Die NZZ stuft die Errichtung einer Aktiengesellschaft in Vaduz, die in Vaduz keine Geschäfte tätigt, aber in Zürich eine Zweigniederlassung errichtet und von dort aus tätig wird, als Umgehung der Steuerpflicht und des Schweizerischen Obligationenrechts ein


Bericht in der Neuen Zürcher Zeitung, nicht gez. [1]

26.12.1922

Ausländische Zweigniederlassung.

Die seit April a. c. mit Sitz in Vaduz (Fürstentum Liechtenstein) bestehende Akt.- Ges. für internationale Geschäfte, Vaduz, hat unter dieser Firma mit dem Zusatz Filiale Zürich in Zürich eine erste schweiz. Zweigniederlassung errichtet. (Es sollen also offensichtlich noch weitere folgen) Die Gesellschaft verfügt über ein Kapital von 400‘000 Fr. und bezweckt hauptsächlich, industrielle und Finanzierungsgeschäfte zu betreiben, sich an solchen zu beteiligen, derartige Beteiligungen zu verwalten und Handelsgeschäfte aller Art für eigene und fremde Rechnung zu betreiben. Als Verwaltungsräte funktionieren vier Herren in Wien, Robert Kern, Paul Kern, August Kern, und Josef Morgenstern, alle Bankiers, österreichische Staatsangehörige in Wien; für die Zürcher Filiale ist Prokura erteilt an Rudolf Weisshappel, von Wien, in Zürich. Als Publikationsorgane werden zwei Liechtensteiner Zeitungen bezeichnet oder eine von der Regierung (welcher Regierung?) bekanntzugebende, für die Verlautbarung amtlicher Nachrichten bestimmte Zeitung.

Zu dieser Neugründung wird uns aus Leserkreisen geschrieben:

Wir sehen hier eine sog. „tote“ Holding- Gesellschaft, das ist die Aktiengesellschaft für internationale Geschäfte Vaduz, mit Sitz in Vaduz, die in Vaduz selbst keine Geschäfte betreibt. Sämtliche Geschäftsführer wohnen in Wien. Diese Gesellschaft eröffnet nun eine Niederlassung in Zürich, die Geschäfte für eigene und fremde Rechnung betreiben kann. Der in Aussicht genommene Zweck dürfte ziemlich offensichtlich sein. Die Gesellschaft beabsichtigt, mit ihrer Zürcher Filiale Geschäfte zu machen, deren Nutzen der Gesellschaft in Vaduz zugute kommt. Sie selbst muss keinen Nutzen ausweisen. Konsequenterweise entgeht dem zürcherischen Fiskus die Einkommensteuer. Es ist allerdings anzunehmen, dass die wirkliche Geschäftsführung in Wien liegt, vielleicht auch noch in einer andern ausländischen Stadt, und dass Vaduz die Instruktionen von dort erhält. Da aber in Vaduz die Annehmlichkeiten des Aufenthaltes nicht die gleichen sind wie in Zürich und Zürich selbstverständlich, was Verbindungen anbetrifft (Post, Telegraph, Telephon usw.) gegenüber Vaduz vorteilhafter ist, wird die Filiale in Zürich errichtet. Man will aber Zürich nicht geben, was ihm gehört. Diese fremde Gesellschaft scheint auf recht unverfrorene Art um die Steuern herumzukommen. Nach dem kürzlich in der „N.Z.Z.“ veröffentlichten Liechtensteinschen Steuergesetz [3] ist anzunehmen, dass diese Vaduzer Gesellschaft daselbst nur die Gesellschaftssteuer bezahlt, weil sie in Vaduz selbst keine Tätigkeit ausübt. Wir müssen deshalb annehmen, dass die Errichtung einer Filialgesellschaft, wie sie hier vorliegt, zu Unrecht im Handelsregister eingetragen worden ist. Es ist unmöglich, dass eine Gesellschaft, die in ihrem Stammlande selbst keine Tätigkeit ausübt, im Auslande eine Filiale errichtet, die eine Tätigkeit ausübt.

Die Art und Weise dieser Gründung ermöglicht eine glatte Umgehung des S.O.R. [2] über das Aktienrecht und ist eine direkte Benachteiligung von Schweizerfirmen; wir glauben erwarten zu dürfen, dass unser Staat eine derartige Umgehung seiner eigenen Gesetze nicht dulden wird.

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[1]Neue Zürcher Zeitung 26.12.1922, Mittagsblatt (LI LA SgZs 1922).
[2] Schweizerisches Obligationenrecht.
[3] Vgl. Berichte in der NZZ Nr. 1612 vom 14.14.1922 und Nr. 1616 vom 15.12.1922.