Ein St. Galler Politiker kommentiert in den Neuen Zürcher Nachrichten die Landtagswahlen 1926 in Liechtenstein


Zeitungsbericht, nicht gez. [1]

26.03.1926

Die Vorgänge im Fürstentum Liechtenstein

(Von einem st. gallischen Politiker)

St. Gallen, 25. März

Die politischen Vorgänge im benachbarten Fürstentum Liechtenstein ziehen nachgerade auch die Aufmerksamkeit von uns Schweizern auf sich. Namentlich haben wir St. Galler als direkte Nachbaren der Liechtensteiner alle Veranlassung, die gegenwärtigen Zustände im kleinen Fürstentum am Rhein nicht ganz ausser Acht zu lassen. Wir Schweizer leben in herzlicher Freundschaft mit den Liechtensteinern, mit denen wir in Wirtschaftsunion stehen, und wir möchten darum auch wünschen, dass die politischen Zustände daselbst friedliche und erspriessliche seien.

Leider ist das nun aber seit einigen Jahren nicht mehr der Fall. Die Dinge sind sogar soweit gediehen, dass man um die Zukunft des schönen Ländchens ernstliche Befürchtungen hegen muss, wenn die politische Leidenschaftlichkeit in bisheriger Weise weitergeht. Die Sache hat einen gewissen Höhepunkt erreicht oder sogar überschritten und es sollte ernstlich an Abbau gedacht werden.

Des kleine Land Liechtenstein ist ganz katholisch. Die zwei Parteien des Ländchens, die Volkspartei und die Bürgerpartei, sind daher keine Weltanschauungsparteien, da beide sich aus Katholiken rekrutieren und durchaus auf katholischem Boden stehen wollen. Dabei wird es zutreffen, dass um die Volkspartei sich mehr die Linkselemente gruppieren, während die Bürgerpartei die Rechtselemente des Volkes in sich schliesst.

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, uns als Schweizer in die innere Politik des Landes Liechtenstein einzumischen. Die einzelnen Fragen der Landesverwaltung berühren uns nicht. Wir hatten bis jetzt eine gewisse Vorliebe für die Volkspartei deswegen, weil diese Partei, die in den letzten Jahren herrschend war, sich als schweizerfreundlich und uns wohlgesinnt erwies. Damit soll nicht gesagt sein, dass die Bürgerpartei nicht ebenso schweizerfreundlich sei, nur hat sich dies in den letzten Jahren weniger zeigen können, weil die Partei eben nicht am Ruder war.

Nun haben sich in Liechtenstein die politischen Gegensätze seit den letzten Landtagswahlen im Januar d. J. arg verschärft. Bei jenen Wahlen zeigte es sich, dass beide Parteien ziemlich genau gleich stark sind. Im Unterland ist die Bürgerpartei etwas stärker, im Oberland die Volkspartei. In beiden Wahlkreisen wird ausschliesslich gewählt und den starken Minderheiten gar keine Vertretung gewährt. Dieser vorsündflutliche Zustand sollte verschwinden durch Einführung der gesetzlichen Proportionalität. Unseres Wissens wäre die Bürgerpartei hiezu bereit, während die Volkspartei sich merkwürdigerweise gegen den Proporz sträubt, weil sie eben die ausschliessliche Herrschaft im Ländchen behalten will. Das ist nicht demokratisch und nicht politisch klug. Hier sollte die Volkspartei nachgeben. Wer bei den zugespitzten politischen Verhältnissen im Fürstentum Liechtenstein heute noch gegen die gesetzliche Proportionalität auftritt, der versündigt sich gegen die Interessen des Landes. Wir haben es seinerzeit auch in der Schweiz und zwar im Kanton Tessin erfahren, dass bei solchen Verhältnissen nur der gesetzliche Proporz Besserung bringen kann. Die Volkspartei, die eine demokratische Partei sein will, sollte sich dieser Einsicht nicht länger verschliessen.

Einen Fehler hat sodann die Volkspartei auch begangen bei den Regierungsratswahlen. Wahlbehörde ist der Landtag. Nun haben die Angehörigen der Bürgerpartei ohne weiteres eingewilligt, dass zwei Mitglieder der dreigliederigen Regierung der Volkspartei entnommen werden, nämlich der Regierungschef und ein weiteres Mitglied. Da war es doch gegeben, dass das dritte Mitglied der gleich starken Bürgerpartei verblieb und zwar stand auch das Vorschlagsrecht einzig und allein bei der Bürgerpartei. Das allein war demokratisch und freiheitlich. Indem die Volkspartei ihre Mehrheit dahin ausnützte, der Bürgerpartei eine Vertretung in der Regierung zu verweigern bezw. indem die Bürgerpartei um ihr Selbstbestimmungsrecht gebracht werden sollte, hat sich die Volkspartei wiederum gegen die Gebote der Demokratie versündigt. Will man Friede und Eintracht im Lande Liechtenstein, so muss die Volkspartei auf den überlebten Standpunkt verzichten, der Bürgerpartei ihren einzigen Vertreter in der Regierung nach eigenem Ermessen vorschreiben zu wollen. Ein solcher Zustand ist nicht demokratisch.

Geradezu unbegreiflich ist es nun aber, dass die herrschende Volkspartei die überstürzten Neuwahlen des Landtages auf die Karwoche bezw. auf den Ostermontag festgesetzt hat. In der ganzen christlichen Welt gilt die Karwoche als die „stille Woche“, in welche man keine politisch aufregenden Wahlen verlegt. Indem die Liechtensteiner Regierung dies getan hat, hat sie allem christlichen Empfinden vor den Kopf gestossen. Dieses Verhalten der Liechtensteiner Regierung ist um so unverständlicher, als auch der geistliche Landesvikar des Fürstentums mit einer ausdrücklichen Bitte vorstellig geworden war, doch die leidenschaftlich erregten Wahlen nicht auf die Karwoche und das Osterfest zu verlegen. Man hat den Landesvikar nicht gehört und trotzdem die Wahlen auf diese stille, heilige Zeit verlegt, nur weil man hofft, besser abzuschneiden, da viele linksorientierte Liechtensteiner über Ostern zu Besuch in ihrer Heimat weilen und dann stimmen können. Wir St. Galler kennen derartige Gepflogenheiten auch aus unserer eigenen Geschichte, aber nicht aus den besten Perioden derselben.

Bei uns würde eine Regierung, die auf die Karwoche und das Osterfest Wahlen festsetzte, ohne weiteres vom Volke desavouiert und dies mit Recht. Man sagt, dass ähnliches auch schon früher in Liechtenstein vorgekommen sei. Das ist keine Entschuldigung. Dann war es auch früher schon ungebührlich. Schlechte Beispiele sollen nicht nachgeahmt werden.

Wir möchten wünschen, dass das brave Liechtensteiner Völklein dem Überborden des Parteigeistes, der sogar an Ostern sich bemerkbar machen will, diesmal eine gehörige Antwort gebe. Es liegt im Interesse des Landes Liechtenstein, wenn dort gewisse allzu eifrige Politiker, die ihren Mitbürgern ein Plätzchen an der Sonne verweigern wollen, diesmal einen Dämpfer erhalten.

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[1] Neue Zürcher Nachrichten 26.3.1926 (LI LA SgZs 1926).