Katharina Hartmann an ihre Tante Balbina Gstöhl über ihre Arbeitsplätze bei „fremden Leuten“ sowie den Existenzkampf als Alleinstehende nach dem Tod ihrer Mutter Martina


Handschriftliches Originalschreiben der Katharina Hartmann, Ludesch (Vorarlberg), an ihre Tante Balbina (Marie Balbina Öhri [-Gstöhl]), Spencer (Nebraska) [1]

27.05.1930, Ludesch (Vorarlberg)

Liebe Tante!
Werte Verwandte!

Habe Euern Brief erhalten
wofür ich bestens danke.
Bin derzeit noch zu Hause aber
nur noch bis 1. Juni, dann gehe
ich wieder in Stellung, bleibe
aber in Ludesch.

War eine Zeit in Bludenz in
Stellung, hat mir aber nicht gefallen,
musste den ganzen Tag immer
putzen, es war nämlich in einer [2]
Wirtschaft und gewöhnlich ist man
nicht bezahlt danach.

Bei uns verdient ein Mädel
so 60 – 70 S [Schilling] im Monat, dann ist
sie aber gut bezahlt.

Ich fühl es erst jetzt was es heisst [3]
fremdes Brot essen, so lange meine
liebe Mutter [Martina Hartmann [-Gstöhl]] noch lebte konnte ich
ich wenigstens noch Heim gehen,
aber jetzt heisst es immer unter
fremden Leuten sein.

Was ich durch den Tod meiner
lieben unvergesslichen Mutter
verloren habe, kann sich kein Mensch
vorstellen. Wenn mein Vater [Johann Josef Hartmann] wäre
wie er sein sollte, so wäre ja auch [4]
alles anders, dann hätte ich wenigstens
noch einen Menschen dem man
klagen und reden könnte, aber
so habe ich niemanden mehr.
Liebe Tante würde mich herzlich
freuen Euch persönlich kennen
zu lernen, aber wie ich aus
Euerem Brief entnehme, könnt
Ihr Euch nicht entschliessen einmal
herauss zu kommen.

Möchte meine liebe Kosine [5]
bitten mir auch einmal zu schreiben.

Viele Grüsse an Euch Alle
von Euerer Nichte
und Kosine. [6]   

Bitte lasst auch wieder
was hören von Euch.

______________

[1] LI LA PA 016/3/12/01.
[2] Seitenwechsel.
[3] Ursprüngliche Fassung: „heiẞt“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[4] Seitenwechsel.
[5] Es handelt sich dabei wohl um Beatrice, die Tochter des Ulrich Öhri und der Marie Balbina Öhri [-Gstöhl].
[6] Seitenwechsel.