Die Regierung verhindert eine Betriebsversammlung der Arbeiter der Jenny, Spörri & Cie in Triesen, die vom Vorarlberger Arbeitersekretariat organisiert wurde


Bericht in der sozialdemokratischen Vorarlberger Wacht, nicht gez. [1]

Aus Kleinrussland.

Wir brauchen zwar nicht allzuweit zu gehen, bis wir in Kleinrussland sind, denn gleich hinter Feldkirch fängt dieses despotische Gebiet an: Fürstentum Liechtenstein! In diesem Fürstentume mit ein paar tausend Untertanen schaltet die Regierung noch ganz willkürlich. Wir haben zwar eine Verfassung, einen Landtag, aber kommandieren tut der Regierungsverweser, der streng darauf achtet, dass kein freier Luftzug aus der Schweiz oder gar aus dem auch schon mit Roten verseuchten Vorarlberg ins kleine Zarenreich eindringe und die untertänigen Bürger rebellisch mache. Versammlungen sind Dinge, denen man nicht recht trauen kann, also verbietet man sie. Das Vorarlberger Arbeitersekretariat wollte am 18. April in Triesen im „Stern“ eine Betriebsversammlung der Arbeiter der Firma Jenny, Spörri & Co. abhalten und suchte bei der fürstlich-liechtensteinischen Regierung um Genehmigung der Versammlung an. Auch eine harmlose Versammlungseinladung wurde der Genehmigung unterbreitet. Jedoch die Regierung verbot die Betriebsversammlung aus „Gründen der öffentlichen Ordnung“. Der Herr [Josef] Ospelt, der das Regierungsdekret unterzeichnete, ist demnach der Anschauung, dass der Unternehmerprofit von der Regierung geschützt werden muss. Oder hat die Regierung etwa Angst, dass in Liechtenstein die ††† Sozialdemokratie ihren Einzug halten könnte? Doch sei es wie immer, die fürstliche Regierung mag sich selbst auf den Kopf stellen, an jede Wirtschaft einen Polizisten stellen, die Versammlung wird abgehalten werden. Wie und wann und wo, berichten wir dann nach der Zusammenkunft. Auch im Liechtensteinischen wird die rote Organisation bald Fuss fassen, der Kapitalismus, die Ausbeuterei der Fabrikanten hat den Boden gut vorbereitet. Mag auch mancher biedere Liechtensteiner einen Sozialdemokraten für einen Anarchisten, für den leibhaftigen Teufel oder Gottseibeiuns halten, viele Arbeiter sind im letzten Jahrzehnt doch anderer Meinung geworden.

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[1] Vorarlberger Wacht, Ende April 1914, Nr. 14.