Das Liechtensteiner Volksblatt berichtet über die Ablehnung des Frauenstimmrechts in Basel und Zürich


Zeitungsbericht, nicht gez. [1]

18.201920

Das Fiasko des Frauenstimmrechts in der Schweiz.

Das Frauenstimmrecht hat am vorletzten Sonntag ein gründliches Fiasko erlitten. Mit ganz bedeutender Mehrheit hat der Basler Souverän und mit Vierfünftelmehrheit diejenige des Kantons Zürich eine von sozialistischer Seite ausgegangene Initiative auf Einführung des Frauenstimmrechtes, beziehungsweise politischer Gleichstellung der beiden Geschlechter abgelehnt. Schon vor einem Jahre hatte ein Kanton Gelegenheit, über die Einführung des Frauenstimmrechtes zu entscheiden; es war der Kanton Neuenburg. Der Entscheid fiel auch hier negativ aus. Freilich, so niederschmetternd war er für die Bestrebungen der Frauenrechtlerinnen nicht wie im Kanton Zürich, wo sich nur etwas zu 21‘000 Stimmfähige fanden, dieses modernste aller politischen Postulate zu verwirklichen, während es über 88‘000 mit Entschiedenheit ablehnten. Man sieht, eine so gründliche Umgestaltung des gesamten politischen Lebens erfordert doch mehr Zeit, als es sich die Freunde der Gleichstellung der Geschlechter vorstellten. Sie bildeten sich ein, die paar Kriegsjahre mit ihren Erfahrungen hätten vollständig genügt, um der Einführung des Frauenstimmrechtes in unserem Lande den Boden zu ebnen. Das war ein Irrtum. So schnell vollzieht sich der Wandel in der Auffassung politischer Grundfragen denn doch nicht. So manches ja aus Rand und Band geraten zu sein scheint, so sehr muss doch gerade in der Demokratie immer wieder auf eine gewisse Stetigkeit und Gesetzmässigkeit der Entwicklung hingewiesen werden, die allzu grosse Sprünge nicht gestatten. Keine Partei, weder in Basel noch in Zürich, ist am Sonntag geschlossen für das Frauenstimmrecht eingetreten; bei allen machten sich gleicherweise Bedenken geltend. Auf bürgerlicher Seite dürfte wohl die immer noch nicht zu überwindende Abneigung vor der politischen Frau das Hauptmotiv für die Verwerfung des Frauenstimmrechtes abgegeben haben. Die politische Frau! Man stellt sie der Hausfrau und ihren häuslichen Tugenden gegenüber und findet, der Eintausch der politischen gegen die Hausfrau wäre für den Staat und das Volk ein schlechtes politisches Geschäft. So urteilt noch die überwiegende Mehrheit der bürgerlich gesinnten Stimmfähigen, und wer will sie deswegen schelten? Viele Sozialisten lehnen das Frauenstimmrecht aus anderen Erwägungen ab, und auch sie kann man dieserhalb nicht tadeln. Sie haben herausgefunden, blass die Frauen in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht umstürzlerisch gesinnt sind und daher als staatserhaltende Elemente eher konservativ stimmen. Von dieser Seite haben die Sozialisten, soweit sie auf den politischen und wirtschaftlichen Umschwung hinarbeiten, somit wenig Unterstützung zu erwarten. Die Frauen bleiben in den Geleisen von Gesetze und Recht, und das Frauenstimmrecht muss daher die von den Sozialisten gewollte Entwicklung verzögern. Der Schluss ist durchaus logisch, und so ist es nicht verwunderlich, dass gerade sie, die sich sonst so gerne als die Verfechter der Gleichstellung der Geschlechter aufspielen, am Sonntag so vollständig versagten. Die Frauenrechtlerinnen haben heute allen Grund mit den Herren Genossen unzufrieden zu sein.

Nach diesen in drei Kantonen mit dem Versuch, das Frauenstimmrecht einzuführen, gemachten schlechten Erfahrungen kann natürlich gar keine Rede sein, in der nächsten Zeit das ganze Schweizervolk mit dieser Angelegenheit: zu behelligen. Das Fiasko des Frauenstimmrechts müsste ein noch viel grösseres sein. Denn wenn Städte, wie Basel und Zürich, bei dem Versuche der politischen Gleichstellung der Geschlechter so vollkommen versagen, wie müsste das Resultat erst ausfallen in den Landkantonen mit zum grössten Teil bäuerlicher Bevölkerung!! Jene Frauen, welche nach dem Stimmrecht verlangen, werden gut tun, nichts zu überstürzen. Der letzte Sonntag hat ihnen eine grosse Enttäuschung bereitet; klugerweise werden sie daraus ihre Lehre ziehen!

Es dürfte unsere Leser noch einige Pressestimmen über das Fiasko des Frauenstimmrechts interessieren. Die „N. Z. Z." schreibt:

„Die Schlacht ist aus, die Freunde des! integralen Stimmrechts sind aufs Haupt geschlagen! Doch nicht die Sache. Sie musste leiden in den Händen einer Partei, die sich zur Moskauer Internationale bekennt, die bereit ist, das allgemeine Stimmrecht zu beseitigen, mitsamt dem Volksstaat, sobald sich eine Gelegenheit hiezu bietet, um den blutigen Terror der Klassenherrschaft beginnen zu lassen. Angesichts dieser Gefolgschaft hat gar mancher, der dem Prinzip des Frauenstimmrechtes wohlwolle, ihm am vorletzten Sonntag sein Votum versagt. Er hielt sich für gezwungen, über jenes Prinzip der politischen Gleichstellung der Geschlechter die Aufgabe der Erhaltung unsere Demokratie zu stellen: das Abstimmungsresultat vom 8. Februar ist denn auch die denkbar deutlichste Kundgebung des Zürchervolkes, in der zugleich auch eine Warnung liegt .an die Adresse der auf die Zerrüttung und Zerstörung gerichteten ultrasozialistischen Tendenzen. Das Zürcher Volk hat am 8. Februar bekunden wollen, dass es fest erschüttert zu seinem Volksstaat steht.

Dieser besondere Charakter der Ablehnung mag die bürgerlichen Freunde des integralen Frauenstimmrechtes ermuntern, ihre Arbeit weiter zu verfolgen. Sie werden sich allerdings darüber nicht täuschen, dass andere Wege eingeschlagen werden müssen. Die unzeitgemässe Initiative Lang hat die Sache des Frauenstimmrechts um allzuviel günstigen Boden gebracht, als dass die Freunde des partiellen und die des integralen Frauenstimmrechtes länger getrennte Wege wandeln dürften. Es gilt, bescheiden anzufangen und langsam wieder aufzubauen, was am 8. Februar wieder niedergeschmettert worden ist. Man wird das auch auf Frauenseite begreifen müssen.

Nun haben nacheinander Neuenburg, Zürich und Basel das Frauenstimmrecht abgelehnt. Die Liste mag genügen. Die Freunde der politischen Gleichstellung der Geschlechter in der ganzen Schweiz müssen sich sagen, dass ihre Sache in den zweiten Rang gestellt worden ist durch die Aufgabe, der das Schweizervolk seine ganze Kraft widmen will: der Aufrechterhaltung unserer Demokratie. Das ist aber auch allein der Boden, woraus das Frauenstimmrecht erwachsen wird."

„Zürcher Post" urteilt wie folgt:

„Die Initiative Lang für Einführung des Frauenstimmrechts ist mit einer Wucht abgelehnt worden, die bei Freunden und Gegnern des Frauenstimmrechts überrascht. Den rund 21‘000 Stimmen für das volle Stimmrecht der Frau stehen rund 88‘000 Stimmen gegenüber, die sich gegen das Frauenstimmrecht und im besondern gegen die von der Initiative Lang vorgeschlagene Form seiner Durchführung aussprechen — darin liegt ein derart klares Volksverdikt, dass seine Bedeutung niemand verkennen kann. Noch auffälliger ist das Abstimmungsresultat, wenn man sich vor Augen hält, dass von den 21‘000 annehmenden Stimmen über 16‘000 aus den beiden Stadtbezirken Zürich und Winterthur gestellt worden sind; in den Landbezirken ist das Frauenstimmrecht mit geradezu vernichtenden Zahlen abgelehnt worden. Wenn man sieht, dass beispielsweise im Bezirk Meilen den 4‘708 ablehnenden Stimmen nur 486 annehmenden gegenüberstehen, wenn im industriereichen Seebezirk Horgen 7‘619 verneinende Stimmen gegen nur 1‘573 Ja abgegeben worden sind, und wenn man in Betracht zieht, dass auch in der Stadt Zürich selbst 27‘981 Stimmen gegen und nur 10‘663 Stimmen für das Frauenstimmrecht abgegeben wurden, so sind das Zahlen, die jeden Kommentar überflüssig machen. Das politische Frauenstimmrecht hat im Kanton Zürich eine Niederlage erlitten, von der es sich in absehbarer Zeit nicht mehr wird erholen können. Die Gründe hiefür liegen natürlich bei einem ganzen Komplex von verschiedenartigen Faktoren: zu den grundsätzlichen Gegnern des Frauenstimmrechts, zu denen wohl der übergrosse Teil des Landvolkes gehört, kamen jene, die den etappenmässigen Vorschlag der Regierung dem Vorschlag der Initiative Lang, die nach der Parole „alles oder nichts" vorging, vorzogen; man wird auch daran denken müssen, dass viele Bürgerliche bei der Einführung des Frauenstimmrechts ein starkes Anschwellen der sozialdemokratischen Stimmen befürchten, während bemerkenswerterweise gerade in Arbeiterkreisen die Meinung nicht selten zu hören war, dass das Frauenstimmrecht konservativ wirke und daher für die parteipolitischen Geschäfte der sozialdemokratischen Partei nicht zweckdienlich sei. Jedenfalls hat diese Unsicherheit über die Wirkungen des Frauenstimmrechts viele zum Gegner gemacht. Dann ist auch festzustellen, dass ausserordentlich heftig und zum Teil in wenig zarter Art gegen das Frauenstimmrecht gekämpft wurde, wobei billige Schlagwörter eine wesentliche Rolle spielten, während die Agitation für die Initiative recht zahm auftrat. Im ganzen war jedoch das Empfinden des Volkes massgebend, das die Frau in der Familie und nicht in der Politik haben will."

Die „Thurgauer Zeitung" endlich bemerkt zu den beiden Ergebnissen u. a.:

„Nach den beiden Abstimmungen wird man nun in den kleinen Kreisen, die in der Schweiz den Boden für das Frauenstimmrecht ebnen möchten, eines gelernt haben: Es ist noch ein, sehr, sehr langer Weg zurückzulegen, bis man in der Schweiz daran denken darf, die Frage des Frauenstimmrechts vor das ganze Volk zu bringen. Denn ausserhalb der grossen Städte ist die Volksstimmung noch geschlossener gegen die politische Betätigung der Frauen, und eine Abstimmung in der Eidgenossenschaft würde, wenn möglich, noch niederschmetternder an den Tag bringen, dass die Idee keinen Boden hat in unserem Lande. Man darf sogar weitergehen und sagen, dass eine Abstimmung unter den Schweizerfrauen selbst zu keinem andern Resultate führen würde."

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[1] L.Vo. 18.2.1920, S. 1 f.