Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung, ungez. [1]
9.3.1950
2. Beitritt des Fürstentums Liechtenstein zum Statut des Internationalen Gerichtshofes
Präsident David Strub: Jeder der Herren Abgeordneten habe den Motivenbericht [2] zugestellt erhalten und er nehme deshalb an, dass auf eine Verlesung desselben verzichtet werden könne. Hiernach verliest er ein Schreiben der Fürstlichen Regierung [3] sowie den Antrag der Finanzkommission [4] mit der Empfehlung zum Beitritt zum Statut des Internationalen Gerichtshofes. [5] Daraufhin ersucht er den Herrn Regierungschef [Alexander Frick] noch um mündliche Stellungnahme zur Angelegenheit.
Regierungschef Frick: Die Gründe, welche zum Beitritt zum Statut des Internationalen Gerichtshofes führten, hätten in erster Linie ihren Grund darin, die Stellung des Landes als souveräner Staat bei den grossen Mächten anerkannt zu finden. Anderseits sei die Mitgliedschaft beim Statut des Internationalen Gerichtshofes für das Land auch zum Schutze der Interessen seiner Bürger ausserordentlich wichtig, wie sich im Laufe der letzten Jahre verschiedene Male gezeigt habe. Ohne dieses internationale Rechtsinstrument sei ein Kleinstaat kaum in der Lage, die Interessen seiner Bürger im weiteren Ausland zu schützen. Ein weiterer Grund ergebe sich auch aus den mit verschiedenen Staaten durch die Schweiz abgeschlossenen Verträge, welchen wir kraft des Zollvertrags ebenfalls angeschlossen sind und die die Vertragspartner in Streitfällen an den Ständigen Internationalen Gerichtshof verweisen, dessen Kompetenz nun an den Internationalen Gerichtshof übergegangen ist. Liechtenstein schaffe sich weiters auch die Möglichkeit, durch die Anerkennung der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes einen Rechtsentscheid als gleichberechtigte Partei in einem Streite mit einem anderen Staate zu erhalten, der sich ebenfall denselben unterworfen hat.
Die Bestrebungen für den Beitritt zum Statut des Internationalen Gerichtshofes hätten eine ganz interessante Vorgeschichte. Schon am 23. Juli 1920 habe unser Land beim Völkerbund formell das Gesuch unterbreitet, als Mitglied aufgenommen zu werden, [6] nachdem der Landtag schon am 28. August 1919 den Beitritt zum Völkerbund beschlossen hatte. [7] In der ersten Vollversammlung habe aber nur die Schweiz für die Aufnahme gestimmt und am 17. Dezember 1920 musste das Beitrittsgesuch Liechtensteins als abgewiesen betrachtet werden. [8] Man habe Liechtenstein auf eine Änderung des Statuts vertröstet, welche auch den Kleinstaaten den Beitritt gestattet hätte, eine solche Änderung sei jedoch nie erfolgt. Auch die Vertretung der liechtensteinischen Interessen beim Völkerbund wurde abgelehnt. Die Charta der Vereinten Nationen [9] brachte nun eine Möglichkeit für Liechtenstein, sich um die Mitgliedschaft des Internationalen Gerichtshofes zu bewerben, es handelt sich um Art. 93 der Charta, wo es unter 2. heisst: "Ein Staat, der nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist, kann unter den von der Generalversammlung auf Empfehlung des Sicherheitsrates in jedem einzelnen Fall festgesetzten Bedingungen am Statut des Internationalen Gerichtshofes teilnehmen."
Am 14. September 1948 erteilte der Landtag der Regierung den Auftrag zur Abklärung der Möglichkeiten eines Beitritts zum Internationalen Gerichtshof. [10] Nach erfolgter Abklärung richtete die fürstliche Regierung am 8. März 1949 ein Schreiben an den Generalsekretär [Trygve Lie] der Vereinigten Nationen, in dem sie demselben bekanntgab, dass das Fürstentum Liechtenstein Mitglied des Statuts des Internationalen Gerichtshofes zu werden wünsche und gerne die Bedingungen erfahren möchte, welche die Generalversammlung auf Empfehlung des Sicherheitsrates festlegen würde. [11] Mit Schreiben vom 14. Juni 1949 [12] übersandte dann die Regierung dem Generalsekretär der Vereinigten Nationen dann noch ein Gutachten [13] des Prof. Clyde Eagleton, Professor für internationales Recht an der Universität New York, betreffend das Beitrittsgesuch des Fürstentums Liechtenstein zum Statut des Internationalen Gerichtshofes. Am 27. Juli 1949 nahm der Sicherheitsrat in seiner 432. Sitzung den Bericht des Sachverständigenkomitees an, wonach dasselbe dem Sicherheitsrat empfahl, der Generalversammlung nahezulegen, dass Liechtenstein die Mitgliedschaft zum Statut des Internationalen Gerichtshofes unter den gleichen Bedingungen wie der Schweiz gewährt werden solle. [14] Das Ergebnis der Abstimmung war 9 zu 0, bei Stimmenthaltung der USSR und der Ukraine. Am 1. Dezember 1949 bestimmte die Generalversammlung der Vereinigten Nationen in der 262. Sitzung, dass das Fürstentum Liechtenstein Mitglied des Internationalen Gerichtshofes mit dem Datum der Überreichung einer entsprechenden Urkunde werden könnte. [15] Diese Aufnahmebedingungen seien im Motivenbericht enthalten und die Herren Abgeordneten hätten sie also schon studieren können. Die Bedingungen seien sehr klar und für unser Land verhältnismässig einfach. Einzig Absatz c könnte vielleicht zu Erwägungen betreffs Beitragsleistung an die Kosten Anlass geben, doch heisse es dort ausdrücklich, dass die Höhe des Beitrages von Zeit zu Zeit durch die Generalversammlung nach Konsultation der Liechtensteinischen Regierung der Billigkeit entsprechend festgesetzt werde.
Regierungschef Frick wies darauf hin, dass der Beitritt zum Statut noch nicht die Verpflichtung zur Annahme der Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes einschliesse. Wer Mitglied des Statuts des neuen Internationalen Gerichtshofes sei, könne auf Grund des Artikels 36 des Statuts erklären, dass er "von Rechts wegen und ohne besonderes Abkommen gegenüber jedem in gleicher Weise sich verpflichtenden Staat die Gerichtsbarkeit in allen nachfolgend aufgezählten Arten von Streitigkeiten rechtlicher Natur als obligatorisch anerkenne:
a) die Auslegung eines Staatsvertrages;
b) irgendwelche Fragen des Internationalen Rechts;
c) die Existenz einer Tatsache, die, wenn sie bewiesen wäre, der Verletzung einer internationalen Verpflichtung gleichkommen würde;
d) die Art oder der Umfang einer wegen Verletzung einer internationalen Verpflichtung geschuldeten Wiedergutmachung."
Die Regierung habe deshalb dem Landtage auch den Antrag unterbreitet, die erwähnte Erklärung über die obligatorische Gerichtsbarkeit anzunehmen. Es sei klar, dass diese Erklärung über die Anerkennung der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes für Liechtenstein nur in jenen Fällen praktisch von Bedeutung sei, in denen die Gegenpartei als Mitglied des Statuts ebenfalls eine solche Erklärung abgegeben habe. Die Abgabe dieser Erklärung könne den Interessen des Landes voraussichtlich nur förderlich sein.
Regierungschef Frick empfiehlt deshalb dem Landtag die Regierung zur Abgabe der beiden Erklärungen zu ermächtigen.
Abg. Dr. Alois Vogt empfiehlt dem hohen Landtage, die Regierung zu ermächtigen, dem Internationalen Gerichtshof beizutreten und hebt gleichzeitig die Vorteile des Beitritts hervor. Es sei dies wirklich eine einmalige Gelegenheit, uns der Welt als souveräner Staat vorzustellen und diese Tatsache allein schon sei es wert, dass jeder Abgeordnete zum Beitritt des Fürstentums Liechtenstein zum Internationalen Gerichtshof sein Ja gebe.
Präsident David Strub unterstützt die Ausführungen des Regierungschefs und des Abgeordneten Dr. Vogt wärmstens. Die Begründung über den Beitritt sei von Herrn Regierungschef ausführlich dargelegt und auch im Motivenbericht gut erörtert worden. Wenn sich niemand mehr zum Worte melde, werde er die Abstimmung vornehmen:
Wer mit dem Beitritt zum Statut des Internationalen Gerichtshofes gemäss der auf Seite 9 der Botschaft der fürstlichen Regierung an den hohen Landtag enthaltenen Erklärung einverstanden sei, möge dies durch Hand erheben zu erkennen geben.
Abstimmungsergebnis: Einstimmige Annahme.