Handschriftliches Originalschreiben des Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois), an Emma Rheinberger, Vaduz [1]
09.04.1905, Nauvoo (Illinois)
Liebes, werthes Fräulein
Emma Rhbrgr. [2]
Dankend für Ihre Beileidskarte, fühle ich mich
aber ganz besonders verpflichtet Dank zu sagen für die
Zusendung dieser Blätter. Sie haben sich vielleicht
schwer davon getrennt, aber seien Sie versichert, dass [3]
ich diese Gabe zu schätzen weiss. Ich bewahre sie als
Beweis Ihrer innigen Theilnahme für mich, und
als eine überaus schöne Erinnerung an die verehrte
Verfasserin, Ihre in Gott ruhende Tante.
Johann [Rheinberger] starb from. Wenn ich in solcher Gesinnung
von hier gehen kann, werde ich ihn und meine anderen
lieben Vorangegangenen im Himmel finden. Alle
starben gut und Gott ergeben. Die Mamma [Margarethe Rheinberger [-Brasser]] empfing
nach öfterem Empfang die letzte heil. Communion [4] noch 2
Stunden vor ihrem Ende. Die Krankheit hatte sie in ihren
letzten Tagen entstellt, und es schmerzte mich, aber bald
nach ihrem Ende, wurde ihr Aussechen schön und jugendlich,
so, dass niemand eine 72 jährige Frau da vermutet hätte.
Oft noch küsste ich die kalte, schöne Form. [5]
Ich danke auch für Ihre frühere Zusendung und Brief.
Was mich besonders intressirte [6] war der Bericht Ihres
Herrn Bruders [Egon Rheinberger] über das Schloss Vaduz. Ich begreife wohl,
dass er von seinem Vorhaben, Gutenberg [7] in früherer Form
wieder aufzubauen, ganz eingenommen ist. Möge er es
glücklich und vortheilhaft zu Ende führen. Ich seche,
dass auch Sie den Schmerz über den Verlust Ihrer Eltern und
der Krankheit Ihrer unglücklichen Schwester [Hermine Rheinberger] noch nicht über-
wunden haben. Auch ich lache nicht mehr, aber ich bin
alt, an die Trübsale dieses Lebens gewöhnt, und mein Ende
nicht ferne; aber Ihr seid noch jung. Möge der liebe
Gott Euere Herzen erfüllen mit vollem Vertrauen auf
seine Güte und Weisheit, dass Ihr in dankbarer Erinnerung
an sein [8] Leiden für uns [9], ihm Euere Trübsale als
Dankopfer darbringen könnt.
Soeben erhalte ich Ihre theilnahmsvolle Zuschrift
und Ansicht von Vaduz und Umgebung. Danke dafür.
Ich erhielt vor etlichen Wochen diese neueste Photographie [10] [11]
von der Frau Rhbrgr. [12] [13] im Löwen mit freundlichem
Schreiben. Danken Sie ihr für mich für ihre Freundlichkeit.
Diese Ansicht ist sehr schön und vollkommen, und die
Meinen sagen: ach, wie schön! wen sie sie sechen.
Alle Drucksachen, die Sie mir zusandten, hat der Franz [Rheinberger] [14]
mit nach New-York genommen, aber er wird sie mir wieder zustellen.
Sie fragen nach meinem Befinden. - Es hat weche gethan!
Ich sass an seinem Bett bis er um ½ 4 Uhr Morgens verschied.
Legte meine Hand auf sein Herz und sagte den Anwesenden:
Danke alle Gott, es ist vorüber. Sein Todeskampf war lang und hart.
Nachdem wir noch gebetet, gieng ich heim, und wusste nicht
wie. Die Füsse thaten den Dienst aus Gewohnheit; legte mich
ein wenig nieder, stand auf und wusste nicht, was ich that.
So sinnlos habe ich mich niemals erhoben. Mein erster
Gang war wieder zu ihm, und da lag er, als ob er noch schliefe.
Gott sei Dank! Er wird ihm gnädig sein.
Später einmal will ich Ihnen die Photographien [15] meiner 3
gestorbenen Söhne [Josef Ferdinand Rheinberger, Johann Rheinberger, Carl Wilhelm Rheinberger] zusenden. Sie wünschen, dass mit dem
kommenden Frühjar Friede und Freude in mein Herz einkehre.
Den Frieden entbehre ich nicht. Jeden Abend danke ich Gott
für den Tag, und bitte ihn jeden Morgen um seine Hilfe für
den Anfangenen. Im Frieden bin ich mit allen Menschen. [16]
Die Freuden dieser Welt berühren mich nicht. Still und
einsam, immer beschäftiget und nur besorgt, dass meine Sachen
in Ordnung bleiben. Niemand soll mir nachsagen:
er hat zuletzt alles gehen und verlottern lassen.
Wir hatten einen schönen, sonnigen Herbst und
Vorwinter bis zum 11t. Januar [17]. Dan kam steigende Kälte.
Erst 0 Fahrenheit [18] = 15 Reaumur [19] unter 0. Dan 10 – 12 – 20
und am 9t. Februar [20] hatte ich 25 Grade unter 0 Fahrenheit [21]
während man aus der Nachbarschaft 30 meldete.
Das ist eine sehr grosse Kälte! Was die Reben angeht,
so ist der Hauptsatz /: und bei den meisten der Einzige :/
die Concord-Rebe [22], und die verfriert auch bei solcher Kälte
nicht, wen nicht nasses Wetter vorausgegangen. Ich habe
aber auch die Catawba [23], die Delaware [24] und die Göthe [25], weisse
oder fleischrote Trauben, und diese bedecke ich vor Winter.
Ich sende Ihnen ein Gemälde, welches den Auszug der Mormonen [26]
aus Nauvoo [27] im Jahr 1846 u. 1847 und die Reise durch unbekante
Gegenden nach dem Salzsee [28] darstellt, mit Tagebuch.
Von hier bis Councill Bluffs [29] rechnet man 187 Meilen,
da errichteten die Auszügler Winterquartiere, vertauschten
ihre Pferde gegen Ochsen, und zogen im folgenden Frühjahr [30]
[31] noch 1054 Meilen weiter, über sumpfige Gegenden,
endlose Ebenen, steile Höchen und Tiefen bis zum Salzsee.
Heute steht dort eine stolze Stadt, blüchende Ortschaften und
wohl bebautes Land. Sie nennen sich: die Heiligen der letzten
Tage, und nehmen an Zahl und Reichthum sehr zu.
Es wird sich wohl jemand finden, der Ihnen das Tagebuch,
übersetzt. Jemand sagte mir einmal, dass ein Sohn der
Lukretia Wolfinger [32] bei den Mormonen [33] sich befinde.
Haben Sie Dank für Ihre Freundlichkeit und all
Ihre Zusendungen. Ich möchte aber doch bitten für mich
keine Auslagen zu machen. Die Zeitung komt regelmässig.
Meine herzlichsten Grüsse und besten Wünsche für Sie und
Ihre lieben Geschwister. Gruss der Fräulein Bertha [Schauer] [34] und
Gruss und Dank der Frau Rhbrgr [35] im Löwen [36].
A. Rheinberger [37]