Handschriftliches Originalschreiben der Theres Kieber [-Marock], Mauren, an ihren Onkel Wilhelm Marock, Hammond (Indiana), mit einem Nachtrag von Ferdinand Marock [1]
29.03.1897, Mauren
Lieber Onkel!
Obschon ich Euch persönlich
nimahls gesehen habe u. sehr
wahrscheinlich nie das Glück haben
werde Euch zusehen; so habe ich doch
die Erlaubniss [2] von meinem
Vater einige Zeilen an Euch zu
schreiben. Am 5. April beende ich
meine Werktagsschule, allerdings
nicht mit vollster Zufridenheit meiner
Eltern u. Lehrerin, [3] was schon meine
Schrift bekundet. Ich hatt von meinem 3.
Schuljahr an, eine sehr fromme u.
musterhafte Lehrschwester [4] zur
Lehrin. Euer Brief vom 9. März las
ich mit freuden, nur eines möchte
ich hervorheben, was aber Euch libster
Onkel nicht beleidigen soll. Wir sind
verpflichtet jedem feind von Herzen
zu verzeichen. Wenn auch Lehrer Öhri
Euch ein grosses Unrech that, den noch [5]
von Herzen zu verzeichen. Denn beim
Schein der Todtenkerze unser Todes-
stunde erscheint doch alles
irdische nur eitel u. die Worte
müssen uns brandmarken vor
dem ewigen Richter wenn wir
in dem letzten Augenblick
betten „vergib mir meine Schuld
wie ich sie vergebe meinem feind.“
Dieses ist der sehnlichste Wunsch
meiner lieben Grossmutter [Genofeva Marock [-Meier]] damit
Sie Euch um so sicherer im Jenseits
in Ihre Arme aufnehmen u. an
ihr wundes Herz schliessen könne das
schon über 30 Jahre darnach sehnte.
Im übrigen sind wir alle gesund
was ich Euch allen auch von
Herzen wünsche zum Schlusse
erwarten wir eine baldige
Antwort wen möglich ein [6]
Schreiben von einem Euerem
Kinde mit herzlichen Gruss von
mir an Euch u. ganze familie.
Theresia Marok
[7] Fortsetzung.
Aber das muss man den Schweizer lassen, Geld
einem Ausländer abstibitzen in kurzer Zeit
das verstehen sie gründlich. Wolte ich mich hier
ins Detail [8] einlassen, wie Mündli [Franz Josef Mündle] in kurzer
Zeit in der Schweiz gebürstet wurde, es gäbe
ein grosses Buch. Eine einzige Tagesschicht soll
jedoch genügen welches wörtlich wahr ist. Den
unser Bruder Andreas [Marock] war im Sommer 1874 bei
ihm in Arbeit. Mündli fürth langes Holz aus
dem Wald beschädigt junge Waldbäumme wurde
sofort mit 25. Frank. gebusst; 2 Stund später färth
er in Zittra (wilder Bergbach) Sand zu holen, konnte
von Glück reden, das er nicht sammt
zwei Gäull zu Grunde ging, wurde bei der [9]
Polizei angezeigt sofort mit 15 Frank. un gnädigen
Weg gebusst. Dess Abends kam die Sanitäts Com-
misson zum Stall vurtheilten ihn zu 50 Frank
Buss, anlässlich eines toten Kalbes das schon 4
Tage auf einen Ruchebestatter [10] wartete. Kurz
nach 4 jährigen Aufenthalt in der Schweiz raisste
Mündli u. seine Mutter [Maria Mündle [-Ritter]] Bettelarm nach An-
merika ab seitdem ist der ganz von der
Bildfläche verschwunden. Seine Schwester [Katharina Hundertpfund [-Mündle]] (deren
Lebensgeschichte noch grösser würde) treibt sich
irgendwo im Unterlande von ihrem Manne
verlassen mit 5 Kinder herum. Das sind
kurze Skizzen zur verfassung eines Kapitel
über Mündli. Ich schicke Dir die Lichtenstein-
Landkarte, um bessere Orientierung
wenn Du od. eines der Deinigen allfällig
einmahl nach Lichtenstein kommen solten.
Die Häuser Deiner Brüder, sowi einige in
Vaduz sind mit N bezeichnet als; Jakob Marok
N 1. And. N 2 Ferd. 3 Gotfrid [Gottfried Marock] 4 Armenanstalt 5
Kirche † Kirchthalers 6, Regierungsgeb. 7 Schloss 8
Bahnhof Nendeln 9 Bahnh. Schaan 10.
Mit frändlich Gruss von uns allen
an Dich u. Familie
Ferd. Marok.
______________
[1] US PA Delph Donna. Brief in Kurrentschrift.
[2] Ursprüngliche Fassung: „Erlaubniss“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[3] Durchstreichung.
[4] Möglicherweise die Zamser Schwester Philothea (Ursula) Rieper. Vgl. Franz Näscher: Beiträge zur Kirchengeschichte Liechtensteins, Bd. 3, S. 52 u. S. 204/205.
[5] Seitenwechsel.
[6] Seitenwechsel.
[7] Es folgt der Nachtrag von Ferdinand Marock.
[8] In lateinischer Schrift. Im Folgenden kursiv gesetzt.
[9] Seitenwechsel.
[10] Unsichere Lesung.