Ein Schreiber aus der Werdenberger Nachbarschaft schlägt als Alternative zu einem Zollvertrag, bei dem er für die Schweiz nur Nachteile sieht, Einfuhrerleichterungen für liechtensteinisches Vieh vor


Nicht gezeichneter Bericht im Schaffhauser Intelligenzblattaus der Grenzregion Schweiz-Liechtenstein, vermutlich Werdenberg [1]

23.2.1922

Der Zollanschluss mit Liechtenstein

(Korrespondenz)

Als „Ton der andern Glocke“ geben wir nachstehend einen aus der Nachbarschaft von Liechtenstein stammenden Artikel wieder, der den Finger auf einige schwache Punkte in der Anschlussfrage legt:

In der Tagespresse wird diese Angelegenheit in der letzten Zeit lebhaft erörtert, und man weiss auch, dass schon ein Vertragsentwurf für den Zollanschluss ausgearbeitet und den nächststehenden Kantonsregierungen zur Begutachtung und Vernehmlassung zugestellt wurde. Ausserdem hört man, dass den Liechtensteinern ein jährlicher Pauschalbetrag von 150‘000 Fr. für Überlassung ihrer unwirtlichen Zollgrenzen von unsern Bundesbehörden in Aussicht gestellt worden ist. Selbstverständlich hätten die Liechtensteiner allen Grund, diese Entschädigung, die für ihre Staatsfinanzen das reine Göttergeschenk bedeuten würde, entgegenzunehmen, um so mehr, als ja obendrein – abgesehen von der Beistellung der nötigen Unterkunftslokale für den Grenzwächter – die Besorgung des Grenzschutzes Sache der schweizerischen Eidgenossenschaft sein würde. Für die Besorgung dieses Grenzschutzes sollen künftig etwa 25 neue Grenzwächter benötigt werden, was vielleicht nicht einmal zu viel ist angesichts der Berge und Gräte, die Liechtenstein gegen Osten einsäumen und in Anbetracht des Umstandes, dass Vielen im Ländchen und darüber hinaus der Schmuggel in Fleisch und Blut übergegangen ist. Wie einfach und sparsam dagegen die natürliche Rhein-Zollgrenze ist, muss jedermann sofort in die Augen springen.

Jenen finanziellen Lasten, die von der Schweiz zu tragen wären, stehen aber in und durch Liechtenstein mit seinen nur etwa 10‘000 Einwohnern gar keine Gegenwerte von Belang gegenüber, und es qualifiziert sich daher diese ganze Aufrollung eines Zollanschlusses entweder als ein gut ausgedachter und geeignet propagierter Schachzug der liechtensteinischen Vertretung in Bern oder aber als ein Expansionswunsch einer Gruppe Eidgenossen, die lediglich um der Liebe willen und ohne weitere Überlegung sich des Ländchens annehmen wollen, sofern es nicht mit dem Hintergedanken eines auf diese Weise doch noch einmal zur Tatsache führenden Anschlusses des Vorarlbergs geschieht.

Auf alle Fälle erscheint es, dass von den Förderern des Zollanschlussgedankens die Folgen des Anschlusses nicht gründlich überlegt worden sind, denn nicht allein müsste die liechtensteinische Gerichtsbarkeit sich dem schweizerischen Zollgesetz anpassen – wie sollten sonst Vergehen gegen letzteres analog der schweizerischen Praxis abgeurteilt werden können? – und das wäre doch eine nächstliegende Forderung. Aber nicht nur dies! Der wirtschaftliche Anschluss brächte vielmehr auch die Einführung schweizerischer Bundesabgaben, wie Stempel- und Couponsteuer etc. mit sich, Alkoholmonopol usw. müssten ebenfalls Berücksichtigung finden. Es ist kaum anzunehmen, dass im Liechtensteinischen soweit schon gedacht worden ist, ja wir haben die Überzeugung, dass das Drängen zum Zoll- und wirtschaftlichen Anschluss in Liechtenstein nur vereinzelt und jedenfalls bei weitem nicht so intensiv die Sinne beherrscht, wie dies in der Schweiz vielerorts in einer unbegreiflich bejahenden Tendenz der Fall zu sein scheint. „Liechtenstein ein Kanton“ und dergleichen ist hier zu lesen, wo die Liechtensteiner keine Gedanken daran haben, so assimiliert zu werden, wohl aber sich sagen müssen, dass ihre Lebenshaltung unter dem schweizerischen Zolltarif sofort erheblich steigen werde. Vom schweizerischen Standpunkt liegt entschieden nichts, aber auch gar nichts vor, jenen Zoll- und wirtschaftlichen Anschluss zu wünschen, denn für die Schweiz entstehen in jedem Fall nur vermehrte Lasten und ohne Zweifel auch neue Sorgen.

Es ist in Liechtenstein übrigens auch eine für das Ländchen nicht unbedeutende Textilindustrievorhanden. In der Schweiz ist diese Industrie schon mehr als genug vertreten, sie hat deshalb von jeher (die Kriegsjahre ausgenommen) unter schwersten Verhältnissen gearbeitet und sieht jetzt vielleicht auf Jahre hinaus mit immer wachsenden Sorgen in die Zukunft. Ein Zuwachs dieser Industrie durch den Zollanschluss von Liechtenstein hat also keinen Sinn und könnte höchstens dazu beitragen, dass die Fabriken in Liechtenstein unter dem Druck der Konkurrenz ihre Tore mit der Zeit, eingeengt im Schweizer Zollverband, schliessen müssten. Wenn den Liechtensteinern Hand geboten würde, dass sie ihre Landesprodukte sowie ihr Vieh von jährlich vielleicht 800 Haupt leichter in die Schweiz einführen könnten, so wäre ihnen damit geholfen, und die ganze Bauernschaft, aus der die Einwohnerschaft des Ländchens zu gut zwei Drittel besteht, hätte das kleinste Interesse an einem Zollanschluss an die Schweiz. Wenn daher unsere Bundesbehörden unser Land vor unbegründeten neuen erheblichen Auslagen bewahren, anderseits den Einwohnern des Fürstentums Liechtenstein entgegenkommen wollen, so geschieht dies am einfachsten mittelst Zollerleichterung in dem oben angedeuteten Sinne, und dieser Ausweg erscheint als die denkbar einfachste und für alle Teile günstige Lösung.

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[1]Schaffhauser Intelligenzblatt 23.2.1922