Die Zeitung "Der Bund" berichtet über die Hintergründe der Landtagsauflösung 1926


Zeitungsbericht, gez. gg. [1]

17.3.1926

Die Auflösung des Liechtensteiner Landtags

gg. Vaduz, 17. d. Das kleine Fürstentum Liechtenstein hat seine Parlamentskrise. Der im Januar 1926 neugewählte Landtag ist infolge fortdauernder Abstinenz der Opposition bei der Regierungsratswahl verhindert, die Regierung neu zu bilden. Die Neuwahlen hatten der Regierungspartei (demokratische Volkspartei) 9 Stimmen – alle aus dem Oberlande – und der Oppositionspartei (christlichsoziale Bürgerpartei) 6 Stimmen – alle aus dem Unterland – gebracht. Die Geschäftsordnung des Landtages bestimmt aber, dass zur gültigen Beschlussfassung zwei Drittel der Landtagsabgeordneten anwesend sein müssen. Schon gleich nach den Wahlen wurden Vermittlungsverhandlungen anberaumt, die den Zweck hatten, die Ämter und Würden nach einem gerechten Schlüssel unter beiden Parteien zu verteilen. Die Mehrheitspartei würdigte dieses Verlangen und verlangte lediglich für den Regierungsratssessel der Opposition eine andere Kandidatur. Die Minderheit hatte hierfür unbegreiflicherweise für das Unterland den in Vaduz wohnhaften und im oberländischen Wahlkreis im Januar auf der Strecke gebliebenen Rechtsanwalt Dr. Ludwig Marxer portiert. Hiergegen wendete die Mehrheit ein, dass sie nicht einem Vertreter die Stimme geben könne, der vom Volk abgelehnt sei und der mit seinen 28 Jahren auch nicht jene Erfahrungen besitzen könne, die das Regierungsratsamt notwendig erfordert. Immerhin erklärte die Mehrheit, einem andern Kandidaten zuzustimmen. Diese Bereitwilligkeit wurde aber in den Wind geschlagen und die Minderheit beharrte auf ihrer Kandidatur und verliess bei jeder Sitzung (es waren deren 4) den Saal, sobald die Regierungsratswahl zur Sprache kam. Die Abstinenz verhinderte so die Regierungsbildung und die nach den bestehenden Gesetzen noch amtierende Regierung (der Regierungschef wird jeweils auf 6 Jahre gewählt und seine Amtsdauer läuft erst in zwei Jahren ab) sah sich veranlasst, in dieser heiklen Situation das einzig mögliche zu tun: Vom Fürsten die Vollmacht zur Auflösung des Parlaments zu erwirken. Nachdem dann auch in der heutigen Sitzung wieder keine Einigung erzielt werden konnte, machte Regierungschef Dr. Schädler von seiner Vollmacht Gebrauch und löste den Landtag auf, nicht ohne vorher noch dem Hause Gelegenheit zu bieten, seine verfassungsmässige Pflicht der Landesausschusswahl zu erfüllen. Aber auch hierin war das Parlament behindert, weil die Minderheit diese Bestimmung der Verfassung sabotierte und den Saal verliess.

Gleichzeitig mit der Landtagsauflösung sind nun auch Neuwahlen für den Landtag ausgeschrieben, die jedenfalls über Ostern stattfinden werden. Aus Liechtenstein sind sehr viele stimmfähige Bauhandwerker auswärts beschäftigt und diesen wird durch die Wahlen an Ostern Gelegenheit geboten, ihr Bürgerrecht auszuüben. Man nimmt allgemein an, dass die derzeitige Regierungspartei bei den Neuwahlen ihren jetzigen Bestand mindestens wahrt.

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[1] Der Bund 21.3.1926 (LI LA SgZs 1926).