Memorandum der Regierung, ungez. [1]
o.D. (zu 7.12.1944)
Memorandum bezüglich der Errichtung einer liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern
I. Sachverhalt
Im heurigen Frühjahr machte Seine Durchlaucht der Regierende Fürst [Franz Josef II.] den ständig amtierenden Mitgliedern der Regierung gesamthaft und in Einzelaudienzen die Mitteilung, dass es sein Wunsch wäre, in Bern eine liechtensteinische Gesandtschaft zu errichten. Die Mitglieder der Regierung vertraten von allem Anfang an die Meinung, dass von einem solchen Schritte abgesehen werden sollte. [2] Bestimmend war die grundsätzliche Einstellung der Regierung, in dieser entscheidungsschweren Zeit aussenpolitisch keinerlei Änderungen des gegenwärtigen Zustandes vorzunehmen, um nicht der Gefahr irgendwelcher Missdeutungen dritter Staaten ausgesetzt zu werden. Desgleichen brachten die Vertreter der Regierung fallweise übereinstimmend die Argumente zum Ausdruck, die ihrer Meinung nach gegen die Errichtung einer Gesandtschaft sprechen und in einem nachstehenden Abschnitte näher wiedergegeben werden.
II. Zuständigkeit
Die Mitglieder der Regierung verfehlten nicht, Seiner Durchlaucht dem Landesfürsten gegenüber zu betonen, dass die Errichtung einer Gesandtschaft in die Zuständigkeit der fürstlichen Regierung und auch des Landtages falle, ein Standpunkt, dem sich Seine Durchlaucht nicht vollinhaltlich anschloss. Zur Begründung ihrer Auffassung verwiesen die Mitglieder der Regierung auf nachstehende Verfassungsbestimmungen: [3]
a) Art. 8 stipuliert die Mitwirkung der Regierung bei der Vertretung des Landes gegen auswärtige Staaten und stellt ausdrücklich die Verantwortung der Regierung hinsichtlich der Vertretung gegenüber dem Auslande fest.
b) Artikel 90 der Verfassung sieht vor, dass alle wichtigeren der Regierung zur Behandlung zugewiesenen Begebenheiten der Kollegialberatung und Beschlussfassung der Regierung unterliegen.
c) Artikel 86 sieht vor, dass die landesfürstlichen Resolutionen auf Antrag des Regierungschefs ergehen und neben der eigenhändigen Unterschrift des Landesherrn die Gegenzeichnung des Regierungschefs erhalten müssen.
d) Der Landtag selber hat gemäss Artikel 62 lit. f das Recht der Antragstellung und Beschwerdeführung bezüglich der Staatsverwaltung überhaupt sowie einzelner Zweige derselben.
e) Nach Artikel 63 der Verfassung steht dem Landtage das Recht der Kontrolle über die gesamte Staatsverwaltung zu.
f) Nach Artikel 11 dürfen neue ständige Beamtenstellen nur mit Zustimmung des Landtages geschaffen werden.
Zusammenfassend muss gesagt werden, dass die Entscheidung über die Errichtung einer Gesandtschaft in Bern zweifellos in den Kompetenzbereich von Regierung und Landtag fällt.
III. Gegenwärtiger Stand der Frage
Während die ständig amtierenden Mitglieder der fürstlichen Regierung von allem Anfang an einen ablehnenden Standpunkt einnahmen, sondierte Seine Durchlaucht der Landesfürst teils selber, teils durch Mittelsmänner beim Eidgenössischen Politischen Departement in Bern bezüglich der Errichtung einer Gesandtschaft und der Akkreditierung eines Geschäftsträgers in der Person eines Bruders des Fürsten, Seiner Durchlaucht des Prinzen Heinrich von Liechtenstein. [4] Diese Sondierungen hatten jedoch nach Auffassung des Politischen Departementes einen durchaus offiziellen Charakter und gingen aus in die Erteilung des Agreementes für den designierten Geschäftsträger. Mittlerweile waren denn auch die praktischen Vorbereitungen für die Errichtung der Gesandtschaft soweit gediehen, dass heute ein Gebäude gemietet ist (Thiliestrasse 30 a), ein Sekretär bestellt ist, die Nummer der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern veröffentlicht wurde und das Gebäude in der Thiliestrasse 30 bereits das Schild der Gesandtschaft trägt.
Hinsichtlich des Verkehrs zwischen Regierung und dem Politischen Departemente wurde in einem Briefwechsel des Mittelmannes mit dem Chef der Abteilung für Auswärtiges, Herr Minister Bonner [Pierre Bonna], vereinbart, dass, soweit es sich um Fragen der inneren Verwaltung des Fürstentums und die auf die bestehenden Verträge bezüglichen Verträge und Abkommen handle, der direkte Verkehr von Regierung zu Regierung aufrecht bleibe, während jede andere Fühlungnahme mit der Schweiz auf aussenpolitischem Gebiete eingeschlossen jede Verhandlung über Abänderung oder Errichtung von Verträgen und Abkommen zur Gänze aufrecht erhalten würde über den alleinigen Weg von der Gesandtschaft zum Eidgenössischen Politischen Departements. Dieses Vorgehen hätte auch einzutreten, wenn im Verlaufe des direkten Verkehrs eine Meinungsverschiedenheit oder eine Frage verfassungsmässiger Natur oder Grundsatzfragen auftreten würden. [5]
IV. Bedenken gegen die Errichtung der Gesandtschaft
a) Rückwirkungen auf Deutschland
Die fürstliche Regierung hat im Laufe der letzten Jahre den Eindruck bekommen, dass Deutschland eine einseitige Errichtung einer Gesandtschaft in Bern nicht freundlich aufnehmen würde. Dieser Eindruck gründet sich auf Äusserungen politischer deutscher Persönlichkeiten. In Anbetracht der grossen Interessen, die der regierende Fürst in Deutschland hat und der Notwendigkeit eines freundnachbarlichen Verhältnisses im engeren Grenzgebiete und guter Beziehungen zu Deutschland allgemein möchte die Regierung eine solche Rückwirkung unter allen Umständen vermeiden.
Wenn nun z.B. der Verkehr mit Deutschland einzig mehr über die Gesandtschaft in Bern, das Politische Departement und die Schweizerische Gesandtschaft in Berlin gehen müsste, wäre dies in sehr vielen Fällen ausserordentlich zeitraubend und als Mangel auch insofern zu werten, als der vielfach gepflogene direkte Verkehr ein gewisses Vertrauensverhältnis geschaffen hat, das zur Erledigung der mannigfachen schwebenden Fragen sehr beigetragen hat.
Eine wirkliche Misstimmung seitens Deutschlands könnte Rückwirkungen haben, deren Ausmass natürlich nicht überblickt werden können.
b) Rückwirkungen auf das Verhältnis zu Russland
Ausgehend von der Tatsache, dass die Gesandtschaft in Bern auch in grösserem Umfange die Vermögensinteressen Seiner Durchlaucht im vermutlich künftigen Einflussgebiete der Sowjetunion wahrzunehmen hätte, hat sich die fürstliche Regierung auf den Standpunkt gestellt, dass die Errichtung einer Gesandtschaft in der Schweiz im heutigen Zeitpunkte umso inopportuner ist, als gerade jetzt Sowjetrussland sich geweigert hat, mit der Schweiz in diplomatische Beziehungen zu treten, weil sie die Schweiz als feindselig eingestellten Staat betrachtet. [6] Wenn unter dem Einflusse Sowjetrusslands an Vermögensenteignungen im Einflussgebiete Russlands geschritten würde bestimmt durch soziale Überlegungen, so könnte gerade dieser Schritt Liechtensteins der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit einem sowjetfeindlich gesinnten Staate zum Vorwand genommen werden, gegen das Vermögen des Fürsten vorzugehen.