Handschriftliches Originalschreiben des Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois), mit einem Gedicht, an Emma Rheinberger, Arosa [1]
22.04.1906, Nauvoo (Illinois)
Fräulein Rhbrgr. [2]
Liebste Emma [3]!
Erhalten Brief und Karte vom 27t Merz –
Diese Karte hat mir eine grosse Freude gemacht, indem
Sie mich darin Ihrer vollkommenen Genesung versichern.
Wie mögen Sie sich freuen auf den Tag, an dem Sie gesund
und dess [4] Lebens froh zu den Ihrigen zurück kehren können.
Ihre andere Karte vom 1t Aprill [5] kam am grünen Donnerstag hier
an. Melden Sie Ihren lieben Geschwister meinen Dank für
ihre Freundlichkeit. Sie haben so viel Schönes und
Liebes mir zugesandt, und damit meine Anhänglichkeit an die
Famielie [6] daheim neu belebt. Ohne die Bertha [Schauer] [7] und Sie, wär
ich dorten fremd und verschollen gewesen. Hätte sich
zufällig einmal jemand meiner erinnert, und gefragt, würd er
er ungefähr zur Antwort bekommen haben: Vor vielen Jahren
ist einer nach Amerika [8] gegangen; man hat nicht viel von ihm
und seit langem nichts mehr von ihm gehört. Er wird wohl
schon gestorben und verdorben sein.
Der Bertha [9] und Ihnen danke ich es, dass mir dorten
eine freundliche Erinnerung bewahrt wird. [10]
Ich seche wie Ihr Herz trauert um liebe Eltern und
um eine unheilbare, aber gewiss nicht unglückliche Schwester [Hermine Rheinberger]
[11] und begreife es, den auch ich trauerte und traure
noch. Auch ich war eine Waise, und zwar eine arme,
die Gnadenbrod ass, und nie eine liebende Hand, wohl
aber den Stecken fühlte. Von meiner Mutter [Anna Maria Rheinberger [-Schneider]] weiss ich nur
noch, dass man mich als Kind aus dem Bett holte, mir ein in
Weichwasser getauchtes Sträusschen in’s Händchen gab, dass ich
es auf die – todte Mutter spritzte. – Nicht die geringste
Vorstellung habe ich von ihr. Wie oft dachte ich im Leben
an sie! und wie sehr halte ich an der Hoffnung fest, sie einst
im Himmel begrüssen zu können. Wohl lebte der Vater [Josef Ferdinand Rheinberger],
aber er blieb mir so fremd, dass ich ihn kaum kante. Ich ehre sein Andenken
er war ein sehr guter Mensch, aber auch ein sehr unpracktischer
Mann. Überlassen wir dem lieben Gott, was er zu sich genommen.
Ehren wir ihr Andenken, und richten unser Leben so ein, dass wir,
ihrer werth, mit ihnen vereint der ewigen Seligkeit theilhaft
werden. Meine Brüder und Schwestern sind lange, lange dahin.
Nur Eine Schwester [Anna Maria Marxer [-Rheinberger]] habe ich noch, die lebt in einer Vorstadt
Chicagos [12], und sucht ihr Heil ausser der Kirche. –
Oft that ich mein Möglichstes auf sie einzuwirken und
zur Rückkehr zu bewegen. Umsonst! Sie ist 2 Jahre jünger
als ich, und wie ich vor kurzem hörte, schneeweiss.
Sie ist fromm in ihrer weise, aber nicht auf dem rechten Weg. Der Apostel
Paul sagt aber: wenn ich auch gut laufe, und bin nicht auf dem
rechten Weg, komme ich nicht an‘s Ziel. [13]
Wie viel ruhiger können Sie an das Ende Ihrer lieben
kranken Schwester denken, als ich an das baldige Ende
der meinen. In meinem letzten Brief bemerkte ich
Ihnen, wie mild unser Winter verlaufen. Ich lobte zu früh:
Auf den 28t Februar [14] fiel tiefer Schnee, und hielt ohne Unterbrechung
mit Schneefall und Kälte an bis Ende Merz.
Der Aprill bis daher Sturm, Regen und Dreck, wenig und nur
von Nebeln umfloorte Sonne. Die Wege grundlos, und die
Felder zu nass für den Pflug.
Ich lese Ihre Briefe ganz gut. Wen etwa ein Wort Anstand gibt
wird es mir durch den Sinn dess Satzes klar. Unter den
Umständen, wie Sie schreiben müssen, brächte ich nichts Ordentliches
zu stande. Ich könte überhaupt eine solche Cur [15] nicht aushalten.
Immer im Schnee! Meine Augen würden erblinden, und
keine Feder möchte ich mehr anrühren, und mein Denkvermögen
käme zum Stillstand. Nächsten Winter werden Sie sich den
doch eines warmen Bettes erfreuen. Es lebt auch hier eine
Frau, sie steht zwischen 90 und 100, und schläft auch den Winter
durch in offenem Raum. Auch sie war einst Lungen krank [16].
Eine andere Frau lebt in Keokuk [17], unsere nächste Stadt, die ist
schon über 100 Jahre alt, und noch nicht hilfs bedürftig.
Grüssen Sie mir die Fräulein Schauer [18]. Ich kenne zwar
nur die Bertha [Schauer] [19], aber die ist mir lieb und darum auch ihre Schwestern.
Ich wusste nichts von der Erkrankung der Ida [Schauer] [20], den Sie [21] allein
bekommen Briefe von mir, aber ich freue mich sehr über ihre [22]
Genesung und schnelles Erholen. Melden Sie allen Dreien
meine besten Wünsche. Ich lachte, als ich von Ihren
Besuchen im alten Arosa [23] las. Ich denke diese Stübchen mögen
ziemlich schwarz gewesen sein. Es ist eben ein Unterschied,
zwischen einem Alterthums Bewunderer, dem selbst ein 100 jähriges
Spinnengewebe ehrwürdig wäre, und einem Einwohner, dessen Augen
dess alten Ausblickes müde werden können.
Ich wundere mich, dass es in Arosa [24] so schwer ist ein Kirchlein
zu erbauen. Wenn auch die Eingesessenen wenig thun können,
so meinte ich, es wäre unter den vielen Curgästen [25] auch
Catholiken [26] mit reichen Mitteln, auch etwa wohlmeinende Protestanten [27],
die es leicht ermöglichen könten, selbst sich gedrängt fühlten,
da wo sie Gesundheit suchten und fanden, Gott zu Dank und Ehr
ein Opfer zu bringen. Vom 18t dess [Monats] komt die Kunde
von einem schrecklichen Erdbeben in St. Francisco, Californien [28].
Wir hofften, die Berichte seien übertrieben, doch dess andern Tages
wurden sie noch schrecklicher. Alle Wasserwerke zerstört. Feuer
überal und keine Möglichkeit ihm zu wehren. Mit Dinamit [29]
wurden viele Häuser Gevierte zerstört, um den Flammen
die Nahrung zu nehmen. Sie werden wohl längst davon
gelesen haben. Es lebt in Sant. Francisco [30] auch die Carlina Good [Maria Josefa Karolina Good [-Marxer]] [31]
/: der Mann war von Mels :/ mit 3 Söhnen, wovon 2 verheurathet sind.
Sie ist die Tochter meiner Schwester und dess einstigen Engelwirthes
[Andreas] Marxer [32] in Nendlen [33], und wurde im Kloster Zams, Tirol [34],
erzogen, ich glaube, sie war 11 Jahre dorten. Nachher einige [35]
einige Jahre bei der Tante Therese [36] [37] im rothen Haus, und kam
im Jahre 1868 zu mir nach Amerika [38]. Verheuratete sich da.
Vor etwa 10 Jahren folgte sie ihrem Mann nach St. Francisko [39]
und lebt seit 5 Jahren als Wittwe mit ihren Söhnen dorten.
Bis daher gieng es den Leuten gut, wie [40] und ob [41] sie über
dieses Unglück gekommen, ist mir noch unbekant.
Entschuldigen Sie meine langen Briefe, ich denke eben
Sie haben dorten Zeit und die nöthige Geduld.
Meine Schreibseligkeit gehört aber nur Ihnen, sonst
berühre ich nur das Nöthigste und diess auf kürzeste Weise.
Melden Sie meine herzlichsten Grüsse und besten Wünsche
in’s rothe Haus, und den Fräulein Schauer [42] und im
Löwen [43]. Sie aber sind mir wie eine Tochter.
A. Rheinberger [44]
Freunde und Freund [45]
Brauche nicht zu bangen
Hab Freunde die helfen
Sollt einmal nicht langen
Oder käme ich in Noth.
Manchen hört man so sprechen
Töricht rechnend auf Hilfe
Wenn Unglück, auch Leichtsin
Schaffet die Lage trostlos.
Keinen wüsst ich zu finden
Auch nicht mit der Laterne
Oft ich hört: Freund in der Noth
Nimts hundert auf Ein Loth.
Zu leicht die Waare mir schien
Wollt‘ sie lieber entbehren.
Ein Mädchen, in der Kirche es fand
Bot mir die Hand mir für’s Leben [46]
Wollte teilen mit mir
Was das Schicksal mocht geben.
Gattin und Freund mir war
Einzig und treu,
Ob Freud ob Leid
Zur Hand sie war
Drei und Fünfzig Jahr.
Mit Gott und ihr
Gieng ich durchs Leben
Nicht lange mehr traure ich
Bald ruft mein Schöpfer auch mich.
Sei, Vater' barmherzig mir
Immer vertraut ich auf Dich.