. Aber vertrauen [2]
wir doch fest des Herren! Ein hingebend‘ unbe-
dingtes Vertrauen hat er so gern, dass er gewiss
in Rücksicht darauf seine Bestimungen, seine
Pläne oft noch einmal ändert. Ich selbst er-
fahre immer wieder, wie sehr d. lb. Gott ein star-
kes, treues Vertrauen segnet. Kommen Sie denn,
lieber Herr Vetter, lassen Sie uns mit kindlichem
Alles überwiegenden Vertrauen zu d. lieben ge-
kreuzigten Heiland im Himmel beten, dass er
d. lb. Hans doch wieder gesund mache. Sie
wissen ja auch, nicht wahr, dass d. lb. Gott viel,
Alles kann. Unser allverehrte, (gewiss auch in Ameri-
ka bekannte) Pfarrer Kneipp mit seiner neuen
Wasserheilmetode sprach einmal über die Liebe
u. Barmherzigkeit – Gottes: „wenn Ihr etwas vom
lb. Gott haben wollt, müsst Ihr nur nicht
nach lassen, es geht ihm dann so, wie der Mutter
eines Kindes, das, als es die Mutter „Küchle“
backen sah, bettelte: Mutter i möchte a Küch-
le! s’Mutterl giebt kein’s. Dann kommt s’Kind
wieder: „Mutter i möchte halt a Küchle“ – aber
die Mutter tut’s nicht hören. „Mutterl, hörst
nicht, a Küchle möcht i – aber es nützt nichts.
Das Kind jedoch kommt immer wieder u. bittet u.
bettelt u. bettelt u. bittet bis s’Mutterl nicht
mehr anders kann. – So habe es, behauptete [3]
Prälat Kneipp, der liebe Gott mit uns.“ Beharr-
lich nur müsse unser Gebet sein. – Tief im Herzen
leid täten einem ja die 4 lb. Kinder Ihres lb. Sohnes
Hans. Aber noch kann d. liebe Gott ja helfen u. wird
es auch ganz sicher tun
[4], wenn es zu seinem Besten
ist. Hat ihn eine schlimme Krankheit befallen? –
In jüngster Zeit habe ich auch erfahren, was für
eine ganz besondere, wunderbare Helferin die lb. hei-
lige Grossmutter des lieben Jesukindlein, die
heilige Anna ist. – Nicht wahr, lb. Herr Vetter, Sie
wollen es auch versuchen mit diesem gewiss guten [5], barm-
herzigen hl. Grossmutterle. –

Kaum konnten wir es erwarten Ihre so freundlich uns
zugesandte Rolle, die uns Ihr Haus versprach,
zu öffnen. Und was kam da heraus! Welch schö-
nes, schönes Heim ist Ihr eigen! Mit Liebe gehegt
u. gepflegt sieht es aus, ein volles [6] Glück muss ein-
mal da drinnen, in diesem ansprechenden Heim ge-
wohnt haben! Furchtbar schade, dass es Ihnen so
schmerzliche Lücken gebracht, es still u. leer ge-
worden, aber nicht wahr, unglaublich schnell
kann sich der Mensch an Alles gewöhnen. – Ich
war auch einmal Wochenweise allein in unserm
Haus, Väterchen [Peter Rheinberger] u. Mütterchen [Theresia Rheinberger [-Rheinberger]] fort, tot, Hermine [Rheinberger]
krank im Spital, Egon [Rheinberger] in seinem Berufe in Wien,
Olga [Rheinberger] bei dem Onkel Josef [Josef Gabriel Rheinberger] in München, der den Tod
seiner Frau [Franziska Rheinberger [-Hoffnaass, geb. Jägerhuber]] [7] fast nicht fassen konnte. Ich hätte zu [8]
den Verwandten in [Gasthaus] Löwen gehen können, zog es aber
über Alles vor daheim [9] bleiben zu dürfen. Die Leu-
te stellten mir Räuber u. Mörder vor, was mir
Alles passieren könnte u. doch glaube ich seither
kaum mehr so froh, friedlich u. furchtlos über
Alles was noch kommen könne, gelebt zu haben. –
Ich hatte eine Menge Weinberge v. Frühjahr bis
zum Herbst zu beaufsichtigen u. selbst anzugreifen u. das Bewusstsein mei-
nes Wirkens, meiner unentbehrlichen kleinen Persön-
lichkeit (ich bin kaum 1 Stiefel hoch) machten mich
ganz glücklich. – Ihr prächtig Haus studier-
ten wir bis in’s Kleinste, jedes Dingelchen drum
herum. – Sind das doch Weinreben vor dem
Garten auf der Südseite? – Ist der Herr vor
dem Gartenzaun nicht der Hans. – Und weiter
drüben vor den Pferden dessen Sohn Josef, oder
Herold? – Grüssen Sie diese Lieben alle herzl.
v. uns, besonders auch d. kl. 4 jähr. Lucian,
wenn er einmal ein grosser Mann geworden, muss
er in’s rote Haus nach Vaduz kommen u. lauter
gute Kuchen essen u. Vaduzerwein dazu trinken.
Dies Jahr dürfte die Ernte dieses unsrers beliebten
Vaduzer eine weniger gute werden, als der
Frühling sie verheissen. – Eine in diesem Jahr-
hundert noch kaum dagewesene Hitze (seit den
30igern, od vierzigern noch nicht) brachte uns dieser
Sommer, Menschen u. Pflanzen dorrten fast u. die [10]
Weinreben übermannte [11] die s. g. Staubkrank-
heit, ein beträchtlicher Schaden für Vaduz, wenn
sich d. Krankheit mit Gottes-Hilfe nicht noch
bessert. Die Trauben werden erst ganz staubig,
dann schwarz u. dorren ab, od. wachsen nicht
mehr. – In dem herrlichen s‘Abtswingert [12], wohl
der besten Lage ist es am schlimmsten, im Stöck-
ler [13] starke Spuren, im Iradetsch [14] weniger. – Man
lief u. staubte mit Schwefel, aber kaum an
diesem Ort versucht, trat es an anderm Orte wie-
der auf. – Kennen Sie diese Krankheit bei Ihnen
nicht auch, lb. H. Vetter? Dann sagen Sie uns
bitte doch ein propates Mittel. – Wie sind Ihre
Weinberge dies Jahr? – Ihre Ernte ist dorten gewiss
immer eine schöne, gewiss viele 1000 Liter? Und dann
verkaufen Sie ihn immer, wie wir, gleich vom Tor-
kel weg? – Verzeihen Sie meine vielen Fragen, aber
ich höre von meine Geschwister d. ganzen Sommer
so schrecklich viel von diesen Weinbergen (beide
haben nämlich eine unglaubliche, mir nicht ganz
begreifliche [15] Freude daran.) sie lassen die Reben
fast oder ganz zu den Fenstern hereinwachsen,
wo noch ein leeres Plätzchen, da kommt gewiss,
ganz gewiss so ein lieber, herziger Weinstock
hin. – Dazu sind die Weinrebenarbeiter bei uns
nur noch schwer aufzutreiben, Alles geht in die [16]
Fabrik, wo sich fast jede Frau 2 Kronen u.
darüber pr. Tag verdient, ein Mann dorten ge-
gen 4 Kronen. – Erinnern Sie sich vielleicht noch
an das Ebenholz, jener grossen Gemeinde-Vieh-
weide zwischen Vaduz u. Mühleholz? – Das
ist jetzt ein ganzes Fabriksdörfchen gewor-
den, eine grossartige Spinnerei v. Jenny, Spörri [Jenny, Spoerry & Cie].
Auch Webereien haben wir genug, zu genug, die
Rebenarbeiten müssen dadurch nur mehr erzwungen
werden. Wie viel bezahlt man bei Ihnen einem
Weinbergarbeiter? -

Die letzten Tage hatten wir Liechtensteiner hohen
Besuch: Prinz Franz, der Bruder unsers re-
gierenden Fürsten [Johann II.], mit Gefolge. – Er residierte
einige Tage in d. fürstl. Jagdschlösschen (einem
einfachen neuen Absteigquartier auf den Still-
böden, wenige Minuten hinter d. altem Schloss-
Vaduz). Unser Bruder [Egon Rheinberger] war auch zur Tafel zuge-
zogen worden. – Die fürstl. Herrschaften schei-
nen diesmal mit ernstlichen Pauplänen für d.
alte Schloss [17] gekommen zu sein, was v. unserm
Land natürlich mit hellem Jubel begrüsst würde,
regeres Leben, ziemlich Verdienst, (die [18]
Reperatur beträffe eine enorme Summe) u. vielleicht
auch endlich d. schwer entbehrte Bahn [19] brächte
uns dies. – Ein anderes Bauprojekt bearbeitet
gegenwärtig unser Bruder. – In seinem Leib u. Leben [20]
für die Kunst, nur für die lb. Kunst, hat er es be-
sonders auf die alten Burgen u. Ruinen abge-
sehen. – So kaufte er diesen Frühling dem Fürs-
ten die alte Ruine „Gutenberg“ bei Balzers ab, [21]
um sie ganz neu, d. h. im Style des einstma-
ligen prächtigen Schlosses Gutenberg wieder auf-
zu bauen. – Natürlich zum Wiederverkauf, der
Fürst wird [22] Schloss wahrscheinlich als repariert wie-
der haben wollen u. Egon speculiert auch nur
so. – Das ist halt sein Höchstes die alte [23]
Kunst, aber alt, entzetzlich alt muss Alles
sein, seine Stube stinkt … (verzeihen Sie dies
ungeziemende Wort) vor Älte. –

Sagen Sie, lb. H. Vetter, halten Sie nicht unsere
gewichtige Liechtensteiner-Zeitung? [24] – Hie u.
da etwas aus der alten Heimat, wenn es auch noch
so lange ist seither, dürfte Sie doch interessieren,
zwar wird viel über dies‘ originelle Blättchen ge-
spottet, denn die Redaktion: ein wohlweiser Schul-
meister u. ein Krämer [Meinrad Ospelt] (nebenbei: aber auch Landrat [25]!!
in unserem hohen Landtag) verstehen sich auf diesem
literarischen Gebiete wirklich herzlich schlecht, man muss,
(besonders ein Fremder) zuerst über diese Art Zeitung zu
schreiben lachen, aber doch bringt es wenigstens immer
wieder etwas Neues über unser kl. liebes [26] Vaterland,
wenn es sich auch die Hauptsache aus den andern Zeitungen
mit Abschreiben erleichtert. – Wenn Sie nicht schon auf unser
interessantes Volksblatt abonniert, erlauben Sie uns doch
bitte, bitte, lb. H. Vetter, es Ihnen all‘ wöchentlich zu
schicken, nicht wahr, wir dürfen? – Vaduz beginnt [27]
sich eben nur mälich (wahrscheinlich durch das Ent-
behren der Bahn) zu civilisieren. Ein grosses [28], schö-
nes Regierungsgebäude (neben Baumeister Seger’s)
wurde dies Jahr erstellt, mit einem besonders hübschen
Landtagssaal. [29]– So wenig sich sonst gewaltige Fort-
schritte in unsrer Residenz bemerkbar machen :/ ein altes
Häusl mit seinen morschen Fensterl steht noch nach
dem andern in Rei u. Glied wie wohl vor 100 Jahren)
so einzig schön ist dennoch unsre liebe, liebe traute Hei-
mat. – Ein Graf der neulich unsern fürstl. Prinzen be-
gleitete u. der wohl schon d. Welt umsegelt, behauptete
nach einem Blick vom Schloss herunter (über d. s. g.
Ihnen vielleicht noch bekannte „Metzg“): ich war schon
in Afrika u. den entferntesten Weltteilen, aber so
was Schönes habe ich noch nicht gesehen, wie
dieser Blick über das Land. –

Der übermorgige Maria-Himmelfahrtstag ist ein gar
freudiger für uns, er bringt uns die 50jährige Jubileums-
feier unsrer lieben Tante Schwester Maxentia [Rheinberger], welche sich
vor 50 Jahren schon dem lb. Heiland vermählte [30] u.
seither unsäglich glücklich, wie sie immer sagt, im
Kloster war. – Das sind dann Verdienste u. Kapitalien
für den Himmel! Wir schätzen uns glücklich, ein solches
Kleinod in d. Familie zu haben, es ist Vaters Schwes-
ter, sie allein ist v. d. vielen Kindern Grossvaters [Johann Peter Rheinberger] noch
übrig geblieben, sie, die es gewiss am wenigsten gut
u. sicherlich das abgetöteste, strengste Ordensleben
hatte. – Die andern Kinder sind die meisten jung an
der Schwindsucht gestorben, trotzdem d. lb. Grosseltern,
Grossvater gegen 90 u. Grossmutter gegen 80 wurden. –
Inzwischen waren Sie so freundl., uns auf einer lb. Karte [31]
3 sehr nette Bildchen zu
senden, welche uns viel
viel Freude machten, neh-
men Sie für diese, die wir
von Herzen grüssen,
warmen Dank, wie wir
auch nochmal inniglich
für Ihren lb. interes-
santen Brief u.
für Ihr schönes Haus
danken. –

Gott schütze Sie u.
Ihre Lieben!

Von Herzen

Ihre anhänglichen
Olga, Egon u. Emma
Rheinberger [32]

______________

[1] LI LA AFRh Ha 18. Brief in lateinischer Schrift.
[2] Seitenwechsel.
[3] Seitenwechsel.
[4] Unterstrichen.
[5] Unterstrichen.
[6] Unterstrichen.
[7] Diese verstarb am 31.12.1892 in München. Vgl. Vaduzer Familienchronik, Bd. IV, S. 162.
[8] Seitenwechsel.
[9] Unterstrichen.
[10] Seitenwechsel.
[11] Durchstreichung.
[12] „Abtswingert“: Weinberg im Vaduzer Oberdorf, östlich über dem Metteldorf, zwischen Kasperigass und Abtswingertweg. Vgl. Hans Stricker: Liechtensteiner Namenbuch, Bd. 2, S. 261.
[13] „Stöckler“: Weinberg beim Gasthaus Löwen in Vaduz. Vgl. Stricker, Namenbuch, Bd. 2, S. 420.
[14] „Iradetsch“: Wiesen, Häuser, Weingärten und Strasse im Vaduzer Oberdorf, südöstlich des Oberfelds. Vgl. Stricker, Namenbuch, Bd. 2, S. 325-326.
[15] Unterstrichen.
[16] Seitenwechsel.
[17] Der Wiederaufbau von Schloss Vaduz erfolgte zwischen 1904 und 1914. Vgl. HLFL, Bd. 2, S. 992-993 („Vaduz (Schloss)“).
[18] Durchstreichung.
[19] 1903-1907 kam es zu letztlich erfolglosen Bemühungen, Vaduz, Triesen und Balzers an das Schienennetz anzuschliessen. Vgl. HLFL, Bd. 1, S. 175-176 („Eisenbahn“).
[20] Seitenwechsel.
[21] Egon Rheinberger kaufte die Burgruine Gutenberg am 30.5.1905 für 1000 Kronen von Fürst Johann II. und baute diese zwischen 1905 und 1912 wieder auf. Vgl. HLFL, Bd. 1, S. 319-321, hier S. 321 („Gutenberg (Burg, Burghügel)“).
[22] Durchstreichung.
[23] Unterstrichen.
[24] Liechtensteiner Volksblatt, erscheint seit dem 16.8.1878.
[25] Unterstrichen.
[26] Unterstrichen.
[27] Seitenwechsel.
[28] Unterstrichen.
[29] Das Regierungsgebäude wurde zwischen 1903 und 1905 nach Plänen des Architekten Gustav von Neumann errichtet. Die künstlerische Ausgestaltung des Landtagssaales erfolgte im Auftrag und auf Kosten des Landesfürsten. Vgl. Cornelia Herrmann: Die Kunstdenkmäler des Fürstentums Liechtenstein. Bd. II, S. 311-315.
[30] Die Profess von Schwester Maxentia (Johanna Franziska) Rheinberger bei den Zamser Schwestern erfolgte am 8.8.1854. Vgl. Franz Näscher: Beiträge zur Kirchengeschichte Liechtensteins. Bd. 2, S. 361.
[31] Seitenwechsel.
[32] Die Textpassage „3 sehr nette Bildchen … Emma Rheinberger“ wurde auf der 1. Seite des Briefes hinzugefügt.