Handschriftliches Originalschreiben (Fragment) der Karolina Büchel [Karolina Büchel [-Hasler]], Gamprin, an Onkel Ulrich Öhri mit Familie, Spencer (Nebraska) [1]
03.04.1928, Gamprin
Lieber Ongel u. Familie
Schon letzten Sonntag hatte ich für
Euch einen Brief zusammen gepfuscht
und habe ihn heute wieder verworfen
denn gestern erhielten wir Euer
Wertvolles Packet. Ihr habt aber die
Hauptsache im Briefe verschwiegen
Das war eine Freude und einen
Jubel als so unverhoft alles mögliche
zum Vorschein kam, ein herzliches
„Vergelts Gott“ für alles. Ihr hattet
gewiss [2] grosse Auslagen und Mühen
damit, es hätte es gewiss mit weniger
schönen Sachen getan. Eueren Brief
erhielten wir schon vor 14 Tagen
zuerst wusste ich nicht wo ich fragen
sollte wegen einem Knecht denn
man kennt die Leute nicht und doch war [3]
mir daran gelegen etwas passendes
für Euch zu wählen musste mich zuerst
erkundigen und so gingen wenige Tage
vorbei bis ich Euch schreiben konnte.
Es kommt denn mit Silvan [4] ein
Sohn von Schmidulrichs Mina, Seppelis
sagt man ihnen. sie sind in dem
Haus von Ongel Andreas [Öhri]. Mein Mann [Andreas Büchel]
meint auch dass er wie geschaffen
sei für einen Farmer und dazu ist
er noch ein Ruggeller der Euch noch
manches Stündchen das Heimweh
verscheuchen kann. Ich denke jetzt
darf ich es unterlassen über die Über-
schwemmung [5] im Algemeinen zu schrei-
ben denn Ihr bekomt es bald münd-
lich zu hören. Es ist wieder alles daheim
in Ruggell, aber aus sehen tut es
schon schrecklich, auf den Anhöhen so
schön grün und in der Ebene alles wie
eine Sandwüste von Schaan bis an den Illspitz [6]
Schon zwei Turen hatten wir heftigen
Föhn, dann ist der ganze Eschnerberg mit
[7] einem Staubnebel [8] überzogen.
Bin gestern Abend vor lauter Schlaf
nicht mehr weiter gekommen machte
immer Böck und leeres Gekragsel, war die
Feder in der Hand eingeschlafen [9].
Habe gestern von Ruggell Bäume
holen müssen da ging ich einmal
als gradaus denn jetzt ist die Erde
wieder trocken erst wenn man über
die Wiesen hergeht sieht man dass alles
faul ist vom wiederausschlagen ist
keine Rede. In unserem Feld ist die
Hälfte unter Kies es wird nach und
nach mit Rollwagen weggeschaft aber
heuer ist noch nicht alles möglich und
dann müssen zuerst wieder die Gräben
geöfnet werden, vom Föhn wurden
die 3 [10] Gräben die geöfnet waren
wieder zugeweht in einem Tag wurde [11]
eine Arbeit die das Land 20‘000 Fr
gekostet habe wieder vernichtet, stand
am Dienstag in der Zeitung. [12] Viele
Leitungsstangen wurden abgebrochen
(Am Samstag Abend und Sonntag
Morgen hatten wir kein Licht) und
auch sonst ziemlich viele Dächer beschädigt
Mehr als 10 Jahre ging kein solcher Sturm
mehr.
Die Wuhre sind wieder ziemlich in der
Höhe und an dem Querdamm bei
der [Gampriner] Mühle wird auch mit Ernst
gearbeitet er dient dazu um
das Wasser vom Kanal in den
Rhein zuleiten, vielmehr könnte
man sagen den See zu stauen
Von Bendern bis zur Mühle in
Gamprin ist was Eben war alles
vernichtet und zu einem tiefen
See geworden. Das neue Rheinwuhr
steht mitten im Wasser, es muss
innen wie aussen gepflästert werden [13]
Als Vorgrund dienen Steinwalzen,
diese bestehen aus sehr starkem
Drahtgeflecht in das grosse Kieselsteine
gefült werden dann werden sie mit
starkem Draht zugenäht und im Wasser
versenckt so gegen den See auf der
inneren [14] Seite vom Wuhr wurden
solche Walzen eingegraben als das
Rheinbett noch trocken war diese
wurden auch immer ein Drahtge-
flecht an das andere genäht so gefüllt
und zugenäht sie sahen aus wie
eine riessige Wurst von Länge.
Das Wuhr bekommt am Fuss eine
Breite von 30 m und an der Krone
eine solche von 10 m. Auch der Damm
von der Mühle wird verstärkt bis
dort wo der Kanal in den Rhein
fliesst. Das Kies wird mittelst Roll-
bahn aus dem Gampriner Feld ge-
nommen [15]
Die Gampriner Mühle wurde vom
Land mit 30‘000 Franken ausgelöst.
Da sie keine Wasserkraft mehr
hat und sozusagen in See drinnen
steht muss sie abgebrochen werden.
In der Halde wurde ein grosser
Schuppen erbaut wo vorläufig
alles Mobillar aus der Mühle
aufbewahrt wird man gedenkt
mit der Zeit eine Elektrischemühle
zuerbauen. Die Auhäuser werden
nicht mehr erbaut alle bauen in
der Höhe wo sie Rheinsicher sind.
Gegen Bendern hinaus giebt es
eine neue Strasse durch die
Grossenbünd [16], Ihr könnte Euch doch
erinnern, wo meine Mutter ein
Stückland hatte das sie von daheim
bekommen. Wir haben es jetzt noch.
Nun Schluss von Gamprin muss Euch
auch noch was von Ruggel erzählen! [17]
Also aufgepasst!
Vor etwa einem Monat war ich in
Ruggel drunten bei Schmidulrichs [18], Mamas
Taufpatin musste ich Pflicht schuldig
nach dieser Katastrofe einen Besuch
machen. Wir redeten Natürlich von
dem ersten Schrecken alls sie noch
in den Häusern waren, sie konnten
nicht genug erzählen wie das Unheim-
lich gewesen sei, das eine sei da das
andere dort gewesen ja auf den
Heustock hinauf seien sie gehockt.
Dann seien sie wieder auf den
Estrich hinauf von da wollten sie
den Nachbaren zurufen sie haben
sich heisser geschriehen und einander
doch nicht verstanden vor lauter
Rauschen sagten sie, vom Essen sei
ihnen nichts in den Sinn gekommen
numa Kaffee heien sie schlucken
können vor Angst denn sie hätten
gemeint jetzt und dann näms alls
fort. [19]
Ihr Sohn Alois [Büchel] u. dessen Frau [Maria Büchel [-Kind]] waren in
jener Nacht samt einem Sohn und
einer Tochter mit Tante Kresenz [Crescentia Marxer [-Öhri]] zu
uns heraufgekommen. Der Tante
gieng es bei uns zu lebhaft zu unter
soviel Kinder aber Alois und seine
Frau blieben 3 Monat bei uns, sie
waren sehr lieb mit den Kleinen
noch jetzt haben sie eine grosse Freude
wenn sie zu Ihnen hinunter dürfen
auch sie kommen oft herauf.
Der Tante ginge es auch schlecht sie hatte
auch noch alles Obst die Erdäpfel und
alles draussen wie wir sie pflanzt ja
schon lang nicht soviel wie wir müssen
aber doch für sich genug. Seit letzten
Sommer ist sie über mich einwenig
bös, ich war Ihr drauf gekommen
dass sie irgend etwas an Tante Lena [Magdalena Connot [-Öhri]]
geschrieben das sie mir aber durchaus
nicht sagte. Sie wollte meinen Mann einen Brief [20]
______________
[1] LI LA PA 016/3/05/03.
[2] Ursprüngliche Fassung: „daẞ“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[3] Seitenwechsel.
[4] Möglicherweise Silvan Heeb.
[5] Rheinüberschwemmung vom 25.9. 1927.
[6] Seitenwechsel.
[7] Durchstreichung.
[8] Unterstrichen.
[9] Unterstrichen.
[10] Unsichere Lesung.
[11] Seitenwechsel.
[12] Vgl. L.Vo., Nr. 40, 3.4.1928, S. 1 („Schaan“).
[13] Seitenwechsel.
[14] Durchstreichung.
[15] Seitenwechsel.
[16] Grossabünt: Wiesen, Häuser und Strasse in Gamprin, südlich der Mölegass, westlich unter der Stelza. Vgl. Hans Stricker, Liechtensteiner Namenbuch, Bd. 4, S. 62.
[17] Seitenwechsel.
[18] Zur Familie „Schmed Ulis“ (Büchel) vgl. Georg Spalt, Stammtafeln Ruggell, S. 54-55.
[19] Seitenwechsel.
[20] Seitenwechsel. Der Brief bricht hier ab.