Die Regierung beantragt beim Landtag den Beitritt Liechtensteins zum Statut des Internationalen Gerichtshofes


Botschaft der Regierung an den Landtag zum Beitritt Liechtensteins zum Statut des Internationalen Gerichtshofes [1]

24.2.1950

Das Fürstentum Liechtenstein hatte es nicht immer leicht, seine Stellung als souveräner Staat bei den grossen Mächten anerkannt zu finden. Keine Schwierigkeiten bestanden bei seinen engsten Nachbarn, die das Ländchen stets in allen Belangen als einen Staat ohne Einschränkung anerkannten, auf dieser Basis mit ihm Verträge abschlossen und diese als ein Rechtsinstrument achteten, wie wenn sie dieselben mit einer Grossmacht abgeschlossen hätten.

Es erwies sich aber besonders während und nach dem ersten Weltkrieg als notwendig, die Souveränität des Fürstentums Liechtenstein auch gegenüber anderen Staaten zu betonen. Denn liechtensteinische Interessen erstreckten sich nicht nur auf die beiden Nachbarstaaten, sondern auf die meisten andern Staaten. Liechtensteinische Staatsbürger und liechtensteinischen Besitz gibt es in den meisten europäischen und den aussereuropäischen Staaten. In vermehrtem Masse wurde es nach dem ersten Weltkrieg notwendig, liechtensteinischen Besitz im Ausland zu schützen, ja manchmal auch für die Person eines Liechtensteiners und deren Schutz zu intervenieren.

Das Fürstentum Liechtenstein konnte die Wahrung der liechtensteinischen Interessen im Auslande nicht in genügendem Masse selbst durchführen, genau so wenig, wie es imstande war, auf die Dauer ein eigenes abgeschlossenes Wirtschaftsgebiet zu bilden. Es war gezwungen, sich wirtschaftlich an seinen Nachbar anzulehnen und seine Interessen im Auslande ebenfalls durch diesen Nachbarn vertreten zu lassen. Vom Jahre 1853 an bis zum Jahre 1919 besorgte Österreich diese Vertretung, mit dem das Land auf Grund des Zollvereinsvertrages ein Wirtschaftsgebiet bildete. Im Jahre 1919 übernahm die Schweiz auf Ersuchen Liechtenstein die Vertretung des Landes im Auslande.

Gerade das Fehlen eigener liechtensteinischer Vertretungen im Auslande, das Aufgehen im Wirtschaftsraume eines grösseren Nachbarn, die Übernahme vieler Gesetze des Nachbarstaates, die Einheit des Zollgebietes, die Einheit der Währung u.dgl. konnten dazu angetan sein, an der Souveränität unseres Landes Zweifel zu erwecken. Die gleichen Zweifel wurden gegenüber dem Fürstenhause laut und zwar dort, wo das Bestehen der Souveränität als mit den eigenen Interessen zuwiderlaufend betrachet wurde. Denn es ist klar, dass die Rechte eines souveränen Staates anders zu respektieren sind als jene eines nicht souveränen.

Das Fürstenhaus und das Fürstentum sahen sich wiederholt veranlasst, die Souveränität dokumentieren zu lassen. In den letzten dreissig Jahren durfte nichts unterlassen werden, die letzten Zweifel über das Bestehen der Souveränität zu beseitigen. Es ist uns auch gelungen, diese restlos anerkannt zu finden bis auf einige wenige Staaten, die einfach nicht wollen, die den Tatsachen gegenüber die Augen verschliessen. Dabei geht es weniger um die Anerkennung als solche selbst als um ein Ausweichen vor den Folgerungen des Völkerrechts, die aus der Anerkennung erstehen würden.

Zur Dokumentierung seiner Souveränität dient die Tatsache, dass das Fürstentum Liechtenstein im Laufe der Jahre mit einer Reihe von Staaten Verträge verschiedenen Inhaltes abgeschlossen hat, vor und nach Inkrafttreten des Zollvertrages, einer Reihe internationaler Abkommen beigetreten ist, Mitglied des Weltpostvereins wurde, die Stellung des Fürstenhauses innerhalb der Monarchie Österreich und des Nachfolgestaates unbestritten als die eines souveränen regierenden Hauses anerkannt wurde etc.. Auf diesem beschrittenen Wege darf aber nicht Halt gemacht werden. Immer und immer wieder hat Liechtenstein die Gelegenheiten zu benützen, seine Souveränität zu betonen. Es muss aber auch auf die daraus abzuleitenden Rechte pochen und sie durchzusetzen versuchen. Denn nur zu leicht vergisst man den Kleinen und vergisst seine ebenbürtige Stellung als Staat, eine Gefahr, der der Grosse nicht ausgesetzt ist.

Der Kleine muss sich aber auch der Mittel bedienen, die ihm zur Verteidigung seiner Interessen im gegebenen Falle zur Verfügung stehen. Hierher gehört in erster Linie die Möglichkeit, sich dem Statut des Internationalen Gerichtshofes anzuschliessen. Die Botschaft des Schweizerischen Bundesrates vom 8. Juli 1947 an die Bundesversammlung über den Beitritt der Schweiz zum Statut des Internationalen Gerichtshofes führt weitere Gründe an, die es dem kleineren Staatswesen nahe legen, sich dieser Organisation anzuschliessen. Sie führt unter II. aus:

"Die Achtung vor dem Recht war von jeher die Hoffnung und der Schutz der Schwachen. In den zwischenstaatlichen Beziehungen hat sich im Laufe der Jahrhunderte langsam ein Recht herausgebildet, das aber noch unvollständig ist, da keine den Staaten übergeordneten Organe bestehen, die dazu befugt wären, dieses Recht unter allen Umständen verbindlich auszulegen und ihm Nachachtung zu verschaffen. Die Einführung von internationalen Untersuchungs-, Vergleichs-, Schieds- und Gerichtsverfahren stellt daher einen wesentlichen Fortschritt zur Bildung einer wirklich organisierten Staatengesellschaft dar, in der jeder auch noch so kleine Staat einen gewissen Schutz gegen den Missbrauch der Macht geniessen würde.

In der ganzen Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft spielte das Schiedsverfahren zwischen Kantonen eine wichtige Rolle und in der neueren Zeit hat die Schweiz rasch begriffen, dass sie ein lebenswichtiges Interesse in der Unterstützung aller Anstrengungen hat, die die Weiterbildung des Gerichtsverfahrens zwischen Staaten und die Schaffung eines ständigen internationalen Gerichtes mit universellem Charakter zum Ziele haben. Daher ist die Schweiz den Haager Abkommen von 1899 und 1900 über die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten beigetreten, ferner dem Statut des Ständigen Internationalen Gerichtshofes und der Generalakte zur friedlichen Beilegung völkerrechtlicher Streitigkeiten, die 1928 unter dem Völkerbund abgeschlossen wurde. Die Schweiz war einer der ersten Staaten, die die obligatorische Gerichtsbarkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes gemäss Art. 36 seines Statuts anerkannten, und sie hat eine grosse Anzahl von zweiseitigen Verträgen zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs-, Schieds- und Gerichtsverfahren abgeschlossen.

Diese Politik steht mit den ständigen Interessen unseres Landes so sehr im Einklang, dass nicht daran gedacht werden kann, sie aufzugeben oder auch nur mit weniger Energie als bis jetzt zu verfolgen."

Die in der Botschaft des Schweizerischen Bundesrates angeführten Gründe für den Beitritt zum Statut gelten im wesentlichen auch für Liechtenst[ein]. Zusammenfassend können daher folgende Momente angeführt werden, die einen Beitritt Liechtensteins zum Statut des Internationalen Gerichtshofes empfehlen:

a) Durch die Mitgliedschaft bei einer Internationalen Organisation dokumentiert Liechtenstein seine Souveränität und erhält sie neuerlich anerkannt;

b) Auf Grund des Zollvertrages sind eine Reihe durch die Schweiz abgeschlossene Verträge mit Drittstaaten ohne weiteres oder mit ausdrücklicher Nennung für die Dauer des Zollvertrages auf Liechtenstein anwendbar. Ein Grossteil der nach 1923 abgeschlossenen Verträge verweist die Vertragspartner an den Ständigen Internationalen Gerichtshof, dessen Kompetenz nun an den Internationalen Gerichtshof übergeht. Die Zuständigkeit für Streitigkeiten aus diesen Verträgen für Liechtenstein ist damit gegeben;

c) Liechtenstein schafft sich die Möglichkeit, durch die Anerkennung der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes einen Rechtsentscheid als gleichberechtigte Partei in einem Streite mit einem anderen Staate zu erhalten, der sich ebenfalls denselben unterworfen hat.

Die Vorgeschichte

Die Bestrebungen des Fürstentums Liechtenstein, einer internationalen Organisation beizutreten, sind nicht neu. Liechtenstein unterbreitete am 23. Juli 1920 beim Völkerbund formell das Gesuch, als Mitglied aufgenommen zu werden, nachdem der Landtag schon am 28. August 1919 den Beitritt zum Völkerbund beschlossen hatte. In der ersten Vollversammlung stimmte aber nur die Schweiz für die Aufnahme (Bundesrat Motta) und am 17. Dezember 1920 musste das Beitrittsgesuch Liechtensteins als abgewiesen betrachtet werden. Man vertröstete den liechtensteinischen Vertreter auf eine allfällige Änderung des Statuts, wornach es auch den Kleinstaaten ermöglicht würde, in dieser oder jener Form dem Bunde beizutreten. Die Änderung erfolgte nicht. Liechtenstein hatte die Frage unterbreitet, ob es seine Interessen nicht durch die Schweiz beim Völkerbund vertreten lassen könnte. Auch dieser Vorschlag scheiterte. Ebenso war ein Beitritt des Fürstentums Liechtenstein zum Ständigen Internationalen Gerichtshof nicht erfolgt.

In einem besonderen Falle wurde im Jahre 1938/1939 versucht, einen Streit vor dem Ständigen Internationalen Gerichtshof anhängig zu machen. Liechtenstein hatte zu diesem Zwecke eine eigene Erklärung über die Anerkennung eines Schiedsspruches des Ständigen Internationalen Gerichtshofes abgegeben, konnte aber als Nichtmitgliedstaat keinen Schiedsspruch erzwingen, weil sich die Gegenpartei nicht freiwillig der Gerichtsbarkeit unterwarf. Art. 93 der Charta der Vereinigten Nationen brachte nun ein Moment, das Liechtenstein darauf hinweisen musste, sich um die Mitgliedschaft des Internationalen Gerichtshofes zu bewerben. Art. 93 lautet nämlich wie folgt:

"1. Alle Mitglieder der Vereinigten Nationen sind ohne weiteres auch Teilnehmer am Statut des Internationalen Gerichtshofes.

2. Ein Staat, der nicht Mitglied der Vereinigten Nationen ist, kann unter den von der Generalversammlung auf Empfehlung des Sicherheitsrates in jedem einzelnen Fall festgesetzten Bedingungen am Statut des Internationalen Gerichtshofes teilnehmen."

Auf Grund dieser Möglichkeiten und der eingangs angeführten Wichtigkeit der Mitgliedschaft am Statut des Internationalen Gerichtshofes liess die fürstliche Regierung über Auftrag des Landtags vom 14. September 1948 die Frage des Beitrittes abklären. Nachdem dies geschehen war, richtete die fürstliche Regierung am 8. März 1949 ein Schreiben an den Generalsekretär der Vereinigten Nationen, in dem sie demselben bekanntgab, dass das Fürstentum Liechtenstein Mitglied des Statuts des Internationalen Gerichtshofes zu werden wünsche und gerne die Bedingungen erfahren möchte, welche die Generalversammlung auf Empfehlung des Sicherheitsrates festlegen würde.

Mit Schreiben vom 14. Juni 1949 übersandte die fürstliche Regierung dem Generalsekretär der Vereinigten Nationen dann noch ein Gutachten des Prof. Clyde Eagleton, Professor für internationales Recht an der Universität New York, betreffend das Beitrittsgesuch des Fürstentums Liechtenstein zum Statut des Internationalen Gerichtshofes.

Am 27. Juli 1949 nahm der Sicherheitsrat in seiner 432. Sitzung den Bericht des Sachverständigenkomitees an, wonach dasselbe dem Sicherheitsrat empfahl, der Generalversammlung nahe zu legen, dass Liechtenstein die Mitgliedschaft zum Statut des Internationalen Gerichtshofes unter den gleichen Bedingungen wie die Schweiz gewährt werden solle. (Ergebnis der Abstimmung 9 : 0, bei Stimmenthaltungen der USSR und Ukraine). Am 1. Dezember 1949 bestimmte die Generalversammlung der Vereinigten Nationen in der 262. Sitzung, dass das Fürstentum Liechtenstein Mitglied des Internationalen Gerichtshofes mit dem Datum der Überreichung einer entsprechenden Urkunde werden könne.

Aufnahmebedingungen

1. Die zu überreichende Urkunde müsste folgende Erklärungen enthalten:

a) Annahme der Bestimmungen des Statuts des Internationalen Gerichtshofes;

b) Annahme aller Verpflichtungen, die einem Mitglied der Vereinigten Nationen aus Art. 94 der Satzungen vom 26. Juni 1945 erwachsen;

c) Verpflichtung zur Zahlung eines Beitrages an die Ausgaben des Gerichtshofes, dessen Höhe die Generalversammlung von Zeit zu Zeit nach Konsultation der Liechtensteinischen Regierung der Billigkeit entsprechend festsetzt.

Diese Aufnahmebedingungen sind in einer Resolution der Vereinigten Nationen vom 1. Dezember 1949 festgelegt worden. Sie können nicht voneinander getrennt werden und bilden mit der Erklärung zur Annahme die Aufnahme bezw. den Beitritt zum Statut des Internationalen Gerichtshofes.

2. Wie aus den im Anhang beigegebenen Ausführungen des Schweizerischen Bundesrates in der Botschaft zum Beitritt der Schweiz zum Statut des Internationalen Gerichtshofes vom 8. Juli 1947 ausgeführt ist, schliesst der Beitritt zum Statut noch nicht die Verpflichtung mit ein, die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes anzunehmen. Gemäss Art. 37 des Statutes unterliegen jedoch die alten Verträge, die die Zuständigkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes für Streitfragen vorsahen und durch die die obligatorische Gerichtsbarkeit desselben anerkannt worden war, dem neuen Gerichtshofe als dessen Rechtsnachfolger (alter Ständiger Gerichtshof mit 19. April 1946 als aufgelöst betrachtet).

Wer Mitglied des Statuts des neuen Internationalen Gerichtshofes ist, kann auf Grund des Art. 36 des Statuts erklären, dass er von Rechts wegen und ohne besonderes Abkommen gegenüber jedem in gleicher Weise sich verpflichtenden Staat die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes in allen nachfolgend aufgezählten Arten von Streitigkeiten rechtlicher Natur als obligatorisch anerkenne:

a) die Auslegung eines Staatsvertrages;

b) irgendwelche Fragen des internationalen Rechts;

c) die Existenz einer Tatsache, die, wenn sie bewiesen wäre, der Verletzung einer internationalen Verpflichtung gleichkommen würde;

d) die Art oder der Umfang einer wegen Verletzung einer internationalen Verpflichtung geschuldeten Wiedergutmachung.

Die fürstliche Regierung unterbreitet dem hohen Landtag mit der Empfehlung zur Annahme der Aufnahmebedingungen bezw. der Ermächtigung der Regierung, den Beitritt durch die Abgabe der Erklärung der Aufnahmebedingungen zu vollziehen, gleichzeitig auch den Antrag, die vorstehend genannte Erklärung im Sinne des Art. 36 des Statuts des Internationalen Gerichtshofes über die obligatorische Gerichtsbarkeit abzugeben.

Es ist klar, dass die vorstehende Erklärung über die Anerkennung der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes für das Fürstentum Liechtenstein nur in jenen Fällen praktisch von Bedeutung ist, in denen die Gegenpartei als Mitglied des Statuts ebenfalls eine solche Erklärung abgegeben hat. Die Abgabe dieser Erklärung kann den Interessen des Fürstentums Liechtenstein voraussichtlich nur förderlich sein und beantragt daher die fürstliche Regierung dem hohen Landtage, sie zur Abgabe dieser Erklärung ebenfalls zu ermächtigen.

Vaduz, den 24. Februar 1950.

Fürstliche Regierung

P.S. Bis jetzt haben 23 Staaten durch Abgabe einer entsprechenden Erklärung die obligatorische Gerichtsbarkeit akzeptiert und zwar:

Australien, Belgien, Bolivien, Brasilien, Canada, China, Columbien, Dänemark, Dominikanische Republik, Republik El Salvador, Frankreich, Guatemala, Haiti, Honduras, Indien, Iran, Luxemburg, Mexiko, Holland, Neuseeland, Nicaragua, Norwegen, Pakistan, Panama, Paraguay, Philippinen, Siam, Schweden, Schweiz, Türkei, Süd-Afrika, Grossbritannien, Vereinigte Staaten, Uruguay.

Anhhang: [2]

1. Entwurf des Landtagsbeschlusses

2. Auszug aus der Botschaft des Schweizerischen Bundesrates vom 8. Juli 1947.

3. Kapitel XIV der Satzungen der Vereinigten Nationen vom 26. Juni 1945.

4. Statut des Internationalen Gerichtshofes.

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[1] LI LA RF 248/498 (c)
[2] Der Anhang wird nicht abgedruckt.