Zeitungsartikel, nicht gez. [1]
20.8.1924
Praktische Arbeit in der Schule.
(a) In Nr. 62 der „O. N " tritt ein Einsender für „praktische Arbeit in der Schule" ein. So weit dies bei der für jeden Beruf nötigen Allgemeinbildung möglich, ist, muss man dem Herrn Einsender recht geben. Dieser Grundsatz soll eine Schule überhaupt beleben, will sie dem Geiste des Kindes gerecht werden und für das Leben Nachhaltiges schaffen.
Der Herr Artikler stellt dann aber de Behauptung auf, dass man heute nicht mehr so gut schreiben und rechnen lerne wie früher. Man muss fast Gott danken, dass man noch Rechen-, Aussatz- und Diktathefte aus früheren Jahrzehnten hat, die solche Einwände leicht widerlegen. Ferner hat sich die Volksschule dieses Jahrhunderts ihrer wirklichen Aufgabe besonnen, dass sie nämlich Pflichtschule ist, also einem geistig normalen Menschen wenigstens ein geringes Mass von Kenntnissen und Fertigkeiten beibringen muss. Kam es nicht früher vor, dass solche die Schule verliessen, die kaum ihren Namen schreiben konnten? Man hat sie einfach nicht zu vollwertigen Menschen gezählt und nach wenigen Versuchen ihrem Schicksal überlassen. Aber wir sind selbstverständlich geneigt, von uns selbst und besonders von unserer Jugendzeit mit grösseren Strichen zu malen, als Wirklichkeit war.
Ferner behauptet der Einsender, in unseren Schulen lerne man überhaupt nicht so rechnen und schreiben, wie in ausländischen Schulen. Ich habe selbst von Professoren des Auslandes das Zeugnis gehört, dass die Schüler Liechtensteins leicht in die Hand zu nehmen seien, eben wegen ihrer guten Vorbildung. Ich erfuhr noch nie, dass ein einigermassen williger und fähiger Liechtensteiner mit Schülern des Auslandes nicht zu konkurrieren vermocht hätte. Nicht zu vergessen aber bitte ich, dass bei uns un- und wenigergeteilte Schulen bestehen und die Gelegenheit einer Realschulbildung zum Teil mangelt, zum Teil Gelegenheiten zum Besuche dieser Anstalten mangelhaft benutzt werden.
Mit seiner Begutachtung unseres Lehrplanes verrät der Herr Einsender den Nicht-Schulmann und den Nicht-Erzieher. Freilich haben wir schöne Fächertitel, deren Ausführungen sich aber nur mit einem Wuste von Vergeudung von Lehrkraft in den jungen Gehirnen festsetzt — und leider vielfach zum Wiedervergessen.
Über diesen Lehrplan soll nun der Landesschulrat ein wachsames Auge halten und unnachsichtlich verlangen, dass danach gelebt wird. Wenn Ausnahmen in falscher und nicht zureichender Behandlung des Lehrstoffes der Volksschule vorkommen, wie sie der Einsender rügt, so ist es am Platze, dass getadelt wird. Aber die strenge Durchführung eines Lehrplanes verlangen, der aus einer Zeit stammt, in der Systematik als das einzige Rettungsmittel in der Schule angesehen wurde und die Wissenschaft ihren Niederschlag auch im Lehrplan der Volksschule nicht vermeiden zu können glaubte, das hiesse ein ganzes Zeitalter Lügen strafen. Was diese „wissenschaftliche Schule" aller Länder nicht zu leisten vermochte, hat uns der Krieg bewiesen. Die Lehrerschaft ist sich schon längst bewusst, dass eine teilweise Vereinfachung und ein Ausbau in mehr praktischer Richtung nötig sei und hat auch schon grössere Vorarbeiten getroffen. Zum Schaden der Schule wurde seit etwa zwei Jahren nicht mehr viel am neuen Lehrplane gearbeitet, weil die Lehrer ihre zu solchen Arbeiten zur Verfügung stehende Zeit den Brotsorgen zuzuwenden haben.
Den Unterricht in der Staatsbürgerkunde, der seinerzeit von Herrn Dr. Beck im Landtage angeregt worden war, möchte der Einsender ebenfalls gepflegt wissen. Die grössten Methodiker und Didaktiker des Auslandes verwerfen diesen Unterrichtszweig für die Oberklassen der Volksschule gänzlich. Und man muss sich wirklich sagen, dass zur Trockenheit und Sprödigkeit des Stoffes eine 13- oder 14jährige Knabenseele wenig passt. Nichtsdestoweniger wäre ich für eine staatsbürgerliche Erziehung schon in den Oberklassen der Volksschule. Ein systematisches Einführen in die Gesetzeskunde aber wird immer ein Fiasko erleben. Staatsbürgerkunde als Unterrichtsfach gehört höchstens in die Fortbildungsschule.
Dem Einsender diene zur Kenntnis, dass in der amtlichen Konferenz vom 13. Dezember 1923 drei Lehrer bestimmt wurden, bis zur nächsten amtlichen Konferenz Richtung gebende Vorschläge zur Erteilung der Staatsbürgerkunde zu machen.
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[1] L.Vo. 20.8.1924, S. 1.