Arthur Wanger an seine Verwandten über die Schiffspassage von Triest über Neapel nach Buenos Aires


Handschriftliches Schreiben von Arthur Wanger an seine Familie in Schaan, in Kopie [1]

23.07.1920, o.O.

Meine Lieben!

Seit Dienstag den 20. schwim
men wir nun auf der schönen
Adria. Heute den 23. fahren
wir ganz unten um den
Stiefel herum, bis Mittag
werden wir wahrscheinlich
die Strasse [2] von Messina passieren
u. morgen werden wir
Neapel erreichen, dort bleiben
wir 2 – 3 Tage [3] um [4]
frische Kohlen zu fassen u. dann
geht’s weiter. Bis jetzt gings aus-
gezeichnet, die See ist sehr ruhig
nur am Mittwoch wars ein
wenig kitzlig, wir hatten
ziemlich Seegang [5], da haben
sehr viele über Bord gebrochen.
Auch unser Fränzchen [6] hätt es bald
gehabt, er sass ganz bleich u. stum
in einer Ecke ohne ein Wort
zu sprechen, am Nachmittag hat
es dann wieder nach gelassen u.
so ist er noch gut davon gekommen.
Uns andern hats bis jetzt noch
nichts gemacht, aber wird [7]
schon noch kommen. Das verfluchte
Schaukeln [8], das Schiff
wiegt beim Seegang nämlich
ganz langsam u. kaum merk-
lich auf u. nieder u. hin u. her
u. das ist viel ärger als wenn es
ganz unruhig wäre. Bei ruhiger
See hingegen gehts so sanft u.
ruhig dahin dass man überhaupt
nicht das geringste spürt. Wir schlafen
alle fünf [9] (der [Dominik] Kaiser ist in Triest ge-
blieben um auf seine Frau [Alice Kaiser [-Beck]] zu warten)
mit ein par andern Deutschen
ganz unten bereitsdem Wasser
eben. Dort sind zwei Lager über-
einander, der Rudolf und ich schlafen [10]
neben einander oben. Da haben wirs ganz
schön. Morgens um 6 oder halb 7 stehen wir
auf, dann um ½ 8 Uhr giebts das Frühstück,
Tee [11] genug [12] u. ausgezeichneten Schwarztee
u. feines schneeweises Brot. Um halb 11 Uhr
ist Mittagessen, eine ganz dicke Suppe und
Reis und Fleischsosse, dann noch irgend etwas
anderes Magronen u.s.w. dazu so viel
wir mögen u. dann noch einen Becher Wein.
Am Abend giebts auch wieder so ähnlich Fleisch
u. Magronen genug u. wieder einen
Becher Wein. Ihr seht also, zu essen haben
wir in Hülle u. Fülle, manchmal bekommen
wir noch Brot von den Matrosen, diese werfen
es sonst doch nur über Bord, ganze Weggen.
Tags über können wir auf dem ganzen Schiff
herum, da wird musiziert u. getanzt auf
Deck wie in einem Tanzsaal. Um 8 Uhr müssen
alle Frauen verschwinden. Wir schlafen getrennt.
Die Frauen schlafen hinten auf dem Schiff u.
die Männer vorne. Da kommt immer ein
Matrose u. schreit: Die Frauen müssen
jetzt zu Hause gehen! – [13]
Wir Männer können bleiben wo [14] es
[15] uns gefällt, wir müssen nicht einmal
in die Kajüten hinunter wenn wir nicht
wollten. (Ich habe schon einmal zu oberst
droben auf dem Deck geschlafen. Ihr seht also dass
wir hier leben wie Gott in Frankreich, wenn
es uns nur immer so gehen wird. Am
Mittwoch war Kontrolle, da mussten alle
Waffen abgegeben werden. Wir haben
die unseren auch abgegeben u. bekömmen
sie erst in ( Buenos-Aires wieder.
Das geschieht nämlich damit [16] es
keine Meutereien giebt, sie haben ja
auch recht. Wenn ich gewusst hätte, dass
wir bei der italienischen Grenze so gut
durchschlüpfen würden, hätte ich dem Julius
das Gewehr abgekauft. Uns hat man näm-
lich nicht einmal in einen Koffer hinein
geschaut. Wir haben auf unserer Reise
schon wieder viel erfahren über Argentinien,
denn es fahren sehr viele Deutsche u. Österreicher
mit u. viele davon waren schon drin einige
Jahre. Und alle freuen sich schon wieder darauf
hinein zu können. Einige Deutsche sind hier,
darunter mehr Frauen als Männer, die wollen [17]
drinnen Schafe züchten. Den gleichen Plan, [18]
den wir zuerst gehabt haben. Unter den
Deutschen sind wir schon mit einigen
bekannt, z.B. mit einem alten Mann
der mit seiner Frau die ebenfalls etwa
52 – 53 Jahre zählt u. mit dem Sohn nach
Argentinien fährt. Die waren auch lange drin
es sind sehr nette einfache Leute, u. so
haben es wir sehr gemütlich. Ich sitze hier
auf Deck an einem Tisch im weissen Kleide
u. Sandalen, die ich mir in Triest gekauft
habe. u. neben mir liegt mein
Pfeifchen, auf der andern Seite sitzt der
Rudolf in seinem Malerkostüm u. schreibt
auch auf Mord und Brand. Wenn wir nichts
mehr wissen schauen wir [19] nur
wieder hinaus ins rauschende Meer.

Muss nun schliessen.
Seit alle aufs herzl. gegrüsst
von Eurem

Arthur

Wenn wir in Neapel sind
werde ich Euch eine
Ansicht schicken, falls wir
an Land dürfen.      

______________

[1] LI LA SgDok 030/47.
[2] Ursprüngliche Fassung: „Straẞe“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[3] Es folgt durchgestrichen: „bleiben“.
[4] Seitenwechsel.    
[5] Es folgt ein durchgestrichenes Wort.
[6] Nicht identifiziert.
[7] Seitenwechsel.
[8] Es folgen durchgestrichene Wörter.
[9] Neben Arthur Wanger Rudolf JehleOskar Seger und Arthur Wolfinger. Vgl. Fussnote 6.
[10] Seitenwechsel.
[11] Es folgt ein durchgestrichenes Wort.
[12] Es folgt ein durchgestrichenes Wort.
[13] Seitenwechsel.
[14] Es folgt ein durchgestrichenes Wort.
[15] Es folgt ein durchgestrichenes Wort.
[16] Es folgt ein durchgestrichenes Wort.
[17] Seitenwechsel.
[18] Es folgt ein durchgestrichenes Wort.
[19] Es folgt ein durchgestrichenes Wort.