Schreiben der Regierung an die Kabinettskanzlei, gez. Regierungschef Josef Hoop [1]
5.11.1934
Wie der fürstlichen Kabinettskanzlei bekannt ist, sind die Schwestern von Gutenberg nach Schaan gezogen, wo sie ein neues Kloster errichtet haben. [2] Für die Gemeinde Balzers entstand hiedurch die Frage, ob das dortige Gebäude verkauft oder verpachtet werden soll. Bei der Gemeindeversammlung vom vorletzten Sonntag kam der Beschluss zustande, von einem Verkaufe abzusehen und eine Verpachtung vorzunehmen.
Es sind nun zwei Interessenten vorhanden: die Herrenhuter Sekte von Silum [3] und dann ein Missionshaus [4] aus der Umgebung des Cantons St. Gallen. Der Gemeindevorstehung scheinen beide Pächter gleich wert zu sein, während ein grosser Teil der Bevölkerung und vor allem der hochwürdige Herr Pfarrer [Leonhard Hollweck] sich der Bruderschaft von Silum gegenüber ablehnend verhält und die Sekte lieber nicht in Balzers haben möchte.
Nun hat mich der Pfarrer von Balzers ersucht, bei Seiner Durchlaucht [Fürst Franz I.] vorstellig zu werden und die Bitte zu unterbreiten, dass Seine Durchlaucht das Darlehen von Fr. 20'000.- das noch vom Verkaufe her auf dem Anwesen in Balzers ruht, zinslos durch einige Jahre hindurch stehen lassen möchten, für den Fall, als das Objekt doch noch käuflich an die vorerwähnten Missionäre übergeht. Denn trotz des ablehnenden Gemeindebeschlusses arbeitet der hochwürdige Herr Pfarrer von Balzers darauf hin, dass Gutenberg für dauernd in den Besitz einer religiösen Genossenschaft übergehe, von der er für die Gemeinde sich nur Gutes verspricht.
Da die Entscheidung ungefähr in 14 Tagen fallen wird, wären wir für eine baldgefl. Höchste Entscheidung Seiner Durchlaucht sehr dankbar.
Unsererseits können wir das Ansuchen nur befürworten, dies umso mehr, als die mehrerwähnten Missionäre ein Untergymnasium [5] errichten wollen, was für unser Ländchen zweifellos ein grosser Fortschritt wäre. [6]
Mit vorzüglicher Hochachtung
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[1] LI LA RF 148/268/001. Kürzel: N/S.
[2] Vgl. etwa den Artikel im "Liechtensteiner Volksblatt" vom 20.7.1935 betreffend die Einweihung des Klosters der "Anbeterinnen des Kostbaren Blutes" in Schaan (L.Vo., 1935.07.20).
[3] Die Almbruderhofgemeinde auf Silum.
[4] Es handelt sich um die 1852 gegründete Kongregation der Missionare Unserer Lieben Frau von La Salette. Die Schweizer Provinz der Salettiner geht auf das Jahr 1924 zurück und hat ihre Hauptsitz im Missionshaus Untere Waid in Mörschwil (SG).
[5] Die Salettiner führten von 1935-1939 ein Progymnasium auf Gutenberg. 1954 wurde ein Lyzeum eingerichtet, welches bis 1973 bestand.
[6] Fürst Franz I. antwortete mit Schreiben vom 15.11.1934, dass er das Darlehen für das angesprochene Gymnasium der Salettiner Patres auf Gutenberg widmen wolle (LI LA RF 148/268/004). Am 16.11.1934 folgte ein Schreiben von Kabinettsdirektor Josef Martin an die Regierung (LI LA RF 148/268/005). Letzteres wurde mit Schreiben von Kabinettsdirektor Martin vom 27.11.1934 annulliert (LI LA RF 148/268/006).