Der "Liechtensteiner Heimatdienst" berichtet über die Werbeversammlung in Vaduz


Artikel im "Liechtensteiner Heimatdienst" [1]

30.12.1933

Das Volk ist in Bewegung

Die zweite Stellung bezogen: Heimatdiensttagung in Vaduz erregt grösstes Interesse der Öffentlichkeit. – Adlersaal überfüllt. – Wiederum begeisterter Beifall von jung und alt. – Das Volk ist mit dem heutigen rein parteimässig organisierten parlamentarischen System unzufrieden und verlangt eine parteilose Volksvertretung. – Versammlung verläuft in grösster Ordnung und wirkt nachhaltig weiter.

Wir waren alle gespannt auf Vaduz. Wir wussten, dass wir hier ins Herz des sterbenden Systems vorstossen müssten. Wir waren gespannt, aber nicht sorgenvoll. Denn unsere ehrliche Sache, die nicht den egoistischen Interessen einzelner, sondern der Sehnsucht und der Unzufriedenheit des Volkes selbst entsprungen ist, unsere Bewegung, in der ein grenzenloser heller Glaube an die Zukunft vorwärtsdrängt, ist unaufhaltsam in ihrem Vormarsch. Aber wir waren voll Erwartung, wie gross die Besucherzahl sein würde und zu welcher Taktik der Gegenwehr sich die Gegner aufraffen würden. Denn dass sie sich nicht stellen würden, hier in den Mauern eines ihrer Grossstützpunkte, konnten wir nicht für möglich halten.

Bereits um 20 Uhr bot sich uns beim Betreten des Adlersaales ein überraschendes Bild: der Saal war schon jetzt fast gefüllt. Wir sahen da gar viele froh blickende Augen unserer bereits gewonnen Freunde, wir sahen die erwartungsvoll blickenden Augen der Abwartenden, wir sahen auch diesmal den erwarteten Stab der Gegner. –

Um 20.15 Uhr war der Saal schon so überfüllt, dass man neue Sitzgelegenheiten herbeischaffen musste. Nicht allein aus Vaduz, sondern auch aus Nachbargemeinden war noch eine kleine Schar Erwartungsvoller herbeigeeilt. Wahrlich, schon das war ein Erfolg! Hier musste jedermann sehen und spüren, dass das Volk in Bewegung ist, dass es sich nicht mehr gleichgültig abseits stellt! Die eingeschläferte Stimmherde verschwindet von der Parteiwiese und, gruppiert um neue Führer, zieht ein waches und bereites Volk in die politische Kampfbahn. Wahrlich, hier musste es der schwärzeste Pessimist merken, dass der Heimatdienst die rechte Stunde für sein Auftreten gewählt hatte, dass hier nicht etwas gemacht wurde, sondern dass hochgehoben auf des Volkes Schultern eine Volksbewegung vorrückte!

Auch Zuschauer, die Gäste unseres Landes sind, hatten sich eingefunden. Ohne ein Wort der Einmischung bekundeten sie doch stärkeres Interesse für diesen Abend. Auch der Gast des Landes steht voller Erwartung vor unserer Bewegung, den er weiss, dass sie auch ihm neue Achtung bei seinen ausländischen Freunden erkämpft, dass er bald in einem Liechtenstein leben wird, das nicht mehr die Verachtung und den Spott seiner Heimat erfahren wird. Wie jedes Land auch für sein Ansehen im Ausland kämpft, so kämpft ja auch der Heimatdienst für das Ansehen unseres Vaterlandes. Und alle Gäste des Landes begrüssen in diesem Sinne unsere Bewegung, was auch die so besonders starke Bestellung unserer Presse durch die Fremden im Lande beweist.

Unser Gustav Ospelt, Vaduz, eröffnete die Versammlung, begrüsste die Anwesenden und gab seiner Freude Ausdruck, dass so unerwartet viele für diese gute Sache ihr Interesse durch so zahlreiches Erscheinen bekundet hatten. Er gab unserer aller Überzeugung Ausdruck, dass wir unaufhaltsam für unsere Idee im Lande Raum gewinnen werden bis zum Endsieg. – Nach Ospelt sprach Dr. O. [Otto] Schädler. Wiederum erlebten wir die grosse Spannung, die über allen lag, als der Volksarzt sprach, jener Mann, der nun abseits von aller Selbstsucht, aus lautersten Motiven das scharfe Messer an die Krebsübel unseres Landes anlegt, um es zu endlicher Gesundung und freiem Aufatmen zu führen. Immer wieder vernehmen wir es von den einfachen Menschen im Volk, von Arbeitern und Bauern, dass sie diesem Manne unbedingten Glauben schenken, dass seine Wahrheit und innere, brennende Überzeugung spüren, auch ohne bis ins Letzte der meisterhaften Beweisführung seiner Rede gefolgt zu sein. Das Volk urteilt ganz anders, wie es die Parteidresseure möchten, das Volk wirft immer mehr die Scheuklappen ab, zerschlägt den Nebel milchiger Hypnose, den die Parteiwirtschaft um es gelagert hatte und sieht mit klaren Augen dem Neuen entgegen. – Auch hier wiederum erlebten wir jenen begeisterten Beifall, wie schon in Balzers, [2] aber hier waren es schon sehr, sehr viele an Jahren erfahrene Bürger, die uns gewaltig zustimmten. Ja, in allen Alterstufen bricht sich die neue Idee Raum. Es sind nicht nur die Jungen, die von Natur aus das neue Leben jubelnd begrüssen, es ist alte Erfahrenheit und Überlegung der ruhigsten Männer des Landes, die uns anerkennen muss.

Aber das Volk ist auch ganz und gar unzufrieden mit dem bisherigen System-Parlament, das bewies uns der stürmische Applaus, als der Redner die bisherigen Methoden dramatischer Auftritte mit verteilten Rollen auf Stichwort kennzeichnete. Das Volk wünscht dieses unwürdige Schauspiel der Parteienmaschinerie nicht mehr länger mitanzusehen und brennt auf die Stunde, wo hier Änderung geschaffen wird.

Auch Dr. [Alois] Vogt fand neuerdings begeisterte Zustimmung; als er seine in Balzers gehaltene Rede wiederholte. Auch ihm merkte man die innere Erregung an, die ihn ob der Not unseres Vaterlandes erfasst hat und unablässig anspornt zu dem Kampf, den wir Schulter an Schulter führen, zu dem Kampf, in dem wir kein Verhandeln am grünen Tisch, sondern nur Kampf bis zum Endsieg, zum Endsieg des Volkes kennen. Nicht um Kompromisslösungen geht es, es geht ums Ganze, um Sein oder Nichtsein einer wahren Volksgemeinschaft!

Nach einer kurzen Pause begann die Diskussion. Darauf waren wir alle gespannt, wir warteten darauf, die Gegner kennenzulernen und uns im "Wechselgespräch" mit ihnen zu messen und zu festigen. Leider kam nicht das, was wir erwarteten und was für uns das Stichwort zur Eröffnung vorbereiteten schärfsten Angriffes hätte werden sollen.

Die Diskussion, an der sich Herren der Regierungs- und Oppositionspartei beteiligten, bewegte sich in allgemeinen Anfragen. Alle Gegenredner schickten ihren Ausführungen voraus, dass sie sich gerne eines Besseren belehren liessen. Mit innerer Sicherheit war keiner gewappnet. Die beiden Referenten fanden Gelegenheit, alte Einwände schlagend zu entkräftigen, wenn schon nicht immer die Einwandmachenden, sondern das Publikum eines Besseren belehrt werden konnte. Die Redner führten in Beantwortung der Fragen aus, dass wir im schärfstem Kampf gegen die Parteien den ersten Schritt zur Ausschaltung der heutigen Misswirtschaft sehen. Unsere Presse dient uns hiebei bewusst als Kampfinstrument, das wir rücksichtslos bis zum Endsieg einsetzen werden. Wir kämpfen, aber unsere Kampfmethoden unterscheiden sich himmelweit von den gegnerischen. Der neue Staat wird ein Ständestaat sein müssen, eine berufsständische Schicksalsverbundenheit, in die sich jeder an seinem Platze wird einordnen müssen, eventuell mit Zwang, sofern es das Interesse der Allgemeinheit erfordert. Auch im neuen Staat wird der Presse Spielraum zu sachlicher Kritik gelassen werden müssen, alles andere aber wird unterbunden werden. Die Wahlen werden nur mehr im Volke vollzogen. Widerhandlungen gegen diese unsere Kardinalforderung werden durch Gefängnis bestraft werden. Die Gegner wandten sich an uns, welchen Weg wir zur Behebung der Arbeitslosigkeit vorschlügen, wie wir die Wirtschaft beleben wollten usw. Mit dieser Frage gaben sie ihre eigene Ohnmacht offen zu. Sie erwarteten von uns vergeblich Rezepte zum eigenen Gebrauch! Im neuen Staat werden alle Bürger an der Lösung dieser Fragen mitmachen müssen – in den Studierstuben werden sie nie gelöst werden! Die Lösungen werden nur in der Zusammenarbeit aller möglich sein – heute nicht, da wir so uneins sind. Es war leicht, den Gegnern das Fiasko nachzuweisen, das allen bisherigen Friedensbestrebungen zwischen den Parteien beschieden war; in ihrer Verlegenheit meinten sie sogar vorschlagen zu müssen, die beiderseitigen Parteivorstände müssten heimgesandt werden und das friedliche Volk selbst sich versöhnen! Als ob die bisher höchste Bevormundung Gewöhnten nun plötzlich führerlos handeln könnten! Der LHD. ist die letzte Chance für eine Verbindung der getrennten Brüder und keine andere Stelle! Und hier vollzieht sich diese grosse Versöhnung bereits seit Bestehen des LHD., wenn es auch die Herren Gegner nicht merken oder nicht merken wollen! An vielen Stellen, wo unsere Abwehr einsetzte, bekundete starker Applaus die Zustimmung des Publikums – ein Beifall, der besonders anstieg, als auf einen gegnerischen Einwand, auch wir könnten ohne Wahllisten usw. nicht existieren, Dr. Schädler erwiderte, dass wir ja gerade endlich uns an das Gehirn und die Eigenverantwortung wendeten und den bisher Gebundenen die Freiheit bringen wollten!

Als die Oppositionspartei forderte, wir sollten zu den Tagesfragen wie Armella-Erbschaft, [3] Gesandtschaft, [4] Lotterie u. Zollvertrag, [5] Rotterskandal usw. Stellung nehmen, konnten wir erklären, dass wir dies so lange nicht tun werden, als diese Dinge nur Spielball der Parteileidenschaften und -kämpfe sein werden. Der Redner der Oppositionspartei sah die Notwendigkeit einer studierten Regierungsvertretung und forderte Gehaltsanpassung der Beamtengehälter. Von uns aus konnte man den Vorwurf, der Ständestaat ermögliche den Klassenkampf, leicht zurückweisen, indem nur von den Parteien ein solcher Kampf künstlich gezüchtet würde. Den Proporz lehnen wir ab, da er die Parteien verewigt. Wir unterstrichen nochmals unser Stehen zum Zollvertrag. - Man forderte, wir sollten vom Verwaltungsrat der Sparkasse alle Agenten u. drgl. ausschalten.

Dr. Vogt nahm noch Gelegenheit, scharf die Haltung der Landespresse zu geiseln, die den eigenen hart ringenden Geschäftsleuten und kleinen Gewerbetreibenden in den Rücken fällt, um sich nur an grossen Warenhausinseraten zu bereichern.

Aus Arbeiterkreisen richtete man an uns einen Appell, den einheimischen Arbeiter zu schützen, so werde dieser das einheimische Gewerbe unterstützen.

Der Gegner erging sich auch zu der unbewiesenen, in Liechtenstein bei jeder Neuerung üblichen Anschuldigung, wir würden Interessen- und Brotkorbpolitik treiben! Dies wurde aus der Versammlung selbst entschieden bekämpft, mit scharfem Ruf: "Heraus mit den Beweisen!" Der Beruf Dr. Schädlers und der Verzicht Dr. Vogts auf einen Teil seiner Bürgerrechte beweisen ja genug, dass ihre politische Tätigkeit nur das Allgemeinwohl und nicht ihren persönlichen Vorteil verfolgt. Ebenso können die anderen führenden Mitglieder des LHD. ihre lauteren Absichten nachweisen. Im grossen und ganzen wendet man sich schon mit Bitten um Einsatz und Abhilfe an uns, im Volk sieht man den Sieg unser Idee als sicher an. So war auch die Aussprache wertvolle Ergänzung der Vortrages und trug bei, das Bild jenes völlig neu fundierten Staats zu umreissen, an dessen Schaffung wir heute arbeiten. – Der Vorsitzende des Abends, Ospelt, fasste abschliessend den Erfolg des Abends zusammen und wies dem Gegner nach, dass er keine besseren Vorschläge hatte erbringen können.

Zum Schluss richtete C. [Carl] Frhr. v. Vogelsang noch einen besonderen Appell an die Jungmannschaft, die sich auch heute so zahlreich eingefunden hatte, auf ihre Art am kommenden Staat zu schaffen. Schon heute schaut sich die Jugend nicht mehr gerne als schwarz und rot an. Sport und viele Interessengemeinschaften einen. Auch der LHD. wird das Sportinteresse, aber auch die geistigen Bedürfnisse der Jugend fördern wo er kann.

Mit Herannahen der Polizeistunde schloss dieser erfolgreiche Abend.

Vor uns liegt das noch zu erobernde Land, der Weg wird nicht immer leicht – der Sieg der Volkssache aber wird gewiss sein! Denn mit guten Absichten ist Gott!

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[1] L.Heimatd., Nr. 12, 30.12.1933, S. 1f..
[2] Am 10.12.1933 hatte in Balzers die erste Werbeveranstaltung des Heimatdiensts stattgefunden, vgl. L.Heimatd., Nr. 10, 16.12.1933, S. 1 ("Der LHD marschiert").
[3] Zu den Auseinandersetzungen um die Erbschaftssteuern des 1932 verstorbenen Barons Emilio Sternberg de Armella vgl. LI LA RF 129/276; LI LA V 138/00378.
[4] Der Landtag hatte am 23.3.1933 beschlossen, die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern zu schliessen. Vgl. LI LA LTP 1933/034.
[5] Liechtenstein musste auf schweizerischen Druck die Schweizer Lotteriegesetzgebung übernehmen, was das Ende der Mutualclub-Lotterie bedeutete. Vgl. LI LA LTP 1933/067 (b); LI LA LTP 1933/110; LI LA LTP 1933/138.