Das "Liechtensteiner Volksblatt" berichtet über den Prozess gegen die Putschisten (IV)


Artikel im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]

24.1.1946

Der Hochverratsprozess

Anklage und Verteidigung

Das Strafverfahren im Putschisten-Prozess wurde Dienstag, den 22. ds. M., vormittags 8.30 Uhr, fortgesetzt. Zu Beginn dieser Verhandlung machte der Herr Vorsitzende [Armin Wechner] die Mitteilung, dass der Mitangeklagte Hubert Hoch in der Nacht vom Sonntag auf den Montag im Lande eingetroffen ist und sich nunmehr in Untersuchungshaft befinde. Da es für das Prozessverfahren eine zu grosse Verzögerung bedeuten würde, wenn Hoch nun auch noch vorgeführt würde, werde von einer derzeitigen Einvernahme Hochs Abstand genommen und komme derselbe in einem späteren Verfahren zur Aburteilung. [2] Nach dieser Bekanntgabe gab der Vorsitzende dem

Herrn Staatsanwalt Dr. Karl Eberle

das Wort, der zuerst einen kurzen Überblick über das Anwachsen des Nationalsozialismus in Deutschland und der damit verbundenen Expansionspolitik gab. Notgedrungen musste sich diese Politik Deutschlands auch auf Liechtenstein auswirken, besonders dann, als nach dem 12. März 1938 unser Nachbarland Österreich in das Grossdeutsche Reich einverleibt worden war. Als Beweis hiefür führte der Staatsanwalt an, dass die Gründung der VDBL kaum einen Monat nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich erfolgte. Als "offizielles" Ziel der VDB in Liechtenstein wurde ein "Wirtschaftsanschluss" an das Deutsche Reich propagiert, während das "inoffizielle" Ziel offensichtlich viel weitergehend gesteckt war. Anschliessend an diese Ausführungen ging der Redner zu den in Frage stehenden Ereignissen vom März 1939 über, welche den meisten von uns grösstenteils durch eigenes Erleben oder dann auch durch das vorangegangene Beweisverfahren in lebhafter Erinnerung sind, so dass wir uns ein Eingehen auf diese Ausführungen ersparen können. – Schliesslich gab der Staatsanwalt noch eine Begründung der einschlägigen Gesetzesbestimmungen. Im weiteren bemerkte er, das ein wichtiger Faktor in diesem Gerichtsverfahren in der langen Zeitspanne liege, nach welcher es zur Durchführung gelange. Es habe dies natürlich seine Vor- und Nachteile. Als solche führte der Herr Staatsanwalt an:

  1. Vorteile: a) Distanz der Ereignisse, dadurch grössere Objektivität möglich; b) besseren Überblick über die damalige allgemeine Lage und deren Zusammenhänge.
  2. als Nachteile: a) Vergesslichkeit der Angeklagten und Zeugen; b) Verminderung des Staatsinteresses am Ausgange des Prozesses.

Ebenso bemerkte er, dass er gerade mit Rücksichtnahme auf diese Vor- und Nachteile seine Anträge wohl abgewogen und die Vergehen der einzelnen Angeklagten eingehend überprüft habe. Leider seien die Hauptunternehmer, das sind Walter Wohlwend und Ing. [Theodor] Schädler, allenfalls auch noch Hubert Hoch, beim gegenwärtigen Verfahren nicht anwesend, die des Verbrechens des Hochverrates gemäss § 58 des Strafgesetzes [3] anzuklagen wären, während gegen die Angeklagten.

Batliner Alois; Beck Franz; Frick Josef; Wohlwend Josef; Marxer Egon; Thöny Engelbert; Schädler Alois; Wille Alois,

schon durch Nachtrag zur Anklageschrift [4] der Antrag auf Bestrafung gemäss § 59 b) 2. Absatz (hochverräterische Unternehmung auf entferntere Weise) abgeändert worden sei. Bei den Angeklagten Alois Batliner, Franz Beck, und Josef Frick sei, sowohl der objektive, wie auch der subjektive Tatbestand gegeben. Bei Josef Wohlwend und Alois Wille liegen keine genügenden Schuldbeweise vor und habe das Gericht im Zweifelsfalle zu Gunsten des Angeklagten zu entscheiden. Bei den Angeklagten Egon Marxer, Engelbert Thöny und Alois Schädler, die sich vor allem auch durch ihre Kurierdienste hervortaten, liege ebenfalls der subjektive Tatbestand gemäss § 59 b) 2. Absatz vor. Bei den Angeklagten Alois Kindle, Hermann Marxer, Josef Gassner und Ferd. [Ferdinand] Beck wird die Anklage gemäss § 68 (Aufstand und Zusammenrottung) fallen gelassen, da in diesem Falle "Bächlegatter" kaum von Zusammenrottung die Rede sein könne. Dagegen wird gegen Alois Kindle, Hermann Marxer und Josef Gassner Anklage im Sinne des § 93 (unbefugte Einschränkung der persönlichen Freiheit eines Menschen) zu erheben sein, ferner gegen Marxer Hermann und Gassner Josef wegen Übertretung des Waffengesetzes. Marxer Hermann hat selbst zugegeben, am Abend des 24. März im Besitze eines Gummiknüttels gewesen zu sein, während Gassner dies für seine Person abstreitet. Gegen Beck könne weder der Beweis der Verletzung des § 93 noch des Waffengesetzes erbracht werden. Schliesslich formuliert der Staatsanwalt seine Anträge wie folgt:

Alois Batliner, Franz Beck, Josef Frick, Egon Marxer, Engelbert Thöny und Alois Schädler: Bestrafung gemäss § 59 b) 2. Absatz, Beteiligung an hochverräterischen Unternehmungen auf entferntere Weise. 

Josef Wohlwend und Alois Wille: seien mangels Beweisen von einem Verbrechen im Sinne § 59 b) 2. Absatz freizusprechen.

Alois Kindle, Hermann Marxer, Josef Gassner: Vom Verbrechen im Sinne des § 68 freizusprechen, dagegen schuldig gemäss § 93. Ferner H. Marxer auch schuldig des Übertretens des Waffengesetzes.

Ferdinand Beck: sei völlig freizusprechen.

Nach der Stellung der Strafanträge durch den Staatsanwalt schloss der Vorsitzende die Sitzung um 11.30 Uhr. Um 13.30 Uhr wurde die Nachmittagssitzung eröffnet, in welcher nun die Herren Verteidiger das Wort erhielten. Als erster ergriff Dr. V. [Viktor] Wohlwend das Wort, welchem die Verteidigung der Angeklagten Louis Batliner und Alois Schädler oblag. Dr. Seger [Erich Seeger]verteidigte den Angeklagten Franz Beck und Dr. A. [Arthur] Ender die Angeklagten Josef Frick, Josef Wohlwend und Alois Wille, Engelbert Thöny, Egon Marxer, Hermann Marxer, Josef Gassner und Ferdinand Beck. Der Angeklagte Alois Kindle von Triesen hatte allein keinen Verteidiger.

Selbstverständlich versuchte ein jeder der Herren Verteidiger "seine" Leute rein zu waschen. Den Vogel schoss wohl Dr. Ender ab, als er bezüglich der Ereignisse vor dem Hause des Josef Frick den Spiess so umkehrte, dass beinahe die vaterlandstreuen Liechtensteiner die "Aufrührer und Aufständigen" gewesen wären... Aber er wird dies wohl auch nur als Verteidiger so gemeint haben.

Mittwoch und Donnerstag tritt das Gericht zur Urteilsberatung und Protokollbereinigung zusammen. 

Die Urteilsverkündung findet Freitag, den 25. Jänner 1946, nachmittags 3 Uhr, statt. [5]

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[1] L.Vo., Nr. 11, 24.1.1946, S. 1-2. Die Schlussverhandlung des Kriminalgerichts gegen die Putschisten dauerte mehrere Tage. Vom 15. bis 17.1. fanden die Beschuldigten- und Zeugeneinvernahmen statt, am 22.1. die Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidiger und am 25.1. erfolgte die Urteilsverkündigung. Das "Liechtensteiner Volksblatt" und das "Liechtensteiner Vaterland" berichteten ausführlich über den Prozess, vgl. L.Vo., Nr. 8, 17.1.1946, S. 1f., Nr. 9, 19.1.1946, S. 1f., Nr. 10, 22.1.1946, S. 1, Nr. 12, 26.1.1946, S. 2 ("Das Urteil im Kriminalprozess"), Nr. 13, 29.1.1946, S. 1; L.Va., Nr. 6, 19.1.1946, S. 1 ("Der Hochverratsprozess"), Nr. 7, 23.1.1946, S. 1f. ("Aus dem Prozess"), Nr. 8, 26.1.1946, S. 1 ("Aus dem Prozess"). Zur Schlussverhandlung vgl. auch das Protokoll in LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2/270.
[2] Zum Strafverfahren gegen Hubert Hoch vgl. LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2/310 (Protokoll der Verhandlung des Kriminalgerichts), LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2/312 (Urteil Kriminalgericht),LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2/314 (Berufung von Hoch), LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2/319 (Urteil Obergericht).
[3] Österreichisches Strafgesetz vom 27.5.1852 über Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, eingeführt im Fürstentum Liechtenstein mit Fürstlicher Verordnung vom 7.11.1859.
[4] LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2/205-210.
[5] Alois Baltiner, Franz Beck und Josef Frick wurden wegen Hochverrat zu 5 Jahren Kerker, Egon Marxer wegen Hochverrat zu 2½ Jahren Kerker verurteilt. Alois Kindle, Hermann Marxer und Josef Gassner wurden zu einer bedingten Strafe von 2 Monaten Kerker verurteilt. Josef Wohlwend, Engelbert Thöny, Alois Schädler, Alois Wille und Ferdinand Beck wurden freigesprochen (LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2/272). Gegen das Urteil wurde Berufung erhoben sowohl von der Staatsanwaltschaft (LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2/277) wie von Alois Batliner (LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2/278), Josef Frick und Eugen Marxer (LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2/279) und Franz Beck (LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2/280). Das Obergericht bestätigte im Mai 1946 die Urteile gegen Batliner, Beck, Frick und Marxer und verhängte gegen Alois Schädler eine Strafe von 2½ Jahren Kerker (LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2/290, 292). Schädler legte gegen dieses Urteil Berufung ein (LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2/293, 294) und wurde schliesslich vom Obersten Gerichtshof freigesprochen (LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2/Urteil, 12.4.1947).