Gerichtspräsident Jakob Müller äussert sich zur Möglichkeit, den Prozess gegen die Putschisten aussergerichtlich zu erledigen
Schreiben von Jakob Müller, Präsident des Obergerichts, an die Regierung [1] 29.11.1939, Flums In der Strafsache gegen Theodor Schädler & Cons. gestatte ich mir, Ihnen anmit unter höflicher Bezugsnahme auf die mündliche und telephonischen Besprechungen hinsichtlich einer aussergerichtlichen Erledigung der Angelegenheit nachstehende schriftliche Meinungsäusserung zukommen zu lassen. Die vom a.o. Staatsanwalt, Herrn Dr. C. [Karl] Eberle, erhobene Anklage macht folgende Straftatbestände gegen die einzelnen Angeklagten geltend: [2] I. - Ing. Th. Schädler: Hochverrat nach § 58 b & c, 59 b & c, 61 Str.G. [Strafgesetz] [3]
ev. Störung der öffentl. Ruhe nach § 65 ev. Aufstand nach § 68 Str.G. Übertretung des Waffengesetzes v. 2.8.1897 [4] & VO [Verordnung] v. 27. Jan. 1939 [5] - Alois Batliner: idem wie bei Ing. Schädler, jedoch ohne Übertretungstatbestand.
- Franz Beck: idem wie bei Alois Batliner
- Josef Frick: idem wie bei Alois Batliner
- Gustav Matt: idem wie bei Alois Batliner, zuzüglich Zuwiderhandlung gegen die VO v. 14.9.34 [6] und BRB [Bundesratsbeschluss] v. 1.2.1932 [7]
- Walter Wohlwend: idem wie bei Alois Batliner
- Hubert Hoch: idem wie bei Ing. Th. Schädler
- August Müssner: idem wie bei Gustav Matt
II. - Josef Wohlwend: Beteiligung an hochverräter. Unternehmungen nach § 59 Abs. b/2, ev. Aufstand nach § 68 & 72 Str.G.
- Egon Marxer: Beteiligung & Mitschuld am Hochverrat nach § 59 b 2. Abs., 60 & 61 Str.G
- Engelbert Thöny: idem wie bei Egon Marxer
- Alois Wille: idem wie bei Egon Marxer
III. - Kindle Alois: Aufstand nach § 68 Str.G.
- Marxer Herm. [Hermann]: idem wie Marxer H. [sic!], sowie Übertretung des Waffengesetzes v. 2.8.97 & VO v. 27.1.1939
- Beck Ferdin. [Ferdinand]: idem wie bei Kindle.
- Gassner Josef: idem wie bei Marxer Hermann
- Frick Otto: Übertretung des Waffengesetzes v. 2.8.97 und VO v. 27. Jan. 1939
IV. - Kranz Willi: Aufstand nach § 68 & Zuwiderhandlung gegen VO v. 14.9.1934 & BRB v. 1.2.1932
- Öhri Adolf: Beteiligung & Mitschuld am Hochverrat nach § 59 b Abs. 2, 60 & 61 Str.G., ev. Aufstand nach § 68, 72 Str.G.
Für die unter Ziff. I.1-8 erwähnten 8 Angeklagten ist die nach dem Gesetze angedrohte Strafe die Todesstrafe. 3 von diesen 8 Angeklagten sind flüchtig (W. Wohlwend, Hubert Hoch & August Müssner), die übrigen 5 sind in Untersuchungshaft in Vaduz. Gemäss § 121 Abs. 2 in Verbindung mit § 131 Str.P.O. [Strafprozessordnung] [8] kommt eine Aufhebung der Untersuchungshaft für dieselben, solange die Anklage auf Hochverrat aufrecht erhalten ist und wird, nicht in Frage, da die Todesstrafe nicht teilbar ist und deshalb eine allgemeine Reduktion des Strafminimums nach Art. 31 Ziff. (9) des Gesetzes vom 1. Juni 1922 (LGBL. 1922 Nr. 21) nicht in Frage kommt. Eine Ausnahme hiervon gibt es nur für die beiden Angeklagten Gustav Matt (in Untersuchungshaft) und August Müssner (flüchtig), für welche nach Art. 25 leg. cit. (LGBL. 1922 Nr. 21) wegen ihrer Jugendlichkeit an Stelle der normalen gesetzlichen Strafe, d.h. in concreto der Todesstrafe, die Verhängung einer Kerkerstrafe von minimal 3 und maximal 15 Jahren bei Bejahung des eingeklagten Straftatbestandes in Frage steht (Art. 25 Ziff. (4) Ges. v. 1.6.1922, LGBL. 1922 Nr. 21). Bei den übrigen, unter Ziff. II., III. & IV. aufgeführten Angeklagten, von denen übrigens keiner mehr in Untersuchungshaft sich befindet, kommt die Todesstrafe nicht in Betracht. Mir scheint nun allerdings auch hinsichtlich der unter Ziff. I. erwähnten 8 Angeklagten der Nachweis des Hochverrats aktenmässig kaum genügend gewährleistet zu sein und zwar sowohl hinsichtlich der in der Anklage geltend gemachten Bestimmungen des § 58 Lit. b und c. Hierüber aber ein abschliessendes Urteil abzugeben, steht mir nicht zu, da die Staatsanwaltschaft als Anklagevertreterin über die Anklageerhebung selbständig entscheidet (§ 149 ff. Str.P.O.) Soweit während des Verfahrens die Untersuchungshaft in Frage steht, kann im Beschwerdeverfahren wegen Aufrechterhaltung der Haft die Frage der Qualifikation der strafbaren Handlung nicht überprüft werden. Es besteht daher keine normale gesetzliche Möglichkeit, die noch in Haft befindlichen Angeklagten auf freien Fuss zu stellen, soferne die Staatsanwaltschaft die Anklage aus § 58 Str.G. aufrecht erhält. Anders würde die Sache liegen, wenn der Vertreter der Anklage angesichts der nicht unberechtigten Zweifel, ob eine gerichtliche Verurteilung wegen des Vorliegens eines Tatbestandes nach § 58 Str.G. zu erreichen ist, die Anklage auf Hochverrat fallen liesse und sie nur hinsichtlich der übrigen geltend gemachten Straftatbestände aufrecht erhalten würde. In diesem Falle könnte, da die angedrohten Minimalstrafen in keinem Falle die 10jährige Kerkerstrafe erreichen würden und deshalb Art. 121 Al. [Alinea] 2 StrPo keine Anwendung fände, im Beschwerdeverfahren frei überprüft werden, ob einer der übrigen gesetzlichen Haftgründe zur Zeit der Fällung des Beschwerdeentscheides noch vorliegt. Aus aussenpolitischen Gründen wäre der f.l. Regierung eine Erledigung der Angelegenheit ohne Durchführung einer Verhandlung vor dem Kriminalgericht erwünscht. An und für sich wäre das mit der Abolition des ganzen Verfahrens durch seine Durchlaucht den Landesfürsten [Franz Josef II.] gemäss den ihm zustehenden verfassungsmässigen Rechten möglich. Die f.l. Regierung möchte aber mit Rücksicht auf die Person des Landesfürsten diesen Weg nicht beschreiten. Nach meiner Auffassung lässt sich in diesem Falle leider keine Lösung finden, die auf gesetzlichem Wege dem Wunsche der f.l. Regierung Rechnung tragen könnte. Das Verfassungsgesetz v. 2.9.1939 beschränkt sich nur auf wirtschaftliche Massnahmen, [9] das Ermächtigungsgesetz v. 30.5.1933 [10] bietet m.E. auch keine genügende Handhabe, dass die Regierung von sich aus eine bezügliche Verfügung zur Niederschlagung des Verfahrens treffen und erlassen könnte. Eine Lösung wäre m.E. nur möglich, wenn die Regierung vom Landtage durch ein neues, weitergehendes Vollmachtengesetz, welches sie auch zum Erlasse abändernder gesetzlicher Bestimmungen aus politischen Gründen ermächtigen würde, weitergehende Befugnisse erhalten könnte. Mit Hochschätzung:
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[1] LI LA RF 190/095/133-135. [2] Anklageschrift vom 24.10.1939 (LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2/196). Die Anklageschrift war das Resultat umfangreicher Untersuchungen, vgl. die Akten in LI LA RF 190/095, LI LA V 005/1939/0375, LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 2. Die folgende Auflistung stimmt nicht in allen Einzelheiten mit der Anklageschrift überein. Insbesondere fehlt hier bei den Angeklagten unter Ziffer II Alois Schädler, während gegen den unter Ziffer IV angeführten Willi Kranz gar keine Anklage erhoben werden sollte. [3] Österreichisches Strafgesetz vom 27.5.1852 über Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, eingeführt im Fürstentum Liechtenstein mit Fürstlicher Verordnung vom 7.11.1859. [4] LGBl. 1897 Nr. 2. [5] Verordung zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung (LGBl. 1939 Nr. 5). [6] Verordnung betreffend das Verbot des Tragens von Partei-Uniformen (LGBl. 1934 Nr. 9). [7] Bundesratsbeschluss über das Verbot des Tragens fremder Uniformen in der Schweiz (AS, 1932, Bd. 48, S. 58). [8] Strafprozessordnung vom 31.12.1913 (LGBl. 1914 Nr. 3). [9] Verfassungsgesetz betreffend Bevollmächtigung der Regierung zur Anordnung kriegswirtschaftlicher Massnahmen, LGBl. 1939 Nr. 12. [10] Gesetz betreffend die Erteilung besonderer Vollmachten an die Regierung, LGBl. 1933 Nr. 8.
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